Daten des Spitzer-Weltraumteleskops der US-Raumfahrtbehörde Nasa zeigen Mineralwolken um einen Braunen Zwerg.
Foto: Nasa / JPL-Caltech / T. Pyle (SSC)

Beinahe zu leicht und zu kalt für einen Stern, aber auch kein Planet – Braune Zwerge nehmen unter den Himmelskörpern eine Sonderstellung ein. Die Astrophysikerin Christiane Helling hat sich schon früh auf die Wolkenbildung dieser ungewöhnlichen Sterne spezialisiert und bringt dieses Wissen nun in die Exoplanetenforschung ein. Die in Schottland tätige Forscherin wurde soeben zur neuen Direktorin des Grazer Instituts für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften bestimmt und wird das Amt im Oktober antreten.

STANDARD: Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit Braunen Zwergen, was fasziniert Sie an diesen speziellen Himmelskörpern?

Helling: Braune Zwerge sind die masseärmsten Sterne, die wir kennen. Ihre Masse liegt im Bereich der massereichsten Planeten. Das birgt ein ganzes Portfolio an spannenden Fragestellungen zur Entstehung von Sternen und auch von Planeten. Außerdem ermöglichen uns Braune Zwerge eine Art von Archäologie des Universums. Da sie so massearm sind, geht ihre Entwicklung unglaublich langsam vonstatten. Die ersten Braunen Zwerge, die entstanden sind, existieren noch immer. Wenn wir es schaffen würden, diese sehr alten Objekte zu beobachten, könnten wir eine chemische Archäologie des Universums aufstellen.

Christiane Helling ist Dozentin für Astronomie in St Andrews.
Foto: www.chrisscottphotography.co.uk

STANDARD: Die Wolkenbildung steht im Fokus Ihrer Forschung. Was macht die Wolken von Braunen Zwergen so besonders?

Helling: Braune Zwerge sind jene Objekte, bei denen Wolkenbildung zum ersten Mal außerhalb unseres Sonnensystems entdeckt wurde. Sie waren auch die ersten Himmelskörper, bei denen Mineralwolken beobachtet werden konnten. Das sind keine Wolken aus Wasser, wie sie in der Erdatmosphäre vorkommen, sondern Wolken aus Edelstein. Um die Wolkenbildung von Braunen Zwergen verstehen zu können, braucht es viele verschiedene Wissenschaftsgebiete – die Chemie und die Physik ebenso wie die Geologie und Biologie. Diese Möglichkeit, ganz verschiedene Disziplinen miteinzubeziehen und voneinander zu lernen, fasziniert mich sehr an der Forschung zu Braunen Zwergen und zu Exoplaneten.

STANDARD: Was lässt sich von Braunen Zwergen für die Erforschung von Exoplaneten lernen?

Helling: Die Forschung zur Wolkenbildung von Braunen Zwergen hat uns geholfen, die Atmosphärensimulation für Exoplaneten voranzubringen. Mein Doktorvater hat vor langer Zeit zu mir gesagt: "Was, du willst doch nicht etwa Wolkenbildung an Braunen Zwergen studieren?" Und jetzt ist genau das einer der wesentlichen Forschungsbereiche, der sich weiterentwickeln muss, um Exoplaneten verstehen zu können.

STANDARD: Warum spielen Wolken so eine wichtige Rolle?

Helling: Es gibt ganz verschiedene Exoplaneten: Wir kennen Supererden oder Mini-Neptune, superheiße Jupiter oder Magma-Exoplaneten. Schon die Namen verdeutlichen die große Vielfalt. Viele Exoplaneten haben eine Atmosphäre. Und wenn wir Exoplaneten beobachten, verdeckt uns die Wolkenschicht die Sicht in die tiefere Atmosphäre und auf die Oberfläche. Wir sehen nicht, ob da Bäume wachsen oder eine wüstenähnliche Oberfläche vorhanden ist. Deswegen untersuchen wir mit Klimasimulationen und Beobachtungen, wie Wolken sich in den verschiedensten Planetenatmosphären bilden und wie sie mit ihren Umgebungen wechselwirken.

STANDARD: Wie unterscheiden sich die Wolken von Exoplaneten von jenen der Erde?

Helling: Auf der Erde sind Wolken wesentliche Lebensspender. Es ist lebensnotwendig, dass das Wasser zur rechten Zeit am rechten Ort abregnet. Doch diese Vorstellung ist sehr erdzentriert. Immer wenn wir uns Exoplaneten angesehen haben, stellte sich heraus, dass die Wolkenchemie ganz anders ist als das, was wir von der Erde kennen. Wir müssen in der Exoplanetenforschung daher alle Theorien, die wir für die Erde entwickelt haben, dahingehend überprüfen, ob sie auch für andere Planeten angewendet werden können.

STANDARD: Sie treten Ihre Stelle als Direktorin des Instituts für Weltraumforschung im Oktober an. Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?

Helling: Ich sehe drei große Aufgabenbereiche für das Institut für Weltraumforschung: erstens die Auseinandersetzung mit der atemberaubenden Vielfalt der Exoplaneten und ob sie Leben beherbergen. Zweitens Fragen zum Finetuning: Warum ist unser Sonnensystem so perfekt auf unsere Existenz abgestimmt, und ist so ein Finetuning für die Entstehung für Leben notwendig? Drittens müssen wir uns der Verantwortung stellen, die die Menschheit für unseren Planeten hat – dazu hat das Institut schon in der Vergangenheit viel beigetragen und wird das auch zukünftig fortsetzen.

STANDARD: Worin besteht die gesellschaftliche Relevanz von Weltraumforschung?

Helling: Es gibt offensichtliche Zusammenhänge zwischen Exoplanetenforschung und Klimaforschung, etwa wenn es um die Wolkenbildung geht. Es geht aber auch im größeren Sinne um Erkenntnisgewinn: Wie würden wir mit einer außerirdischen Spezies kommunizieren? Was ist unser ethisches Bewusstsein für das Zusammentreffen mit anderen Zivilisationen? Solche Fragen können uns helfen, grundlegend darüber nachzudenken, wie wir Menschen auf der Erde miteinander umgehen. Bei künftigen Weltraummissionen wird sich die Frage stellen, wie wir uns gegenüber anderen Spezies verhalten: Benehmen wir uns im All wie Kolonialmächte, oder gelingt es uns, nachhaltige Strategien zu entwickeln? (Tanja Traxler, 21.7.2021)