Infolge vermehrter Regenfälle im späteren Sommer führen die Flüsse in der Hoch-Arktis mehr Wasser.

Foto: Scott Lamoureux

Flüsse in der Arktis speisen sich mittlerweile immer häufiger auch durch Regen und nicht aus geschmolzenem Schnee. Diese Entwicklung führt zu einer stärkeren Wechselwirkung der Gewässer mit Pflanzen und Boden – und damit zu einem stärkeren Eintrag von Nährstoffen, Kohlenstoff und anderem organischen wie anorganischen Material. Das ergab eine Studie von Forschern um Joanne Heslop vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ) und Casey Beel von der Queens University, Kingston (Kanada), die nun im Fachjournal "Nature Communications" erschienen ist.

Das Team hat mehr als zehn Jahre lang umfassende Daten über Wetterereignisse, Fließgewässer und deren biogeochemische Zusammensetzung analysiert. Potenzielle Auswirkungen betreffen einerseits Wasserqualität und Nahrungsketten und andererseits die Freisetzung von Treibhausgasen wie CO2 und Methan. Damit sind die gesammelten Daten für die Verbesserung von biogeochemischen und Klimamodellen von Bedeutung.

Arktische Gewässer im Wandel

Arktische Binnengewässer sind wichtige Komponenten des globalen Kohlenstoff-Kreislaufs. Sie enthalten Kohlenstoff, der beispielsweise durch mikrobielle Prozesse teilweise zu CO2 oder Methan umgewandelt und als Treibhausgas freigesetzt werden kann.

Wie sich der Eintrag von Kohlenstoff und anderen organischen und anorganischen Substanzen in die Gewässer der hohen Arktis mit dem Klimawandel selbst verändert, haben Joanne Heslop, PostDoc am GFZ, und ihre kanadischen KollegInnen um Casey Beel von der Queens University, Kingston, am Cape Bounty Arctic Watershed Observatory auf Melville Island, Nunavut, in Kanada untersucht.

Kaum untersuchte hohe Arktis

Als hohe Arktis wird der Bereich oberhalb von 70 Grad nördlicher Breite verstanden. Diese Gegenden liegen weitab jeglicher Zivilisation, sind schlecht zugänglich und daher noch wenig intensiv untersucht. Bislang ging man davon aus, dass die dortigen Gewässer überwiegend von der Schneeschmelze gespeist werden. Im Laufe des Sommers führen die Flussläufe dann immer weniger Wasser, manche versiegen ganz. Dementsprechend fanden bislang die meisten Messkampagnen in der Schneeschmelzsaison statt.

Bei ihren Expeditionen haben Joanne Heslop und Casey Beel allerdings über die Jahre beobachtet, dass es in der Arktis immer häufiger regnet, vor allem in der späteren Sommersaison. Flussläufe werden daher nicht mehr nur überwiegend im Frühling und Frühsommer durch Schmelzwasser gespeist, sondern führen auch im weiteren Verlauf des Sommers noch Wasser aus Regenfällen. Bis zu 40 Prozent der jährlichen Flussmengen werden mittlerweile später im Jahr beobachtet. Etliche Flüsse versiegen gar nicht mehr, wie andere Arbeiten gezeigt haben.

Mehr Wechselwirkungen mit der Landschaft

"Dadurch verändert sich die biogeochemische Zusammensetzung der Gewässer fundamental", sagt Heslop. Der Abfluss der Schneeschmelze hat aufgrund der Schneedecke, der Kanalisierung und des gefrorenen Bodens nur eine begrenzte und sehr oberflächliche Interaktion mit der Landschaft, bevor er in den Fluss gelangt.

Die Niederschlagsereignisse treten vor allem später im Sommer auf, wenn es wärmer wird. Dann ist der Permafrostboden in Tiefen bis zu einige Dutzend Zentimeter aufgetaut, das mikrobielle Leben erwacht und es wachsen Pflanzen. Für das breit eingetragene und dann abfließende Wasser gibt es viel mehr Gelegenheit, mit der umgebenden Landschaft zu wechselwirken, bevor es die größeren Flüsse oder Seen speist. Dadurch verändern sich die Menge und die Art des mitgetragenen organischen oder anorganischen terrestrischen Materials.

Datensätze über 14 Jahre

"Bislang wurde das wenig untersucht und als Effekt unterschätzt", sagt Heslop. Für ihre Studie hat die Biogeochemikerin zusammen mit ihren KollegInnen hydrometeorologische und biogeochemische Daten aus dem Zeitraum von 2003 bis 2017 ausgewertet, die aus der hohen Arktis rund um das Cape Bounty Arctic Watershed Observatory stammen. Sie umfassten Temperatur- und Niederschlagsdaten, Abflussmengen, Fließenergie, Konzentrationen von Sedimenten und Nährstoffen einschließlich Kohlenstoff, sowie optische Merkmale gelöster organischer Stoffe.

In Jahren mit höheren Niederschlägen fanden die Forschenden größere Mengen an terrestrischem Material in den Flussläufen, als in vergleichsweise trockenen Jahren. Bei schwächerem Regen wurde vor allem gelöste Materie mitgeschwemmt. Je stärker der Regen, desto mehr Fließenergie in den Wasserströmen, sodass auch schwerere Steinchen und Partikel, die sich sonst am Flussbett absetzen, mitgerissen und flussabwärts transportiert werden.

Die weiteren Folgen

Wie sich Art und Menge des im Wasser transportierten Materials ändern, hat erhebliche Konsequenzen in zwei Bereichen: Zum einen bewirkt ein Mehr an organischen Substanzen und Nährstoffen Änderungen in der Wasserqualität sowie in der Folge auch für die Nahrungskette – von den Mikroorganismen bis zu Fischen und anderen Meerestieren, und damit auch für deren Lebensraum. Zum anderen – und das hat laut Heslop noch größere Bedeutung – beeinflussen diese Substanzen auch die Entstehung von Treibhausgasen wie CO2 und Methan: "Wenn in wärmeren Perioden frischerer Kohlenstoff und mehr Strömung vorhanden ist, besteht die Möglichkeit, dass Mikroorganismen diesen Kohlenstoff vermehrt zu Treibhausgasen verarbeiten."

Das ist vor allem vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels bedeutsam, in dessen Folge sich Stärke, Ausmaß und Häufigkeit von Sommerregen in der Arktis weiter erhöhen werden. Der Fokus müsse künftig von den größeren Flussläufen mehr zu den kleinen Zuflüssen flussaufwärts wandern, wo die meiste Wechselwirkung zwischen Wasser und Erde stattfindet und die Effekte stärker messbar sind. Für all das brauche es auch neue Methoden und neue Forschungsansätze, so Heslop. (red, 20.7.2021)