Berlin – Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat binnen weniger Tage zum zweiten Mal die Hochwassergebiete in der Eifel besucht und den Betroffenen unbürokratische Soforthilfe zugesagt. Man werde alles daran setzen, "dass das Geld schnell zu den Menschen kommt", sagte die CDU-Politikerin am Dienstag in der stark vom Hochwasser beschädigten Stadt Bad Münstereifel. "Ich hoffe, dass das eine Sache von Tagen ist."

Opfer und Schäden

Immer deutlicher treten die Schäden an der Infrastruktur zutage – mit zerstörten Straßen, Bahngleisen, Brücken, Mobilfunkmasten, Strom-, Gas- und Trinkwasserleitungen. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz seien allein sieben Regionalverkehrsstrecken der Bahn so stark von den Wassermassen beschädigt worden, dass man sie neu bauen oder umfangreich sanieren müsse, teilte die Deutsche Bahn mit. Gleise auf einer Länge von rund 600 Kilometern seien betroffen.

Im Erftstadter Stadtteil Blessem hatte ein gewaltiger Erdrutsch Straßen und Häuser mitgerissen. Die Situation ist weiter angespannt. Es gebe eine Sicherheitszone von 100 Metern rund um die Abbruchkante, hieß es am Dienstag vom Rhein-Erft-Kreis. Diese dürfe nicht betreten werden, vor allem an der Abbruchkante bestehe weiter "akute Lebensgefahr".

Bis Montag stieg die Zahl der Todesopfer auf mindestens 164: Aus Rheinland-Pfalz wurden 117 und aus Nordrhein-Westfalen 47 Unwettertote bestätigt. In beiden Bundesländern wurde nicht ausgeschlossen, dass noch weitere Opfer gefunden werden könnten.

400 Millionen Euro Soforthilfe

Deutschland will 400 Millionen Euro Soforthilfe für die Flutopfer bereitstellen. Das geht aus einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Entwurf für den Kabinettsbeschluss am Mittwoch hervor. Danach will der Bund 200 Millionen Euro übernehmen und geht davon aus, dass die Länder ebenfalls 200 Millionen Euro beisteuern. Man werde auch Mittel aus dem EU-Solidaritätsfonds beantragen.

Der Freistaat Bayern stellt 50 Millionen Euro Soforthilfen bereit. Am Dienstag sollten die Schulen und Kindertagesstätten wieder regulär öffnen – der Katastrophenfall wurde aufgehoben.

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"Der Bund wird alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die bundeseigene Infrastruktur schnellstmöglich wiederherzustellen", heißt es in dem Entwurf. "Die Beseitigung der Schäden und der Wiederaufbau der Infrastruktur werden in den nächsten Jahren große finanzielle Anstrengungen erfordern." An diesen Aufbauhilfen werde sich der Bund im gleichen Umfang wie bei früheren Hochwasserkatastrophen beteiligen.

Kraftakt nötig

Der Wiederaufbau wird nach Einschätzung der Bauwirtschaft mehrere Jahre dauern. "Nach der Elbflut 2002 hat es etwa drei Jahre gedauert, bis die größten Schäden behoben waren, und fünf Jahre, bis die betroffenen Gebiete wieder ordentlich aussahen", sagte Reinhardt Quast, Präsident des Zentralverbands des Deutsches Baugewerbes (ZDB), in Berlin.

Um den Wiederaufbau zerstörter Häuser, Straßen und Brücken trotz hoch ausgelasteter Bauunternehmen und Materialengpässen zu stemmen, sei ein Kraftakt von Politik und Wirtschaft notwendig.

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"Bauunternehmen und Handwerker können ihre Kapazitäten auf 120 bis 130 Prozent hochfahren", sagte Quast der Deutschen Presse-Agentur. Aufträge könnten umgeschichtet und Prioritäten auf Krisenregionen gelenkt werden. Ebenso müsse die Politik öffentliche Aufträge in anderen Bereichen zurückstellen und Behörden unbürokratisch helfen, indem sie etwa Duplikate von weggeschwemmten Bauunterlagen aushändigten.

Baumaterial fehlt

Die derzeitige Knappheit vieler Baumaterialien bleibe aber ein Problem, sagte der Präsident des Verbands, der etwa 35.000 Baufirmen in Deutschland vertritt. "Wenn Rohre weggeschwemmt wurden, müssen sie aus dem Rest der Republik hergebracht werden." Beim Wiederaufbau seien zudem zerstörte Brücken ein Hindernis. "Ohne Behelfsbrücken müssen Baufirmen und Handwerker riesige Umwege fahren." Weggebrochene Straßen seien für geländegängige Baumaschinen weniger ein Problem.

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Das Baugewerbe unternehme alles, um betroffenen Betrieben in den Krisenregionen zu helfen und Kapazitäten umzuschichten. Eine Firma im Hunsrück etwa sei in Mitleidenschaft gezogen worden, aber die Beschäftigten stünden bereit, berichtete Quast. "In solchen Fällen müssen Leihgeräte her, Bagger, Radlader und Lkws." Das Baugewerbe arbeite daran, solche Hilfen aus anderen Unternehmen zu organisieren.

Erhöhte Corona-Gefahr

Nach der Flutkatastrophe sehen die betroffenen Länder auch die Gefahr erhöhter Corona-Risiken, etwa durch Hilfsaktionen oder die Unterbringung in Notunterkünften. "Derzeit kommen viele Menschen auf engstem Raum zusammen, um die Krise gemeinsam zu bewältigen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass die Bewältigung der Katastrophe nicht zu einem Superspreader-Event wird", sagte David Freichel vom Corona-Kommunikationsstab der Staatskanzlei in Rheinland-Pfalz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Das Landesgesundheitsministerium bereite in Absprache mit den Behörden der betroffenen Landkreise eine Sonderimpfaktion in den Katastrophengebieten vor. Viele Rettungskräfte hätten bereits vollen Impfschutz.

Hinzu kommen noch ganz andere Probleme: Nach Polizei-Angaben geben sich in den Katastrophengebieten in Rheinland-Pfalz Rechtsextremisten als "Kümmerer vor Ort" aus. "Wir haben die Lage in Bezug darauf genauestens im Blick (...)", schrieb die Polizei Koblenz am Dienstag auf Twitter. Auch Plünderer machten den Menschen mancherorts zu schaffen.

Mögliche Warnversäumnisse

In der Debatte um mögliche Versäumnisse beim Katastrophenschutz warnten mehrere Politiker und Verbände davor, zu früh mit der Aufarbeitung zu beginnen oder Schuldzuweisungen vorzunehmen. Der Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, forderte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe "nach der akuten Nothilfe eine glasklare Analyse" dessen, was für die Zukunft aus der Unwetterkatastrophe zu lernen sei. Als Beispiel nannte er "Konsequenzen für die künftige Kommunikation bei Extremwetter". So habe etwa das Zusammenbrechen von Festnetz und Mobilfunknetz die Kommunikation erschwert.

Verkehrsminister Andreas Scheuer forderte, dass Betroffene in Zukunft per SMS gewarnt werden. Für den Katastrophenschutz sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. Der Bund hat hier keine unmittelbaren Zuständigkeiten. Bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen können die Länder allerdings zum Beispiel das Technische Hilfswerk (THW) oder die Bundespolizei zur Hilfe anfordern. (APA, dpa, Reuters, red, 20.7.2021)