"Es scheint plausibel, dass besorgniserregende Varianten, die uns in Österreich in der kommenden kälteren Jahreszeit beschäftigen werden, schon längst entstanden sind" sagt der Virologe und Immunologe Andreas Bergthaler im Gastkommentar. Die Impfung ist der klare Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie, sie muss global verfügbar sein.

Die Buchstaben, die die Welt im Griff haben: der 3820 Buchstaben lange Bauplan des Spikeproteins. Diese Sequenz stammt aus einer in Österreich sequenzierten Delta-Variante. Die acht Buchstabenveränderungen ("Mutation") zum Wildtyp und die sechs verlorenen Buchstaben ("Deletion") sind hervorgehoben. Alle bisher bei uns zugelassenen Impfstoffe sind gegen das Spikeprotein gerichtet. Weitere Informationen zu Sars-CoV-2-Mutationen und Sequenzanalysen in Österreich finden sich unter sarscov2-austria.org.
Grafik: Lukas Endler, Andreas Bergthaler, Fatih Aydogdu

Sars-CoV-2 hat schon 188 Millionen Menschen infiziert, von denen mehr als vier Millionen starben. Gleichzeitig hat die globale Forschung in einem noch nie dagewesenen Kraftakt ein vielfältiges Portfolio an Impfstoffen entwickelt, von denen bisher 3,5 Milliarden Dosen weltweit verimpft wurden. Die Impfstoffe zeigen sich hochwirksam gegen Covid-19-Erkrankungen, sind nebenwirkungsarm und reduzieren auch die Virusweitergabe. Es wird daher immer klarer, dass das Impfen der zentrale Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie ist. Was könnte diesen Erfolgszug noch ernsthaft gefährden?

Da ist zum einen das Virus selbst, das sich stetig verändert. Seit Ende letzten Jahres werden wir mit neuen Varianten konfrontiert, die infektiöser sind und sich teilweise auch besser vor der Immunantwort verstecken. Letzteres ist bei der Delta-Variante der Grund, warum nur die Vollimmunisierung einen wirkungsvollen Schutz bietet.

Gut gerüstet

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir uns in den nächsten Monaten mit weiteren ähnlichen Varianten auseinandersetzen müssen. Beruhigend dabei ist zu wissen, dass die aktuellen Impfstoffe auch gegen die hochinfektiöse Delta-Variante vor schweren Erkrankungen sehr gut schützen. Auch zeigen erste wissenschaftliche Daten, dass eine Auffrischungsimpfung die Antikörper im Blut noch mal maßgeblich steigert. Zusammen mit technologischen Fortschritten wie den mRNA-Impfstoffen deutet viel darauf hin, dass wir für die nächsten Runden im Kampf gegen Covid gut gerüstet sind.

Am Beispiel der Delta-Variante möchte ich einen weiteren Aspekt aufzeigen, der zwar außerhalb unserer Landesgrenzen liegt, aber mir zentral erscheint für einen nachhaltigen Erfolg im Kampf gegen die Pandemie. So wurde Delta das erste Mal im September 2020 in Indien sequenziert, aber erst im Februar 2021 hat diese Variante eine massive Infektionswelle dort ausgelöst. Im März 2021 hat sich Delta in England zu verbreiten begonnen, wo es 99 Prozent der Neuinfektionen ausmacht und die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 300 angestiegen ist. Zuletzt dominierte Delta auch schon in vielen anderen Ländern inklusive Österreich, wo wir einen stetig steigenden Anteil von mittlerweile bis zu 90 Prozent der Neuinfektionen vor dem Hintergrund eines noch niedrigen Infektionsgeschehens beobachten.

Ungleiche Verteilung

Delta zeigt, dass neue Varianten in entfernten Gegenden der Welt entstehen und viele Monate vor sich hin schlummern können, bevor sie erstmals bei uns für Aufregung sorgen. Ja, es scheint plausibel, dass besorgniserregende Varianten, die uns in Österreich in der kommenden kälteren Jahreszeit beschäftigen werden, schon längst entstanden sind. Die Impfung stellt daher auch ein wichtiges Instrument dar, um die internationale Viruszirkulation zu reduzieren und die Entstehung neuer Varianten bestmöglich zu unterbinden. Die Bereitstellung von Impfstoff für alle Teile der Welt ist somit nicht allein ein wichtiger Akt der internationalen Solidarität, sondern dient auch zur Absicherung für das zukünftige Infektionsgeschehen und den Impfschutz in Österreich.

Wie sieht es aber mit der globalen Impfstoffverteilung aus? In Europa und Nordamerika wurden bisher circa 75 Impfdosen pro 100 Personen verabreicht. Dies entspricht rund 40 bis 60 Prozent Vollimmunisierung in den einzelnen Ländern. In Südamerika und Asien dagegen wurden bisher nur 45 Impfdosen pro 100 Personen verabreicht. Das Problem der ungleichen Verteilung wird erst auf dem afrikanischen Kontinent so richtig deutlich: Hier wurden bisher verschwindend geringe vier Dosen pro 100 Personen verimpft, und in vielen Ländern sind erst ein Prozent oder noch weniger der Bevölkerung geimpft.

Hinter Plan

Schon im April 2020 hat die WHO gemeinsam mit anderen internationalen Organisationen die Initiative Covax (Covid-19 Vaccines Global Access) ins Leben gerufen. Deren Ziel ist es, zusammen mit Regierungen und Produzenten Impfstoff für 92 Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Verfügung zu stellen. International wurden bisher acht Milliarden Euro versprochen. So hat Deutschland 820 Millionen Euro und 0,4 Millionen Impfdosen zugesagt, Schweden 240 Millionen Euro und drei Millionen Impfdosen. Österreich hat fünf Millionen Euro vorgesehen und zuletzt auch eine Direktspende von einer Million Impfdosen für Staaten des Westbalkans angekündigt.

Diese Zahlen sind auf den ersten Blick beeindruckend, sie sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass man bei den gesetzten Zielen für einen Impfschutz bei zumindest 20 Prozent der Bevölkerung der ärmeren Zielländer bis Ende 2021 deutlich hinter Plan liegt. Es wird zusätzliche Hilfe durch die reichen Ländern benötigen, auch private Spenden sind möglich: Vier Euro erlauben die Verimpfung einer Dosis (gogiveone.org).

Globaler Nährboden

Die Delta-Variante wird nicht die letzte Variante von Sars-CoV-2 bleiben. Gleichzeitig sind wir nach eineinhalb Jahren viel besser aufgestellt durch unser erweitertes Test- und Contact-Tracing-System, Virusüberwachungsprogramme und auch unseren Erfahrungsschatz mit nichtpharmakologischen Maßnahmen. Die Impfung schützt den Einzelnen sehr gut und, unter der Voraussetzung einer hohen Impfbereitschaft der Bevölkerung, sichert den Weg zurück in eine neue Normalität ab. Der breitflächige Einsatz und zukünftige Auffrischungsimpfungen werden auch helfen, dem Virus den globalen Nährboden für die Bildung immer neuer Varianten zu entziehen. Unter Berücksichtigung dieser internationalen Perspektive wird es uns hoffentlich gelingen, die Bedeutung von Sars-CoV-2 zu einem verhältnismäßig harmlosen Infektionserreger der Atemwege zurechtzuschrumpfen. (Andreas Bergthaler, 17.7.2021)