Essen in größerer Runde empfiehlt sich, wie stets bei chinesischen Restaurants, auch im neuen Kng Tao in Wien-Neubau.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das neue Restaurant Kng Tao ist laut Speisekarte nach Taotie benannt, einem Monster der chinesischen Mythologie, das als "gieriger Vielfraß" beschrieben wird. Als Namensgeber für ein Restaurant mag das aufs Erste merkwürdig erscheinen – aber nur, wenn man mit dem Wesen chinesischer Küche nicht vertraut ist und die Kulturtechnik des Viel- Essens nicht internalisiert hat.

Wer es macht wie die Chinesen, sich in vernünftiger Runde (sechs plus) an einem runden Tisch samt Lazy-Susan-Drehplatte in der Mitte niederlässt, der wird verstehen. Wenn man das Glück hat, Chinesen mit dabei zu haben, ganz besonders.

Da wird dann richtig viel bestellt – absurd groß erscheinende Mengen einerseits, extrem vielfältige Speisen anderseits, Reis bestenfalls optional. Und dann erlebt man ein Essen, das in Erinnerung bleibt. Nicht unbedingt, weil jedes Gericht so unglaublich gut schmeckt (viele schon!) – sondern weil es eine so vielfältige, die Sinne auf sehr abwechslungsreiche Weise ansprechende Erfahrung ist.

Das Kng Tao hat drei Köche, einen nordchinesischen, auf Spieße und Nudeln spezialisierten (der wurde dem vielgeliebten Yummy House beim Naschmarkt abgeworben), einen kantonesischen für Dim Sum und Fisch sowie einen Meister der Sichuan-Küche, das ist die mit dem tollsten Geschmack und den richtig argen Innereien.

Das Interieur mit samtenen Bänken und Sesseln in Puffrot und Mitternachtsblau samt dem einen oder anderen Thron, Lichteffekten in Blitzblau und Zuckerlrosa, freigelegten Ziegelwänden sowie, mit am auffälligsten, sehr bunten Darstellungen diverser Gottheiten und Krieger im Fantasyroman-Stil an den Wänden, wirkt, na ja, eklektisch. Im Gegenzug riecht es nicht nach Küche (gerade beim Chinesen ein massiver Faktor!), die Tische sind sehr angenehm ausgeleuchtet, penibel sauber ist es sowieso.

Der Fokus muss aber eh aufs Wesentliche gelenkt sein: auf ganz fantastische Spieße von Lamm und Lammniere etwa, von knusprig cremigem Tofu und knackigen Tintenfischen, von Hühnerflügeln und -mägen, die allesamt durch komplexe Würzung und souveränes Grillmanagement auffallen. Lammniere ist überhaupt ein Glücksnugget, zart, fett, mit Kreuzkümmel, Salz, Chili und Sichuanpfeffer auf der Kruste. Austern gibt es auch, mit Glasnudeln in der Schale gegrillt, die werden aber unter richtig viel Knoblauch begraben.

Das unanständig Schlüpfrige

Eine so vielfältige, die Sinne auf sehr abwechslungsreiche Weise ansprechende Erfahrung ist ein Essen im Restaurant Kng Tao.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Fujian-Taro-Teigtaschen aus unanständig schlüpfrigem Teig sind richtige Glückswolken, drall gefüllt, Pflichtbestellung. Gilt auch für die "weich gebratenen Pilze", die eigentlich frittiert sind und mit Kreuzkümmel beschneit zu Tisch kommen – irrsinnig animierend, sofort ist das nächste Tsing Tao fällig. Mamas Melanzani werden cremig gedünstet, mit Rind und Koriander serviert – den überreich an die Seite gestreuten, rohen Knoblauch kann man sich ja wieder runterlöffeln.

Hausgemachte Nudeln mit Erdnusssauce und Gurke will man auch haben, exquisit seidiges Mundgefühl. Wan Tan in Sichuan-Chili-Öl klingen verlockend, gehen sich aber erst nächstes Mal aus. Weil heute muss noch Eierpudding mit Venusmuscheln sein (richtig gut!), Amurkarpfen nach Eichhörnchen-Art (der ganze Fisch grätenfrei frittiert und in aufregend oranger Salsa aufgetragen), Garnelen auf Süßkartoffelnudeln (grandios bis auf das Schauferl Knoblauch oben drauf), Schweinedarm mit Sauerkraut (ja!) und, bei jedem Erstbesuch als Pegelgericht der Küche Pflicht: Mapo Tofu, die Schlabber gewordene Herrlichkeit mit extrem liberalem Sichuanpfeffer-Einsatz.

Der hier reiht sich im wienweiten Ranking ziemlich souverän in die Spitze der Taubheitsskala ein. Fazit: Man sieht sich beim Völlern! (Severin Corti, RONDO, 23.7.2021)

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