Die Karte. Es gab (natürlich) keine Unterstützung der Israelitischen Kultusgemeinde.

Foto: Markus Sulzbacher

Am Samstagabend veröffentlichten Aktivisten eine sogenannte "Judenkarte" im Netz, auf der Adressen von jüdischen Einrichtungen in Wien zu finden und mit einem gelben Davidstern markiert waren. Und sie kündigten an, die Onlinekarte in den kommenden Tagen auf ganz Österreich auszuweiten. Die anonym auftretende Gruppe wollte ihre Karte als Protest gegen die Islamkarte verstanden wissen, die seit Juni für Schlagzeilen und Kritik sorgt. Verschwindet die Islamkarte, dann verschwindet auch die Judenkarte, erklärten die Aktivisten am Sonntag. Das sei ihr Ziel.

Für Benjamin Nägele, den Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, ist die Karte ein "letztklassiger Aktionismus zulasten von Jüdinnen und Juden". Auch werden "rechtliche Schritte gegen die Urheber geprüft", wie er dem STANDARD sagt.

Nachdem die Karte einige Stunden online gewesen war und in sozialen Netzen scharfe Kritik geerntet hatte, wurde die Markierung der jüdischen Einrichtungen wieder entfernt und stattdessen Links auf Webseiten gelegt, die jüdische Institutionen auflisten. Zusätzlich betonten die Aktivisten, nur öffentlich zugängliche Daten genutzt zu haben.

Kritik auf Twitter.

Wer hinter der Veröffentlichung steckt, ist unklar. Die Gruppe nennt sich "League Of Ordinary People Austria". Mehr als eine Mail-Adresse und ein falscher Name ist nicht bekannt, gehostet wird das Projekt bei einem Anbieter in Großbritannien, der seinen Kunden und Kundinnen weitgehende Anonymität verspricht. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Gruppe dem linken Lager zuzurechnen ist. Vor der "Judenkarte" wollte sie eine Politikerkarte ins Netz stellen, auf der sich die Adressen sämtlicher Politiker und Politikerinnen der türkis-grünen Regierung finden sollten. Dieses Projekt wurde jedoch nicht umgesetzt, da die Betroffenen dagegen ein Veto einlegten, nachdem sie von der "League Of Ordinary People Austria" per E-Mail vorab informiert worden waren. Am Sonntag wurden weitere Karten angekündigt, geplant sei eine "Pädophilen-Landkarte" mit katholischen Einrichtungen und eine Karte, die rechtsextreme Vereine, etwa Burschenschaften oder FPÖ-Parteilokale, visualisiert.

Neonazis bombten sich durch eine Adressliste

Wie gefährlich die Veröffentlichung von Adressen jüdischer Einrichtungen ist, zeigte sich hierzulande Anfang der 1980er-Jahre. Nachdem die Neonazizeitschrift "Österreichischer Beobachter" eine Liste von Personen und Institutionen veröffentlicht hatte, kam es in den Jahren 1981 und 1982 zu Bombenanschlägen, die sich ausnahmslos gegen Adressen auf der Liste richteten. Darunter ein Sprengstoffattentat auf das Haus Simon Wiesenthals, das ihn im Schlaf überraschte. Auch Akiba Eisenberg, der erste Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg, war ein Ziel der Neonazis. Zusätzlich kam es zu Attentaten auf eine Bank und Filialen einer Bekleidungskette.

Als Haupttäter wurde ein Rechtsterrorist aus Deutschland verurteilt, der sich im Netzwerk der österreichischen Neonaziszene bewegte. Er wurde aber von seinen Kameraden an die Polizei verraten, nachdem ihnen die Sache zu heiß geworden war. Seine Auslieferung führte dazu, dass sich die heimische Neonaziszene spaltete. Der militante Flügel ging danach auf Distanz zu Norbert Burger, dem Chef der Nationaldemokratischen Partei (NDP), der mithalf, die Auslieferung des Attentäters zu arrangieren.

Im vergangenen Jahr kam es zu mindestens 585 antisemitischen Vorfällen

Die Veröffentlichung der "Judenkarte" sorgt in der betroffenen jüdischen Community für Sorgen, gerade weil in den vergangenen Jahren die Feindschaft gegenüber Juden und Jüdinnen beachtlich zugelegt hat. Der im April veröffentlichte Antisemitismusbericht spricht auch von einem "Jahr im Zeichen der Gewalt". Im vergangenen Jahr gab es in Österreich mindestens 585 antisemitische Vorfälle.

Neben tätlichen Angriffen auf den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz und einen Rabbiner in Wien wird auch der islamistische Terroranschlag vom 2. November ins Treffen geführt, welcher bei der Wiener Hauptsynagoge seinen Anfang nahm und bei dem im umliegenden Ausgehviertel im Zentrum der Stadt vier Personen getötet und 23 teils schwer verletzt wurden. Laut dem Bericht gehen die Sicherheitsbehörden mittlerweile davon aus, dass die jüdische Gemeinde ein Ziel des Attentäters war. Die Hauptsynagoge wurde ebenfalls von den Aktivisten und Aktivistinnen der "Judenkarte" markiert. (Markus Sulzbacher, 19.7.2021)