Iwan Safronow sitzt seit einem Jahr wegen des Verdachts auf Hochverrat in Untersuchungshaft. Worum es bei den Vorwürfen konkret geht, hält der FSB geheim. Der Journalist ist kein Einzelfall.

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Seit einem Jahr sitzt Iwan Safronow in Untersuchungshaft. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB nahm ihn Anfang Juli 2020 auf dem Weg zur Arbeit wegen Verdachts auf Hochverrat fest. Der 31-Jährige hatte die letzten Monate vor seiner Verhaftung als Berater von Dmitri Rogosin, dem Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, gearbeitet.

Doch die Vorwürfe sind nicht an seine Zeit bei Roskosmos gekoppelt, sondern an seine Korrespondententätigkeit. Safronow war nämlich jahrelang Militärkorrespondent bei zwei russischen Tageszeitungen und schrieb dort über Skandale bei den russischen Streitkräften; erst beim "Kommersant" und später dann bei den "Vedomosti", die er verließ, als dort auf Geheiß von oben ein neuer Chefredakteur eingesetzt wurde.

Unkonkrete Anklage

Laut FSB hat er als Journalist mit dem tschechischen Geheimdienst zusammengearbeitet, der für die USA Informationen über Russlands "Rüstungskooperation mit einem nahöstlichen Staat" sammelte. Worum es konkret geht, hält der FSB bis heute geheim. Selbst auf Safronows Forderung, die Anklage zu konkretisieren, reagierte die Staatsanwaltschaft nicht.

Möglicherweise geht es um Artikel, die er vor Jahren über Waffenlieferungen an Ägypten geschrieben hat. Dabei war Safronow als Journalist kein Geheimnisträger. Er unterlag also auch keiner Schweigepflicht.

Allerdings haben die russischen Sicherheitsorgane seit 2014 ohnehin die Bedingungen aufgeweicht, die zu einer Verurteilung wegen Hochverrats führen können. Und so ist Safronow beileibe kein Einzelfall: Dutzende standen deshalb in den letzten Jahren vor Gericht.

Neue Richtlinie bei der Beurteilung

Sicher waren auch einige Epaulettenträger darunter, daneben aber auch Wissenschafter, Journalisten und einfache russische Bürger, bei denen oft unklar ist, wie sie überhaupt an vertrauliche Informationen gekommen sein sollen.

Das ist für eine Verurteilung aber auch gar nicht nötig, wie der FSB nun mit seinem Gesetzesprojekt für eine neue Richtlinie bei der Beurteilung solcher Fälle deutlich macht. Der Geheimdienst hat nämlich eine Liste mit 61 Themenkomplexen vorgestellt, die tabuisiert werden sollen. Die Informationen aus den Bereichen können zwar offen zugänglich sein und kein Staatsgeheimnis darstellen. Deren Übergabe an Ausländer kann aber trotzdem "benutzt werden, um die Sicherheit der russischen Föderation zu gefährden", heißt es.

Unter anderem zählen dazu Informationen über den Ankauf von Waren und Dienstleistungen für das Militär. Damit wird eigentlich nur die von Wladimir Putin verfügte Geheimhaltung des Verteidigungshaushaltes gefestigt.

Aufdecken von Misshandlung als Straftatbestand

Daneben ist die Weitergabe persönlicher Daten von Angehörigen der Streitkräfte und ihrer Familien verboten, aber auch Angaben dazu, wie es um die "Gesetzlichkeit und das moralisch-psychologische Klima der Streitkräfte" steht. Damit könnte das Aufdecken von Rekrutenmisshandlung locker als Straftatbestand durchgehen.

Einschätzungen und Prognosen über die militärisch-politische und strategische Lage sind gleichfalls betroffen. Angaben zu den Standorten von Truppenteilen, deren Bezeichnungen, Organisationsstruktur und Truppenstärke ohnehin.

Selbst die Übergabe von Informationen zu Problemen bei Roskosmos und zur Entwicklung der Weltraumatomenergie hat der FSB als gefährlich eingestuft. Berichte über verpatzte Raketenstarts sind damit potenziell heikel, können sie doch bei Bedarf auch im Ausland gelesen werden.

Sollte das Gesetz verabschiedet werden, woran es wenige Zweifel gibt, erhöht sich der Druck der Sicherheitsorgane. Das Militär ist damit praktisch einer zivilen Kontrolle von Rüstungsausgaben, Einsätzen und Kompetenzen völlig entzogen. (André Ballin aus Moskau, 21.7.2021)