Wunschlos glücklich: Die Galerie zeigt einen Teil der über 50 Fahrten, die die Welser Engel bereits absolviert haben.

Werner Dedl

Am Ende des Lebens wünscht sich Florian Aichhorn eine Currywurst.

Werner Dedl

Linz – Engel müssen nicht im Himmel wohnen. Manche bevorzugen einen unscheinbaren Hinterhof in Wels. Zwischen den grauen Garagentoren und dem hektischen Treiben angrenzender Firmen deutet hier auf den ersten Blick nichts auf einen Flügerl-Stützpunkt der ganz besonderen Art hin.

Doch wie so oft lohnt ein zweiter Blick. Eine der Garagen ist mit einem blauen Teppich ausgelegt. Darin parkt ein Kleinbus. Himmelblau lackiert mit einem großen Engel an den Seitenfronten. Der erste Gedanke an ein Ausflugsfahrzeug einer Kirchengemeinde ist für Florian Aichhorn nicht neu. Der 41-Jährige hat an einem großen Tisch in einem zum Büro umfunktionierten Garagenbereich Platz genommen. "Sogar bei einer Polizeikontrolle hat man das einmal geglaubt." Wobei die eigentliche Aufgabe des Vereins "Rollende Engel" ohnehin dem Prinzip der Nächstenliebe und dem karitativen Gedanken nicht näher sein könnte.

Keine großen Wünsche

Florian Aichhorn und sein ehrenamtliches Team starten ihren Bus in einem Moment, in dem eigentlich nicht mehr viel geht. Die Endlichkeit des Lebens ist hier fixer Reisebegleiter. Und auf der langen Liste der Wünsche ist man ganz unten angekommen – bei dem einen, dem letzten Wunsch.

Noch einmal mit den Kindern Weihnachten feiern, bei der Hochzeit der Enkelin dabei sein, Giraffen füttern im Zoo, einmal noch ins Fußballstadion, das Grab besuchen, in dem man bald liegen wird. Es stehen am Ende des Lebens meist nicht die großen Wünsche. Und doch sind sie oft die Brücke hin zum letzten Weg. Eine Möglichkeit, um loszulassen – für Betroffene und Angehörige.

Florian Aichhorn hat es sich, gemeinsam mit seinem Team, zur Aufgabe gemacht, schwerkranken Menschen diese letzten Wünsche zu erfüllen. Hauptberuflich ist Aichhorn eigentlich Tourmanager. Ein Leben an der Seite nationaler und internationaler Pop- und Schlagergrößen. Drei Handys in der Tasche, jederzeit bereit, Wünsche zu erfüllen. Jene, die auf der langen Liste der Wünsche noch ganz oben stehen. Wenn das Catering nicht schmeckt, das Mineralwasser nicht ausreichend sprudelt oder die Glitzerhose zwickt.

Doch mit Corona kam der plötzliche Stillstand im hektischen Tourleben und somit auch für Aichhorn der Moment der Entschleunigung. Und in dieser Phase der inneren Einkehr erlebte der langjährige ehrenamtliche Sanitäter seinen Schlüsselmoment. "Ich war in einem Restaurant mittagessen und bin mit einer Familie am Nebentisch ins Gespräch gekommen. Als ich den kleinen Buben gefragt habe, was er einmal werden will, sagt der: ‚Nix.‘ Wie ,nix‘? Und der Kleine schaut mich an und sagt: ‚Eigentlich müsste ich schon tot sein.‘"

Lebensrallye

In weiteren Gesprächen wird klar, dass der damals Fünfjährige an einer seltenen Krankheit leidet – und die ärztlich prognostizierte Lebensdauer bereits deutlich überschritten hatte. Was Florian Aichhorn von dem berührenden Treffen mitnimmt, ist der Wunsch des Kleinen, einmal "mit einem Rallyeauto zu fahren".

Das Organisationstalent greift zum Telefon und stellt in kürzester Zeit eine Rallyefahrt samt Rallyefahrer für das schwerkranke Kind auf die Beine. Und die Idee für den Verein Rollende Engel war geboren.

Doch Engagement, Ehrenamt und Umsetzungswille spießen sich in Österreich gerne mit Bürokratie, Unverständnis und Sturheit. "Neun Monate und viel Geduld hat es gebraucht, bis ich die entsprechenden Genehmigungen bekommen habe", erzählt der Vereinsobmann im STANDARD-Gespräch.

Es beginnt bei der gesetzlichen Hürde, dass es in Österreich dem Rettungswesen vorbehalten ist, Patienten liegend zu transportieren. Hinzu gesellten sich die Kammervertreter, die in dem Verein ein Transport- und Taxiunternehmen sahen. "Wir sind kein Taxibetrieb. Die Menschen fahren genau einmal mit uns mit."

Doch scheinbar Unmögliches möglich zu machen ist des Tourmanagers täglich Brot. Und so parkt heute, nach einer pandemiebedingten Zwangspause, der "Rollende Engel" in der blauen Garage. Und an der Wand gegenüber hängen Fotos von zahlreichen Wunschfahrten. Lachende Gesichter. Menschen, die glücklich scheinen. Menschen, die ein letztes Hakerl auf ihrer Lebenswunschliste gemacht haben.

Emotionale Fahrt

Doch vor dem in Bildern festgehaltenen Frieden mit sich und der Welt steht meist eine hochemotionale Wunschfahrt. "Es kommen natürlich viele Gefühle hoch. Vor allem bei mitfahrenden Angehörigen", erzählt Aichhorn. Mit ein Grund, warum die Engel immer als Team unterwegs sind. "Zuerst wird natürlich abgeklärt, welche medizinische Betreuung ein Patient braucht. Aber es geht auch um die Betreuung der Angehörigen. Da gibt es oft Tränen, und dann braucht es eine starke Schulter zum Anlehnen." 28 Ehrenamtliche sind heute für den Verein tätig. Und dafür verantwortlich, dass ein Wunsch innerhalb von acht Stunden erfüllt wird. "Eines haben nämlich unsere Patienten nicht: ewig Zeit."

Prosecco und Sauerstoff

Aichhorn öffnet die Seitentür des umgebauten Schulbusses. Spezielle Lichtdesigns, Flachbildfernseher, DVD-Player, Kühlschrank, Rundumverglasung, eine Kameraverbindung in die Fahrerkabine. Wohlfühlambiente statt Krankenhaus-Flair. Gut versteckt fährt aber dennoch alles an medizinischem Equipment mit, was in einem Ernstfall benötigt wird. "Du findest hier vom kleinen Prosecco-Flascherl bis zum Sauerstoffgerät alles", erläutert der Obmann. Den Bus hat das Team aber nicht nur im Inneren entsprechend adaptiert: "Das Fahrzeug hat eine spezielle Luftfederung. Wir haben mitunter Patienten, denen Erschütterungen enorme Schmerzen bereiten."

Doch wohin mit den eigenen Gefühlen? Wer federt die Emotionen im Team nach einem oft letzten Ausflug ab? Florian Aichhorn hat wieder am Besprechungstisch Platz genommen. Natürlich gebe es immer wieder Momente, die einem sehr nahegehen. "Gerade bei Kindern. Aber wir haben ein sehr erfahrenes Team, und wir setzen uns nach jeder Ausfahrt zusammen und reden."

Aber die Aufgabe bringe natürlich auch persönliche Veränderungen mit sich: "Man denkt darüber nach, was wirklich wichtig ist im Leben. Es kann halt so schnell gehen. Jeder von uns kann morgen mit Kopfweh zum Arzt gehen und die Diagnose bekommen, dass er nur mehr kurz zu leben hat." Das habe ihn zu einem gewissen Grad auch zu einem Hypochonder werden lassen. "Wenn’s im Hals heute kratzt, denke ich mir schon schneller: ‚Na hoffentlich ist das nichts Ernstes!"

Gefragt nach seinem letzten Wunsch, muss Florian Aichhorn nicht lange überlegen: "Einmal noch eine Currywurst in Berlin." (Markus Rohrhofer, 21.7.2021)