In Österreich wachsen wir grundsätzlich christlich geprägt auf. Monogamie ist allgegenwärtig. Man ist ein Paar, zieht zusammen, heiratet, sorgt für Nachwuchs, baut ein Haus – das ist das klassische Stufenkonzept von Beziehung. Eine Stufe nach der anderen wird zusammen erklommen. Und zwischendurch geht einer – oder beide? – fremd. Kennen Sie sicher zumindest "von einem Freund".

Die Biologie hat für den Menschen keine Monogamie vorgesehen. Der Gehirnteil des limbischen Systems steuert unsere Urinstinkte – wie zum Beispiel sich mit dem bestmöglichen genetischen Mix zu vermehren. Der Neocortex hingegen, der uns auch Denken und Sprache ermöglicht, verschafft uns die Möglichkeit, uns für ein Beziehungskonzept zu entscheiden. Und jetzt haben wir den Salat: Während wir einerseits die Sicherheit und Geborgenheit in unserer langjährigen Paarbeziehung schätzen, regt sich die Lust auf Nervenkitzel. Und diese wird oft mit einer Affäre gestillt.

Nichtmonogam-Sein geht auch!

Diese Fakten wissen wir. Es liegt in unserer Natur, nichtmonogames Begehren zu verspüren. Ausnahmen bestätigen die Regel. Monogamie kann eine wunderbare Sache sein. Alternativen zur seriellen Monogamie, wie sie bei uns üblich ist, gibt es. Viele Menschen, die in meine Praxis kommen, leiden unter ihrem nichtmonogamen Begehren. Die Gesellschaft stülpt uns über: Es kann keine wahre Liebe sein, wenn wir auch andere begehren. Doch, kann es! Dies sind unterschiedliche Bedürfnisse, die sich in unterschiedlichen Gehirnarealen abspielen.

In der psychotherapeutischen Praxis zeigt sich, dass die meisten Menschen sich für sich selbst vorstellen können, Beziehungen welcher Art auch immer mit verschiedenen Menschen parallel zu führen. Nur würden sie dies für ihre Beziehungsperson nicht wollen. Wenn "meine" Beziehungsperson auch andere begehrt, ist dies eine narzisstische Kränkung. Mit dieser umzugehen braucht den Willen, Hinsehen zu wollen, und viel Selbstreflexion. Mono ist einfacher, da wissen wir ja, wie das geht.

Sex und Liebe spielen oft zusammen, können allerdings auch getrennt voneinander gelebt werden. Es ist erstaunlich, dass Affären, die genauso nichtmonogam, nur nicht einvernehmlich, gesellschaftlich sehr viel mehr toleriert sind als offen gelebte, einvernehmliche, nichtmonogame Beziehungskonzepte.

In unserer Kultur ist ein Paar die erlernte Variante einer Beziehungsbasis. Um also den Großteil der Leserinnen und Leser abzuholen, gehe ich in diesem Artikel auch von einem Paarkonstrukt aus. (Serielle) Monogamie sowie Seitensprünge und längerfristige Affären sind dem Großteil der Leserschaft sicher bekannt, sodass ich nicht weiter darauf eingehe.

Poly, Swingen oder offene Beziehung: Es muss nicht immer monogam zugehen. Das kann einer Beziehung auch guttun.
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Don’t ask, don’t tell

Der Beziehungsrahmen ist klar gesteckt. Beide – oder nur eine Person – haben parallele "Gschichtln" laufen, reden aber nicht darüber. Es wird nicht nachgefragt, man will nichts davon wissen. Und dennoch ist klar, dass es diese "Gschichtln", wie auch immer diese aussehen, gibt. Für die Person, die "das Gschichtl" ist, gibt es praktisch keinen Unterschied zu einer Affäre.

Offene Beziehung

Klassischerweise geht es in offenen Beziehungen um Sex mit anderen. Das bedeutet, es gibt eine klare Paarbeziehung, und beide oder nur eine Person haben ihre "Gschichtln" nebenbei. Auch ganz klassisch wäre hier ein "Vierer-Ding", also ein Paar hat eine eher auf Sex aufgebaute Beziehung zu einem anderen Paar. Die Abgrenzung zum Swingen ist bei dieser Konstellation oft nicht eindeutig.

In offenen Beziehungen ist das Gespräch über oder sogar mit "den Gschichtln" möglich. Die einen wollen jedes Detail wissen, die anderen nur, ob es jemand anderen gibt – vielleicht noch wie intensiv das ist, und bitte keine Details.

Hier kommt durch den offenen Umgang ganz deutlich hervor: Beziehung ist Verhandlungssache. Die Grenze von offenen Beziehungen zu Polyamorie ist durchlässig. Weiters sind Beziehungen wandelbar, und was als "Gschichtl" in einer offenen Beziehung begann, kann sich zur Polyamorie entwickeln.

Swingen

Hier geht es glasklar um Sex. Das limbische System will fremde Haut, und das gesteht man sich zu. Swingen gibt’s übrigens nicht nur im Swingerclub. Das Angebot an privaten Sexpartys ist beachtlich. Der Zugang zu dieser Szene allerdings speziell. High-Class und Diskretion sind wesentliche Faktoren. In den Niederlanden beispielsweise genießen auch Swingerclubs ein ganz anderes Image als hierzulande

Bemerkenswert am Swingen ist der Umgang mit Küssen. Ein Gutteil der Swinger beansprucht Küssen nur für die Paarbeziehung, beziehungsweise andere zu küssen geht nur mit vorheriger Einholung der Erlaubnis der Beziehungsperson. Sex mit anderen zu haben ist beim Swingen Motto. Nachher gemeinsam mit der Sexperson auf einen Kaffee zu gehen kann allerdings Beziehungskrisen auslösen.

Polyamorie und ihre diversen Formen

Die Definition des Wiener Sozialwissenschafters Stefan Ossmann besagt: "Polyamorie, das ist eine konsensuelle Beziehung zwischen mehr als zwei Personen, basierend auf emotionaler Liebe und intimen Praktiken über einen längeren Zeitraum hinweg." Es ist glasklar die oberste Regel: Alle Beteiligten wissen voneinander! Jede Abweichung dieser Regel bedeutet, das ist keine Polyamorie, sondern Fremdgehen.

Polyamorie legt den Fokus auf die emotionale Beziehung und auf ein Commitment zueinander. Auch viele asexuelle Personen leben poly, um ihren Beziehungspersonen deren Bedürfnis nach Sex zuzugestehen, ohne selbst Sex zu haben.

Wie man poly lebt, ist wieder Verhandlungssache, und es kann keine vollständige Beschreibung geben, denn jedes Polykül ist unterschiedlich. Wenn eine Person eine Beziehung mit zwei Personen hat, spricht man von einer V-Beziehung – jede Linie ist eine Beziehung und am Ende jeder Linie steht eine Person. Eine Person mehr im Polykül bedeutet im Normalfall eine N-Beziehung. Eine Triade ist ein geschlossenes System von drei Personen, die jeweils miteinander eine Beziehung führen. Wobei dieses System eigentlich vier Beziehungen beinhaltet: Jede Person führt eine eigenständige Beziehung mit jeder der zwei anderen Personen, und das "Dreier-Ding" wird wie eine eigenständige Beziehung gehandelt.

Ein Einstieg in eine polyamore Beziehung ist oft die hierarchische Polyamorie. Diese ist uns aus unserem Monogamie-plus-Affären-Konzept heraus am nächsten, und bedeutet, es gibt eine sogenannte Primär-Beziehung: Das "Hauptpaar", das klassischerweise gemeinsam wohnt und Finanzen teilt oder auch Kinder hat. Weitere Beziehungen sind sekundär (secundary) oder noch weiter entfernt tertiär (tertiary). Secondaries sieht man klassischerweise ein bis zwei Tage die Woche. Tertiairies sind oft auch Fernbeziehungen, die man zum Beispiel vier Mal im Jahr sieht, und dafür dann mehrere Tage am Stück. Bei egalitärer Polyamorie dagegen sind alle Personen gleichberechtigt.

Beziehungsanarchie

Hier ist der Name Programm. Definitionen von Beziehungen sind nicht erwünscht.

Conclusio, und was bringt’s?

Eigenverantwortung und Bewusstheit. Sich zu erlauben, sich selbst zu fragen: "Wie will ich Beziehung leben?" wirft Fragen auf, deren Beantwortung sehr viel über sich selbst zeigt. Kulturelle Konzepte zu erkennen, die halt so sind, bevor man begann, sie zu hinterfragen. Monogamie gibt uns nur gefühlt mehr Sicherheit. Von heute auf morgen kann die Beziehung zu Ende sein. Einvernehmliche Nichtmonogamie kann zu einem viel selbstbewussteren Leben führen. Kommunikation über die eigenen Bedürfnisse steht regelmäßig am Programm. Die vielfach in monogamen Beziehungen vorherrschende Co-Abhängigkeit wird zugunsten mehr Selbstbestimmung aufgebrochen. Wenn man sich erlaubt hat, Monogamie zu hinterfragen, kann auch diese bewusster gelebt werden. Keine Beziehungsperson "muss" bei uns bleiben. Beziehung ist immer eine Entscheidung. Wenn wir ganz bewusst zu etwas Nein sagen können, dann zählt auch unser Ja sehr viel mehr. In dem Fall das Ja zur Beziehungsperson – in welcher Beziehungsvariante auch immer.

Manche kommen nach einer Zeit der Nichtmonogamie zum Entschluss, dass ihnen das viel zu kompliziert ist und sie doch lieber monogam sein wollen. Was vollkommen in Ordnung ist. Und Sie kennen sicher die Lust am Verbotenen: Sobald etwas nicht mehr verboten ist, ist es oft gar nicht mehr so interessant. (Natascha Ditha Berger, 23.7.2021)