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Geht es um die richtige Ernährung, hat fast jeder Mensch eine Meinung dazu. Oder zumindest eine Vorstellung davon. Denn Essen ist eines der emotionalsten Themen überhaupt. Man kann schließlich auf vieles verzichten, aber nicht dauerhaft auf Nahrungszufuhr. Dazu kommt, dass man damit wahnsinnig viel Geld verdienen kann. Nicht umsonst kommt praktisch im Wochentakt ein neuer Ernährungsratgeber auf den Markt, von Paleo über Sirt-Food bis zu Clean Eating. Mittlerweile gibt es sogar Genom-Tests, die herausfinden sollen, ob man eher der Kohlehydrattyp ist, also die Carbs gut verträgt, oder doch eher zu Eiweiß greifen sollte, um sein Gewicht im Griff zu haben.

All diese Angebote eint, dass sie die ultimative Lösung für sämtliche essensbezogene Probleme versprechen. Doch leider gibt es diese Lösung nicht. Hätte jemand tatsächlich die perfekte Ernährungsform gefunden, würde die Person wahrscheinlich zu den reichsten Menschen auf dem Planeten gehören. Denn mit dem Thema beschäftigt sich fast jeder irgendwann in seinem Leben, bei manchen nimmt das sogar pseudoreligiöse Züge an, man definiert sich über seine Art zu essen oder auch darüber, was man aus dem täglichen Speiseplan streicht. Gibt es also eine gesunde Ernährungsweise, die auch allgemeingültig ist?

Das beantwortet der deutsche Ernährungswissenschafter Uwe Knop eindeutig mit Nein: "Es gibt auf die Frage, wie gesundes Essen funktioniert, keine wissenschaftlich abgesicherte Antwort, das ist das große Problem in der Ernährungsforschung. Gesunde Ernährung ist möglich, keine Frage, aber die sieht für jede Person anders aus." Wie weiß man also, was für einen gesund ist? Drei grundlegende Parameter legt Knop dafür fest – und die sind tatsächlich allgemeingültig: Man muss erstens ausreichend Essen zur Verfügung haben, um auch satt zu werden. Zweitens sollte man aus einer Vielfalt an guter Qualität auswählen können. Und drittens muss diese zu einem vernünftigen Preis zur Verfügung stehen.

Trend zur personalisierten Ernährung

Davon abgesehen gibt es keine allgemeingültigen Regeln, wie Knop betont, im Gegenteil: "Es gibt so viele gesunde Ernährungsformen, wie es Menschen gibt, denn jeder Mensch is(s)t anders." Der Trend und auch der Fokus in der Forschung geht deshalb in Richtung Precision Nutrition, also Personalisierte Ernährung. Das bedeutet, jeder Mensch muss für sich selbst herausfinden, was ihr oder ihm guttut. Das ist zugegebenermaßen gar nicht so einfach, viele Menschen hätten gerne externe Leitplanken, an denen sie sich orientieren können. "Das In-sich-Hineinhören und Erkennen der eigenen Bedürfnisse sorgt oft für ein großes Fragezeichen", weiß Knop. Und trotzdem plädiert er für intuitives Essen.

Dabei geht es darum, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. Also zu erkennen, wann man Hunger hat, und dann zu dem zu greifen, was einem guttut. Es macht etwa keinen Sinn, sich zum Frühstücken zu zwingen, wenn man am Morgen gar nicht hungrig ist. Ebenso wenig sollte man zu viele Vollkornprodukte essen, wenn man einen empfindlichen Magen oder Darm hat, auch wenn man das immer hört. Die vielen Ballaststoffe tun einem dann nicht gut, man verträgt etwa Weißbrot definitiv besser.

Das Grundproblem dabei: Viele Menschen haben wenig oder keinen Kontakt zum eigenen Körper, seine Botschaften und Bedürfnisse werden ignoriert oder zur Seite geschoben. Doch diese zu erkennen ist wesentlich. Ein paar Tipps, wie man sie wahrnimmt, gibt es aber. Oberstes Gebot ist, nur dann zu essen, wenn man wirklichen biologischen Hunger hat. Der macht sich bemerkbar mit Grummeln in der Magengegend, mit Leistungsabfall oder auch mit schlechter Laune. Im englischsprachigen Raum gibt es ein schönes Wort dafür: "hangry", eine Mischung aus "hungry" und "angry". Trotzdem kann man diesen Hunger aushalten oder sogar wegschieben.

Echten Hunger spüren

"Hat man diesen echten Hunger, sollte man nur das essen, worauf man Lust hat, was einem gut schmeckt und was man auch gut verträgt, und daran soll man sich lustvoll und mit Genuss satt essen", betont Knop. Er nennt das intuitive Ernährung. Klar, es braucht etwas Zeit um herauszufinden, wie die funktioniert: "Jeder Mensch hat einen individuellen Stoffwechsel, eine eigene Chronobiologie. Manche brauchen etwa unbedingt ein ausgiebiges Frühstück. Andere wiederum können nicht auf das Abendessen verzichten. Auf das muss man Rücksicht nehmen." Er plädiert daher dafür, sich von allen Dogmen und Regeln, die man im Lauf der Zeit gelernt hat, freizumachen – eine Art kulinarische Katharsis also – und herauszufinden, was einem wirklich guttut. Denn das ist die natürlichste Ernährungsform des Menschen.

So schwierig ist das auch deshalb, weil Emotionen und der emotionale Hunger beim Essen eine enorme Rolle spielen – im positiven wie im negativen Sinn. "Stillt man einen echten Hunger mit etwas, das einem so richtig schmeckt, belohnt einen der Körper dafür mit einem unglaublichen Wohlgefühl aus der Tiefe des Bauchs heraus. Diese Gefühle sollten beim Essen im Fokus stehen."

Doch oft hat man es mit einem emotionalen Hunger zu tun. Da isst man nicht aus Hunger, sondern aus Frust, Gewohnheit, Kummer, Langeweile, um sich abzulenken und mehr. "Ab und zu ist natürlich auch das in Ordnung. Aber wenn man merkt, das macht man bald jeden Abend, dann sollte man schon aufpassen, dass sich das nicht verselbstständigt", betont Knop. Es geht also darum, zwischen echtem Hunger und Futter für die Psyche unterscheiden zu lernen.

Gesund essen gegen Corona?

Ein weiterer Grund, warum die richtige Ernährung so ein heißes Thema ist, ist ihr Versprechen von Gesundheit. Isst man gesund, dann bleibt man lange fit. Und auch in Bezug auf Corona gibt es immer wieder Aussagen, die andeuten, dass man die Infektion mit dem richtigen Essen in den Griff bekommen könne. Doch Knop winkt ab: "Das hört sich plausibel an, aber das sind alles Aussagen ohne wissenschaftliche Kausalevidenz. Auch wenn man über Jahrzehnte gelernt hat, was gesunde Ernährung sein soll, kann das niemand wissenschaftlich bestätigen. Das wäre eine Primärprophylaxe, die das Eintreten von Krankheit erst gar nicht zulassen oder Verläufe abmildern soll. Aber es gibt keine Daten, die das beweisen."

Es gibt nur einen kleinsten gemeinsamen Konsens: Iss vielfältig, abwechslungsreich, frisch und in Maßen. Das ist der beste Weg, um sich Gutes zu tun. Garantie ist es aber keine. Denn die Gesamtgesundheit hängt von vielen Faktoren ab, etwa wie viel Stress man hat, ob man gute Beziehungen hat, ob man sich ausreichend bewegt, wie die genetischen Voraussetzungen sind und mehr.

Als Beispiel für möglichst gesundes Leben gelten die sogenannten Blue Zones. Das sind insgesamt sieben Weltgegenden, wo es besonders viele fitte über Hundertjährige gibt. Dazu gehören etwa die griechische Insel Ikaria, eine Region auf Sardinien oder auch Okinawa in Japan. Das Interessante: In all diesen Regionen isst man "gesund", trotzdem gibt es keine einheitliche Ernährung. Was dagegen alle vereint, ist ein gutes Resilienzvermögen, also die Fähigkeit, Stress nicht zu stark werden zu lassen.

Intuitiv essen und fasten

Einen einzigen "Ernährungshype" gibt es, den Knop gut findet: das Intervallfasten, und zwar das intuitive. Dieses Konzept vereint seine Erkenntnisse und die von Andrea C. Chiappa, dem Leiter der Deutschen Fastenakademie. "Dabei handelt es sich nicht um eine Diät oder eine fixe Ernährungsform. Es verbindet einfach das Beste aus zwei Welten." Man isst nämlich nur dann, wenn man echten Hunger verspürt, und zwar so viel, bis man entspannt satt ist. Danach hat man, je nach individuellem Bedarf, eine längere Essenspause. In der kann dann die Autophagie stattfinden, eine Art körpereigenes Recyclingprogramm, das alte und beschädigte Zellreste entsorgt. Dieser Prozess ist auch wissenschaftlich nachgewiesen, seine Entdecker haben dafür im Jahr 2016 den Medizin-Nobelpreis erhalten.

Diese Essenpause, in der wirklich keine Kalorien aufgenommen werden, auch nicht über Getränke, kann, so Knop, unterschiedlich lang sein, vier, acht oder auch sechzehn Stunden: "Das ist keine sportliche Disziplin, kein Druck und auch kein Zwang. Es geht nicht ums Durchhalten, sondern darum, den für sich besten Ernährungsstil zu finden, größtmögliches Vertrauen in den eigenen Körper zu entwickeln und nur dann zu essen, wenn man eben echten Hunger hat. Es gibt keine starren Regeln, sondern man richtet sich nach der persönlichen Chronobiologie, je nach Bedarf verzichtet man etwa in der Früh oder doch am Abend auf Essen." Damit kann man übrigens auch abnehmen, muss es aber nicht, auch wenn es oft so verkauft wird. Denn es ist definitiv keine Diät, sondern einfach eine intuitive Form der Ernährung.

Keine Verbote

Doch egal, welche Ernährungsform man für sich gefunden hat, eines ist ganz wichtig: Es gibt keine Verbote. Alles, was es in Österreich zu kaufen gibt, ist erlaubt, man muss vor nichts Angst haben. Die Frage ist immer nur, was verträgt man gut und womit fühlt man sich wohl. "Wir leben hier im Schlaraffenland. Wir haben eine Vollversorgung, das gab es vorher noch nie in der Geschichte. Die Auswahl in den Geschäften in der Qualität, dieser Frische und zu diesem Preis ist ein echter Luxus. Das muss man sich einmal bewusst machen", betont Knop.

Und er ergänzt: "Allen, die sich darüber aufregen, was die Lebensmittelindustrie alles treibt, kann ich nur sagen, sie müssen diese Dinge ja nicht kaufen. Es gibt unendlich viele andere Produkte zur Auswahl. Und gleichzeitig gibt es eine riesige Angst vor dem Essen, das ist doch absurd. Es braucht wieder viel mehr Wertschätzung und Respekt für die Lebensmittel. Und man soll nicht mehr so viel wegwerfen!" (Pia Kruckenhauser, 25.7.2021)