Schon in der vergangenen Woche ist vor Starkregen an der Alpennordseite gewarnt worden.

Foto: Land Salzburg/Franz Wieser

Wien – Nach den Hochwasserereignissen der vergangenen Tage beruhigt sich die Lage in Österreich langsam. In Deutschland sind die Folgen deutlich schwerwiegender ausgefallen. Kritik wird dort an der Informationspolitik rund um Umweltkatastrophen laut. Die österreichische ORF-Wetterexpertin Christa Kummer sagt, in Österreich kommuniziere man das Wetter und vor allem seine Folgen anders in Deutschland. Sie spricht auch über die Ursachen von Extremwetterlagen und sagt: "Wir haben der Natur Raum genommen."

STANDARD: Seit den Hochwassern der vergangenen Tage ist in Deutschland eine Diskussion darum entbrannt, ob nicht hätte früher gewarnt werden sollen. Wie genau konnte man in Österreich die Ereignisse vorhersagen?

Christa Kummer ist unter anderem Klimatologin und Hydrogeologin und präsentiert seit 1995 das Wetter im ORF.
Foto: ORF / Thomas Ramstorfer

Kummer: Man kann schon einige Tage im Voraus erkennen, wie groß Regenmengen etwa sein werden. Das kann man aus Prognosekarten herauslesen. In Österreich haben wir das auch wunderbar hinbekommen. Schon am Donnerstag haben wir gewarnt, dass es Starkregen mit Regenmengen von über 100 Litern entlang der Alpennordseite geben wird, lokal auch mehr. Die Wetterlage war aber so extrem schwierig, dass wir nicht punktgenau sagen konnten, wo etwas passieren wird. Grundsätzlich waren wir in Österreich aber gut gewarnt.

STANDARD: Warum hat sich Österreich bei den vergangenen Hochwassern besser angestellt als Deutschland?

Kummer: Ich weiß nicht, ob wir Österreicher besser erprobt sind in diesen Ereignissen. Wir haben viele enge Alpentäler, in denen Starkregenereignisse sehr schnell zu Hochwassern, Muren und Ähnlichem führen. Das Ereignis in Deutschland war schon außergewöhnlich. Obwohl vor den großen Regenmengen von den Wetterdiensten gewarnt wurde, ist dann doch einiges schiefgegangen. Österreich hat ein sehr gutes Vorwarnsystem, dennoch ist man dann oft von der Wucht der Ereignisse überrascht.

STANDARD: Was unterscheidet das österreichische vom deutschen Warnsystem?

Kummer: Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ist in Österreich die oberste Instanz in puncto Wetterwarnung, dann reagieren die hydrografischen Dienste überregional und schließlich regional. Schließlich sind bis zu den Feuerwehren und Gemeinden alle in Alarmbereitschaft. Die Medien, Funk- und Fernsehstationen tragen die Informationen nach außen, hier ist auch die Bedeutung der sozialen Medien nicht zu unterschätzen. Es gibt somit eine klare Informationskette.

STANDARD: Inwiefern?

Kummer: Vonseiten der ZAMG, aber auch durch Medien erklären wir den Menschen hier direkt die Folgen. In Deutschland sagt man etwa: "Es wird 150 Liter pro Quadratmeter regnen." Da denke ich mir: "Okay, das sind große Regenmengen." Wir in Österreich legen den Focus auf die möglichen Auswirkungen: "Es gibt Starkregen- oder Sturmereignisse. Sie müssen damit rechnen, dass Garagen überflutet werden, dass es Murenabgänge und kleinräumige Überflutungen gibt, Bäume entwurzelt werden et cetera." In Österreich verdeutlichen wir die Auswirkungen des Wetters. Das macht es für die Menschen auch etwas greifbarer.

STANDARD: Die Wetterlage scheint sich nun beruhigt zu haben. Was sollten Ihrer Meinung nach die nächsten Überlegungen sein?

Kummer: Es stellt sich die Frage: Wie weit denken wir um? Wir sehen, dass viele Länder viel Geld in die Hand nehmen müssen, um das, was sie in den vergangenen Jahrzehnten verbrochen haben, wieder auszubügeln. Alle sechs Jahre wird im Rahmen der Umsetzung der EU-Hochwasserrichtlinie ein neuer Hochwasserrisikomanagementplan für alle Länder erstellt, auch mit Bürgerbeteiligung. Die dahinterstehenden Fragen sind wichtig: Was ist zu tun, um Hochwasserereignisse zu verhindern? Sind Rückbauten möglich? Sind Hochwasserschutzbauten notwendig? Hier wird überlegt, wie die Flächennutzung in den jeweiligen gefährdeten Regionen gestaltet werden kann. Da geht es unter anderem auch um die Bodenversiegelung. In Österreich funktioniert der Umgang mit dem Hochwasserrisikomanagementplan relativ gut, wie man jetzt wieder sieht – aber auch nicht immer. In Hallein erleben wir ja gerade gegenseitige Schuldzuweisungen. Da hätte man Hochwasserschutzmauern bauen sollen, die auch schon genehmigt waren – aber dann doch nicht gebaut wurden.

STANDARD: Es wird gerade auch viel über die Ursachen der Extremwetterereignisse diskutiert. Wo sehen Sie hier die Ursachen?

Kummer: Wir müssen uns bei diesem Thema selbst an der Nase nehmen. Der Mensch trägt hier zu einem sehr großen Anteil die Schuld an vielen Umweltauswirkungen, die wir heute schmerzhaft zu spüren bekommen. Diese Extremwetterereignisse sind in vielen Bereichen hausgemacht. Das heißt, wir haben der Natur ihren Raum genommen, sich ausbreiten zu können. Wir haben Flüsse reguliert, begradigt, versiegelt, verbaut. Wir haben als Mensch durch die landschaftliche Nutzung die Natur derartig stark verändert, dass Naturkatastrophen in dieser Form für den Menschen auch katastrophale Auswirkungen haben. (Ana Grujić, 19.7.2021)