Der Wirtschaftsstandort Österreich verliere gegenüber vergleichbaren Staaten wie Schweiz, Schweden oder Dänemark laufend an Terrain, sagt Industrie-Obmann und EVVA-Chef Stefan Ehrlich-'Adám.

Foto: Andy Urban

STANDARD: Wir haben enorme Geldmengen für die Bekämpfung der Coronapandemie ausgegeben, jetzt kommen Milliarden für die Klimawende. Was halten Sie von den Plänen und was bedeutet die Energiewende für Unternehmen?

Ehrlich-Adam: Enorme Kosten und vor allem enormer Kostendruck. Wir in Österreich haben wieder einmal Golden Plating geschafft .

STANDARD: Inwiefern?

Ehrlich-Adám: Wir wollen bereits 2040 klimaneutral sein, das ist zehn Jahre bevor es die EU sein will.

STANDARD: Ambitionierte Ziele wird man sich doch noch setzen dürfen?

Ehrlich-Adám: Ja, aber schon das erste Ziel, 2030 zu hundert Prozent Strom aus Erneuerbarer Energie – was das bedeutet! Hat sich jemand überlegt, wie viele Windräder das sein müssen um zehn Terawattstunden Strom zu erzeugen? Bei der Wasserkraft geht kaum noch etwas, aber wir sollen einen zusätzlichen Bedarf an fünf Terawattstunden erzeugen können. Und bei Photovoltaik mit einem Zielwert von elf Terawattstunden sollen uns sogenannte Gemeinschaftsanlagen weiter bringen? Da bräuchten wir Millionen Quadratmeter an Solarpanelen auf Dächern und sonst wo. Gar nicht zu sprechen von den Stromnetzen, die derartige Mengen gar nicht übertragen können. Wie soll das gehen?

Bildung ist für den Chef des Schlüsselimperiums EVVA, Stefan Ehrlich-Adám der Schlüssel gegen den Fachkräftemangel.
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STANDARD: Der Infrastrukturausbau ist ja auch geplant.

Ehrlich-Adám: Allein die Genehmigungen für die Salzburg-Leitung haben 77 Monate gedauert. Wir haben wir keine Ost-West-Trasse, die Lastverteilung stößt bereits jetzt an ihre Grenzen, die Gefahr von Blackouts steigt ständig. Dass der importierte Strom aus Atomkraft kommen könnte, das stört niemanden. Wir spielen uns da etwas vor, das passt nicht

STANDARD: Aber irgendwann müssen wir in die Gänge kommen?

Ehrlich-Adám: Es gibt glaub ich keinen Menschen, der Klimaschutz ablehnt. Aber es muss mit der Industrie gemeinsam gemacht werden. Es hat keinen Sinn, dass wir Ziele vereinbaren, Technologien vorschreiben, die sehr schwer bis gar nicht zu erfüllen sind und die, die es umsetzen müssen sind nicht Teil des Themas. Die Industrie will mitmachen, bitte nehmt uns mit ins Boot, diskutieren wir. Wir müssen diese Klimawende technologie-offen schaffen und wir müssen Ziele haben, die erreichbar sind. Dieser geleakte Entwurf des Klimaschutzgesetzes mit den automatischen Sanktionen und Preissteigerungen – da stellt sich schon die Frage: Wo bleibt der Wirtschaftsstandort Österreich? Dann werden wir ein größeres Problem mit der Arbeitslosigkeit bekommen.

STANDARD: Bei so viel Kritik an den Plänen stellt sich die Frage, wo ist der Koalitionspartner? Die Grünen reagieren ja nicht allein.

Ehrlich-Adám: Das soll jetzt kein Regierungsbashing sein. Aber es geht zu sehr um Klientelpolitik und den Machterhalt, aber weniger um den Wohlstand im Land, der Gesellschaft.

STANDARD: Bleiben wir bei der Infrastruktur: Der Streit über den Lobautunnel tobt wieder. Das Rathaus sagt, ohne unterirdische Donauquerung samt Autobahn sei Stadtentwicklung nicht möglich. Stimmt das? Die Raumplanung in Wien scheint auch ohne Tunnel wenig durchdacht, es werden Wohnungen in Gewerbegebieten gebaut und dann gibt es Verkehrsprobleme und Konflikte mit den Anrainern.

Ehrlich-Adám: Eine Stadt ist eine gewachsene Struktur, es mischen sich produzierendes Gewerbe und Wohngegenden. Man kann mit der Wirtschaftsagentur und der Stadtverwaltung Lösungen finden, damit beide gut leben können. Die große Herausforderung ist das Miteinander und das funktioniert im großen und ganzen gut. Ich habe aber wenig Verständnis dafür, wenn neben bestehenden Betrieben Wohnhäuser entstehen und dann gibt es Beschwerden. Die Bewohner wussten ja vorher, dass sie nicht in einem Park wohnen werden.

STANDARD: Ist der Fehler nicht viel früher passiert bei der Flächenwidmung?

Ehrlich-Adám: Man kann darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, ein Wohngebäude hinzustellen. Aber das würde heißen, dass die Stadt für reine Industrieviertel sorgt und das funktioniert in einer gewachsenen Stadt nicht. Eine gewisse Infrastruktur ist ja schon da.

Kosten und Kostendruck in Österreichs Industrie steigen massiv durch die Energiewende, warnt EVVA-Chef Stefan Ehrlich-Adám.
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STANDARD: Aber die Durchmischung zieht jede Menge Probleme nach sich, wie man im Gewerbegebiet Inzersdorf sieht. Die Autobahn ist nah, die Durchfahrtsstraße ist zu schmal, die Lkw stehen im Stau und mit ihnen die Busse für die Anrainer. Das sind ja hausgemachte Probleme, nicht?

Ehrlich-Adám: Ja, wenn Sie so wollen. Aber es ist schwierig, das auf dem Reißbrett umzuplanen. Dann müssen Straßen eben verbreitert, Verkehrsflüsse umgeleitet werden. Am Ende des Tages ist es aber doch so: Die Stadt wächst, wir haben bald zwei Millionen Einwohner und wir brauchen Arbeitsplätze – nicht nur im Dienstleistungssektor oder in Biosiences oder IT. Wir haben auch produzierende Industrie, die sichert nun einmal einen großen Teil der Arbeitsplätze. Wenn ein Drittel der Jugendlichen keinen positiven Wert von Unternehmen sieht, wie soeben eine Studie zutage gefördert hat – dann ist das erschreckend! Wer produziert denn die Produkte, die diese Jugendlichen kaufen, wer schafft die Arbeitsplätze?

STANDARD: Die Chinesen?

Ehrlich-Adám: Nicht nur! Angesichts der Effekte der Corona-Pandemie gibt es in der EU Bestrebungen, Produktion nach Europa zurückzuholen. Reindustrialisierung wird zwar nicht überall gelingen, aber das schafft Arbeitsplätze. Es muss ein Miteinander sein. Wir haben hier am Standort auf dem Wienerberg zum Glück keine Probleme, wir haben große Investitionen gemacht und da muss man die Anrainer einbinden.

STANDARD: Sie konnten erweitern, weil Platz da war. Aber oft fehlt es an Pufferzonen Ehrlich-Adám: Ja, es war die letzte Erweiterungsmöglichkeit. Wir konnten über die Jahre angrenzende Grundstücke zukaufen – zwar nicht die billigsten, aber das ist jetzt zu Ende. Die Stadt Wien hat halt wenige Grundstücke an der Peripherie und deshalb besteht die Gefahr, dass manche über den Regionenring S1 gehen und sich in Niederösterreich ansiedeln, wo es vielfältige Fördermöglichkeiten gibt.

STANDARD: Die Folge ist ein massiver Kaufkraftabfluss, weil dort an jeder Autobahnabfahrt Gewerbezonen und Einkaufszentren entstanden sind, mehrheitlich wohl Dienstleistungs- und Logistikbetriebe, aber auch Produktion. Das sieht man an den Pendlerströmen deutlich – und dorthin gibt es keinen öffentlichen Verkehr.

Ehrlich-Adám: Ja, die beiden Bundesländer müssen kooperieren. Ich bin ja gespannt. Jetzt kommt das Parkpickerl überall in Wien, was heißt das? Wir brauchen Park&Ride-Anlagen und Autostellplätze für die Pendler.

STANDARD: Aber das wusste man, dass die Parkraumbewirtschaftung flächendeckend kommen wird. Da fehlt es an Weitblick?

Ehrlich-Adám: (lacht) Da ist Österreich nicht sehr stark. Es fehlt meines Erachtens die Kooperationsbereitschaft.

STANDARD: Bei Schrebergärten sind wir stark?

Ehrlich-Adám: Das sieht man auch beim Schulsystem. Ich sehe nicht, dass es im Vorjahr eine Digitalisierungsoffensive gegeben hat. Dabei wäre die Coronapandemie der ideale Zeitpunkt gewesen, niemand hat auf’s Geld geschaut. Aber es gab und gibt zu viele gegengesetzte Interessen.

STANDARD: Was meinen Sie konkret?

Ehrlich-Adam: Aufgrund der Lockdowns haben wir, glaube ich, viele Kinder verloren, die nicht über ausreichend Ressourcen oder familiäre Unterstützung verfügten. Aber nicht nur viele Kinder sind untergetaucht, auch viele Lehrer waren nicht erreichbar. Man hätte viel mehr machen können und müssen.

Einen großen Teil der Arbeitsplätze schaffe die Sachgüterindustrie, das solle die Politik nicht gefährden, sagt der Wiener Industrie-Obmann der Wirtschaftskammer, Stefan Ehrlich-Adám.
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STANDARD: Da sind wir wieder beim Föderalismus-Problem. Der Bund ist für die Höheren Schulen zuständig, die Länder für Pflichtschulen, aus denen sich der Nachwuchs für die Lehre rekrutiert. Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Ehrlich-Adam: Das werden wir bei den Fachkräften spüren. Denn es gab auch diese Aufstiegsklausel, man konnte mit einem Fünfer aufsteigen. Dadurch blieben viele im Schulsystem, die sonst mit einer Lehre begonnen hätten. Das ist teuer und man tut diesen Jugendlichen nichts Gutes, denn das sind die Fachkräfte, die fehlen werden.

STANDARD: Da sind die Unternehmen aber auch selbst schuld, viele Betriebe haben niemanden aufgenommen, nicht einmal Schnuppertage abgehalten. Wie will man die Interessierten finden?

Ehrlich-Adám: Die Wiener Wirtschaftskammer hat sich immer bemüht, wir sind in die Schulen gegangen, haben die Lehrberufe präsentiert. Das hat jetzt nicht rasenden Zulauf gebracht, aber doch Interesse geweckt. Aber eigentlich ist das schon zu spät, man muss früher, im Kindergarten anfangen, spielend Interesse an Technik wecken.

STANDARD: Wessen Aufgabe ist das Ihrer Meinung nach?

Ehrlich-Adám: Es gibt kein konzertiertes System. Es müssten sich die Experten zusammensetzen, die das Bildungssystem prägen – losgelöst von Ideologie und Geschichte – und diskutieren, wie ein zukunftsorientiertes Bildungssystem aussehen muss. Ich glaube, dass Volksschullehrer und Kindergartenpädagogen unter ihrem Wert geschlagen werden. Sie sollen Neugierde wecken, Freude am Lernen vermitteln, aber sie werden am schlechtesten bezahlt, haben die schlechtere Ausbildung. Ich bin kein Bildungsexperte, aber eine Idee könnte sein, dass eine Basisausbildung für Lehrer geschaffen wird und für die höheren Schulen gibt es eine Zusatzausbildung. Man muss tabulos das System überdenken. Stattdessen wird jetzt die Zentralmatura wieder infrage gestellt – ein guter Ansatz, der Covid-bedingt schlecht gemacht wird. Ja, die Zentralmatura war anfangs nicht gut aufgesetzt, aber es war der Weg in die richtige Richtung. Es geht dabei ja auch um eine Überprüfung, ob die Lehrer ihren Job gut gemacht haben.

STANDARD: Das Problem mit den Hauptschulen oder neuen Mittelschulen ist ja eigentlich vor allem ein Wiener Problem?

Ehrlich-Adám: Ja, Wien als Metropole mit einem großen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund hat da besonders große Herausforderungen. Aber das Signal des neuen Bildungsstadtrates, die Zahl der Lehrer zu reduzieren, war kein gutes. Da fehlt mir das Gesamtkonzept, in welche Richtung soll es gehen und wie können wir das Ziel erreichen? Bildung ist das zentrale Thema, ohne das es nicht funktionieren wird. Wir haben das teuerste Schulsystem der Welt, aber die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes wird damit wohl nicht erhalten werden können. Wir verlieren laufend Terrain im Vergleich zu kleinen Ländern wie Schweiz, Schweden, Dänemark und den Niederlanden. Es fehlt die Ambition und der Mut zu unpopulären Maßnahmen.

STANDARD: Die da wären?

Ehrlich-Adám: Die Semesterferien zum Beispiel hätte man nützen müssen, um Verlorenes nachzuholen. Auch die Sommerferien hätte man um zwei Wochen verkürzen können. Da haben sich jene durchgesetzt, die nicht in Kurzarbeit waren und netto nicht 20 Prozent weniger Einkommen hatten. (Luise Ungerboeck, 17.7.2021)