Prangerte einst das Abhören von Oppositionellen an: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.
Foto: AFP / John Thys

"Gazeta Wyborcza" (Warschau): Ein außergewöhnlicher Skandal

"Jeder Staat muss Mittel haben, um Bedrohungen wie Terrorismus und Hackerangriffe auf empfindliche Infrastruktur zu neutralisieren. So ein Mittel ist die berühmte israelische Überwachungssoftware Pegasus, die es ermöglicht, die Verschlüsselung von Messenger-Diensten zu knacken. Das Problem beginnt da, wo eine Regierung es benutzt, um gewöhnliche Bürger oder kritische Journalisten auszuspionieren.

In Ungarn wurde Pegasus zur Verfolgung der unabhängigen Medien genutzt, von denen es im Staate Viktor Orbáns ohnehin nicht mehr viele gibt. Das ist ein außergewöhnlicher Skandal – zunächst übernimmt eine autoritäre Regierung mithilfe ihr nahestehender Geschäftsleute Zeitungen und Internetportale, und jetzt späht sie diejenigen aus, die ihr noch als Letzte auf die Finger schauen. Das ist ein klassisches Beispiel für Machtmissbrauch. Ein EU-Mitgliedsstaat verwendet eine technische Lösung, die zur Gewährleistung der Sicherheit nötig ist, um eines der Fundamente des Rechtsstaats zu ersticken: die Freiheit des Wortes."

"Sme" (Bratislava): Von der demokratischen Familie entfernt

"Es hing ja irgendwie in der Luft. Regime, die ihre Kritiker und Journalisten als Feinde der Nation betrachten, mussten früher oder später der Versuchung erliegen, ihren direkten Draht zu den Chefs ihrer Geheimdienste zu nutzen. (...) Die Liste der Länder, die die Spionagesoftware Pegasus missbrauchten, zeigt wieder einmal, wie gefährlich sich Ungarn von der demokratischen Familie entfernt und sich mit seinen Regierungsmethoden Ländern wie Aserbaidschan, Bahrain, Togo, Ruanda oder Saudi-Arabien annähert.

Und das geschieht, obwohl einst (Ungarns Ministerpräsident) Orbán gerade mit der Kritik an einem Abhörskandal seine Karriere begann. (...) Das Abhören von Oppositionsparteien, das die Kommunisten praktiziert hätten, sei in einer Demokratie inakzeptabel, sagte er in einer damaligen Ansprache. (...) Jetzt schreit Orbán nicht auf. Die Vertreter seiner Regierung wiederholen nur, dass Ungarn in Übereinstimmung mit den Regeln des Rechtsstaats handle. Dabei hat Orbán auch vorher schon keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen als Sicherheitsrisiko betrachtet."

"Le Monde" (Paris): Einhaltung der Menschenrechte?

"Wie konnte man ernsthaft so tun, als glaube man einem Unternehmen, das seine digitale Überwachungssoftware an autoritäre Regime wie Aserbaidschan verkauft und gleichzeitig mit der Hand auf dem Herzen behauptet, dass es sehr auf die Einhaltung der Menschenrechte achtet?

Weil Pegasus wenig kostet, liegt die Software für alle Staaten in Reichweite. Sie ermöglicht es Ländern wie Marokko oder Ungarn, deren eigene 'Cyber'-Fähigkeiten schwach sind, sofort Zugang zu sehr mächtigen Spionagefähigkeiten zu bekommen – und den damit verbundenen Versuchungen."

"Straubinger Tagblatt" (München): Gegen die freiheitlichen Grundwerte

"Nein, das ist nicht nur ein Angriff auf Journalisten und Medien, auf Oppositionelle und Aktivisten, die ein Stachel im Fleisch ihrer jeweiligen Regierungen sind. Es handelt sich um eine Attacke auf uns alle. Denn Regierungen, die die umstrittene, in Israel entwickelte Pegasus-Software zum Angriff auf die Pressefreiheit missbrauchen, richten sich gegen die freiheitlichen Grundwerte, denen sich Deutschland und Europa verschrieben haben, insgesamt."

Zu den Betroffenen der Handyüberwachung zählt laut den Recherchen des
Journalistenkonsortiums auch Hatice Cengiz, die Verlobte des 2018
ermordeten saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi.
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"Frankfurter Rundschau" (Frankfurt): Nicht mehr zu kontrollieren

"Die Pegasus-Enthüllungen zeigen, wie verlogen Begründungen wie 'Terrorbekämpfung' oder 'Kampf gegen Pädophilie' sind, wenn es nur darum geht, den Datenschutz für Sicherheitsbehörden auszuhebeln. Die gnadenlose Logik aller digitalen Überwachung lautet: Einmal ausgerollt, lässt sie sich nicht mehr kontrollieren. (...) Da hat sich ein komplettes System verselbstständigt und arbeitet außerhalb jeglicher rechtstaatlicher Kontrolle."

"Der Tagesspiegel" (Berlin): Vom Horror, abgehört zu werden

"Welchen Horror das Abhören für die Betroffenen bedeutet, ist schwer zu ermessen: Keine Information, kein Treffen, keine Bewegung ist sicher. Auch Privates wird in autoritären Regimen ja gerne gegen Missliebige verwendet. Man muss sich also immer verstellen, falsche Fährten legen oder ins Exil gehen – wo man dann vor Ausspähung, Entführung oder Ermordung allerdings auch nicht sicher ist. Wie im Fall des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi." (APA, red, 20.7.2021)