Im österreichischen Hallein verwandelte sich der Kothbach in einen reißenden Fluss.

Foto: APA/FF HALLEIN

Die Rückhaltebecken – die der Speicherung von Wassermengen dienen – waren am Wochenende im Bundesland Salzburg aufgrund des Starkregens randvoll. Weitere Unwetter hätten sie überlaufen lassen, hieß es am Dienstag vonseiten des Landes. Damit ist Österreich wohl haarscharf an einer größeren Katastrophe vorbeigeschrammt. Die Schäden durch die Überflutungen in Österreich liegen zwar in Millionenhöhe, aber es sind keine Personen zu Schaden gekommen. Anders in Deutschland: Am Donnerstag lag die vorläufige Zahl der Todesopfer bei 172. Medien und Politiker sprechen von einer Flutkatastrophe historischen Ausmaßes. DER STANDARD hat bei den TU-Hochwasserforschern Korbinian Breinl und Jürgen Komma nachgefragt, wie die Ereignisse denn tatsächlich historisch einzuordnen sind.

STANDARD: Inwiefern war die Flutkatastrophe in Deutschland "historisch"?

Breinl: Vielerorts mag man sagen, dass die Ereignisse als "historisch" zu bewerten sind, da dort lange Zeit kein solches Hochwasser aufgetreten ist. Aufgrund der hohen Schäden und der hohen Opferzahlen kann man dieses Ereignis durchaus als extrem bezeichnen.

STANDARD: Ihr Institut konnte in den vergangenen Jahren einen klaren Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und Hochwassern in Europa nachweisen. Was genau wurde in der Studie aufgezeigt?

Komma: Wir konnten nachweisen, dass sich Hochwasserereignisse in Europa durch den Klimawandel sowohl in Bezug auf den Zeitpunkt ihres Auftretens, als auch in Bezug auf ihre Größe geändert haben. Diese Änderungen sind regional unterschiedlich. Beispielsweise treten Frühjahrshochwasser in Nordosteuropa heutzutage früher auf, durch das frühere Eintreten der Schneeschmelze. Ebenso treten Winterhochwasser in Westeuropa früher auf, da die Böden im Winter früher gesättigt sind. Bezüglich ihrer Größe zeigen sich ebenso regionale Unterschiede. In Nordwesteuropa sind die Hochwasserereignisse tendenziell größer als früher, durch die Zunahme von Herbst- und Winterniederschlägen. In Teilen Osteuropas sind die Hochwasser tendenziell geringer, durch eine Abnahme der Schneedecke und Schneeschmelze. Diese Aussagen beziehen sich auf mittlere bis große Flüsse.

STANDARD: Wie ordnen Sie diesbezüglich die aktuellen Vorfälle in Deutschland, den Beneluxstaaten und Österreich ein?

Komma: Unsere Studien haben gezeigt, dass wir uns in den letzten Jahrzehnten in einer hochwasserreichen Periode der letzten 500 Jahre befinden. Und, dass Hochwasser an mittleren bis größeren Flüssen in Nordwesteuropa derzeit zunehmen, durch die Zunahme von Niederschlägen im Norden Europas. Diese Änderungen der Niederschläge im Norden sind durch Klimaänderungen verursacht. Eindeutige Aussagen über kleinräumige Starkregenereignisse abseits der großen Flüsse, wie zum Beispiel am Kothbach bei Hallein, lassen sich aufgrund fehlender Messdaten in kleinen Gebieten aber nur bedingt ableiten. Man weiß aber, dass eine wärmere Atmosphäre mehr Wasser halten kann, und entsprechend erscheint die Möglichkeit der Häufung intensiverer lokaler Niederschläge durch den Klimawandel plausibel.

STANDARD: Was ist in Deutschland zuletzt schiefgelaufen – hat man in Österreich richtig reagiert?

Breinl: Der deutsche Wetterdienst hat recht frühzeitig Warnungen vor sehr starken Niederschlägen herausgegeben, aber eine konkrete Vorhersage, welche Orte in welchem Ausmaß betroffen sein könnten, ist schwierig. Wichtig ist generell, dass die Betroffenen wissen, was im Fall von drohendem Starkregen zu tun ist. Hier brauchen wir zukünftig ein verbessertes Training der Bevölkerung, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, so wie man das etwa aus erdbebengefährdeten Regionen kennt, wo man genau weiß, wie man sich im Falle eines Ereignisses zu verhalten hat. Das betrifft Fragen wie "Wo bekomme ich laufend Informationen zum Ereignis an meinem Ort?", "Wohin flüchte ich?", "Was nehme ich mit?" oder "Wohin darf ich auf keinen Fall gehen?" Dazu zählt auch, ein neues Bewusstsein zu verankern, dass bei starken lokalen Niederschlägen gefährliche Hochwasserereignisse eben nicht nur an großen Flüssen möglich sind, sondern auch an kleinen Gewässern wie Wildbächen oder generell in sehr dicht besiedelten Gebieten. Hier muss man wissen, dass es bei Ereignissen an kleineren Flüssen generell wesentlich schwieriger ist, rechtzeitig zu warnen. Kleine Flüsse reagieren sehr schnell auf Niederschläge, und es bleibt oft nur sehr wenig Zeit für eine Warnung. Eine Welle kann innerhalb weniger Minuten kommen, und es bleibt wenig Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.

STANDARD: Was sind die Lektionen der vergangenen Tage für die Zukunft?

Breinl: Wir werden nie für absolute Sicherheit sorgen können. Ein Restrisiko bleibt immer bestehen, da ein Hochwasserereignis aus einem komplexen Zusammenwirken vieler verschiedener Faktoren entsteht. Um dieses Zusammenwirken noch besser zu verstehen, besteht weiterhin Forschungsbedarf. Je besser wir die Hochwasser auslösenden Prozesse verstehen, desto realistischere Simulationen als Basis für Vorhersagen und gezielte Schutzmaßnahmen können wir zukünftig entwickeln. (Flora Mory, 21.7.2021)