Ferdinand Schmalz im Maul eines Plastikdinos. In einem solchen spielt auch der Showdown seines Romandebüts.

Foto: Apollonia T. Bitzan

Wo führt das alles hin?", klagen Norbert und Harald. Die Welt sei nicht mehr normal, die grassierende Hitzewelle etwa gilt ihnen dafür nur als ein Beweis. "Schau rein mal da in die Gesichter all der durch die Städte Taumelnden. Schau rein ins ausdruckslose Antlitz all der willenlosen Ameisen, die durch die Straßen ziehen", schreit Harald. Es ist ein schöner Kniff, dass die beiden Putzmänner der Firma Schimmelteufel ihre Klagen über die Gegenwart uns ausgerechnet in einem Dinosaurierpark servieren, dessen Plastikbewohner sie schrubben. Mitten im Vergangenheitsutopia sind sie von der heutigen Welt überfordert.

Ferdinand Schmalz – 1985 schnöde als Matthias Schweiger in Graz geboren – ist eben ein Autor mit Sinn für Sprachwitz und Situationshumor. Das weiß man schon von seinen hoch erfolgreichen Theaterstücken. In am beispiel der butter sezierte Schmalz etwa gesellschaftliche Strukturen anhand einer Butterfabrik (2014), in dosenfleisch ging es um mysteriöse Autounfälle (2015), im herzerlfresser bedrohte eine Mordserie das Prosperieren eines neuen Shoppingcenters (2015), in der thermale widerstand wurde ein Physiotherapeut zum Kämpfer gegen Zweiklassenmedizin (2016), und in der tempelherr geriet 2019 ein Einfamilienhausbau aus den Fugen. Dazwischen hat er fürs Burgtheater den jedermann neu getextet. Das alles natürlich mehrfach ausgezeichnet.

Volkstümlich-abstrus

Man sieht schon: Schmalz verbindet gerne das Volkstümliche mit dem Abstrusen. In seinem heute, Mittwoch, erscheinenden Romandebüt Mein Lieblingstier heißt Winter ist das nicht anders. Die beiden Putzmänner spielen darin eher Nebenrollen, im Zentrum steht der Tiefkühlkostlieferant Franz Schlicht. Man kennt ihn schon von Schmalz’ Bachmannpreis-Siegertext 2017, worin er einem krebskranken, todessehnsüchtigen Herrn Rehragout ausliefert. Der eröffnet ihm, er wolle sich in seinem Keller einfrieren, und Schlicht solle ihn in seinem Kühltransporter abholen und zum Auftauen auf eine Waldlichtung liefern.

Rund um dieses Kapitel hat Schmalz auf 190 Seiten eine Kriminalgeschichte gebaut: Als Schlicht nun der Bitte zur Abholung nachkommen will, ist die Kühltruhe im Keller aber leer, und er wird von Astrid, der Tochter des Alten, ertappt. Der Verbleib des Rehragoutfreunds ist aber nicht das einzige Rätsel.

Denn das Buch steckt voller kurioser Charaktere. Jeder von ihnen hat ganz eigene Defizite, die Schmalz mit viel Lust ausgestaltet. Die Putzfirmenchefin Frau Teufel schlägt die Stimmgabel an ihrem Kniegelenk etwa so fest an, dass es schmerzt. Aber nur dadurch lasse sich dieser harmonische Ton erzeugen, denkt sie mit dialektischer Schärfe. Astrid wiederum ist Zahntechnikerin und baut in dieser Funktion Keramikzähne. Jeder wird ein Kunstwerk durch spezifische Makel, die sie ihm verpasst, damit er zu den noch vorhandenen Zähnen in den faulen Mündern passt. Der Schmerz, wenn sie sich von ihren Meisterstücken trennen muss, ist so groß, dass sie immer noch ein Duplikat gießt, es zu Hause noch schöner anmalt und in der Hosentasche herumträgt.

Auch die Schimmelteufel-Chefin und Astrid sind aber lediglich Teil eines größeren Ganzen, in dem ein hoher Ministerialrat in seinem Schlafzimmerschrank Nazichristbaumschmuck sammelt und überhaupt korrupt ist. Stichworte: Schwarzgeld und Drohung.

Man möchte sagen, es ist in dieser "mittelgroßen Stadt" an der Donau alles sehr österreichisch. Nicht zu vergessen die Sprache! Die sitzt mit ihren verdrehten, sehr am Mündlichen orientierten Satzstrukturen irgendwo zwischen Wolf Haas’ Brenner-Reihe und – in der Ferne – Elfriede Jelinek. Sonnenstrahlen fallen folglich "runter schwer, fallen aus der Sonne raus" und auf den Kopf des durch Simmering taumelnden Protagonisten, denn sie sind "halt nicht nur Welle, sondern Teilchen auch. Weil es ja beides ist, das Licht, drum trifft es ihn, den Schlicht, jetzt doppelt hart."

Exzentrik und Politik

Kann diese auf der Bühne sensationell verhatschte Kunstsprache gedruckt funktionieren? Zugegeben, man hört sie etwas lieber. Ist das ein zeitgenössischer Heimatroman? Er ist kritisch, für ein echtes Gesellschaftsporträt aber zu überspitzt, hat zu viel Freude am Abseitigen, Exzentrischen und am Fabulieren – auch wenn man meint, dass der Text stellenweise gerade gut zur heimischen Politik passt.

So scheint die Gemengelage trotz origineller Einfälle am Ende etwas dünn, und die um eine wohlsituierte Clique von Weltskeptikern, die sich vor "Informationsnacktheit" und einem "europäischen Bürgerkrieg" fürchten oder des Subjektseins überdrüssig Tiefschlafexperimente vollführen, gesponnene Geschichte plätschert mehr nach dem additiven Prinzip dahin. Das aber hochsympathisch. (Michael Wurmitzer, 21.7.2021)