Roland Weißmann beim Pressegespräch über seine Bewerbung zum ORF-General.

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Wien – Nicht mehr als eine Minute braucht es am Donnerstag bei Roland Weißmann vom "Ja, ich werde mich für die Position des ORF-Generaldirektors bewerben" bis zur Erklärung: "Es gilt, mit allen Mitteln die Unabhängigkeit und Objektivität in der Berichterstattung, und da speziell in der Information, zu erhalten."

Denn da erklärt sich ORF-Vizefinanzdirektor Weißmann im Dachgeschoß des Wiener 25-Hours-Hotels zum Bewerber um die Führung von Österreichs größtem Medienunternehmen. Er hat gute Chancen, das vor allem dank der Mehrheit ÖVP-naher Stiftungsräte im obersten ORF-Gremium zu werden. Weißmann gilt als türkiser Wunschkandidat für den ORF.

"Interventionen schlicht nicht nachgeben"

Wie wird Weißmann reagieren, wenn Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) oder eher sein Medienbeauftragter oder sein Pressesprecher ihn als ORF-Generaldirektor anrufen und sich über diesen Bericht oder jenes Interview beschweren? "Man kann sich nicht dagegen wehren, dass man Anrufe bekommt", sagt Weißmann wie schon einige ORF-Generaldirektoren bisher. Aber: "Politische Interventionen machen bei mir keinen Sinn, weil ich denen schlicht und ergreifend nicht nachgeben werde."

Er spricht davon, "Angriffe mit aller Kraft abzuwehren", verweist auf die Garantien von ORF-Gesetz und -Redakteursstatut für die Unabhängigkeit und sagt, auch aus eigener erster Erfahrung mit orf.at: "Die Redaktionen können sich auch selbst wehren und laut werden, falls es notwendig werden sollte."

Pluralität "ausbauen"

Unabhängigkeit und Objektivität wolle er erhalten, Pluralität "ausbauen", sagt er. Findet er davon derzeit zu wenig im ORF?, will ein Journalist bei Weißmanns Präsentation als ORF-Kandidat wissen. Nein, da meine er den 2022 zu besiedelnden Newsroom, in dem Journalistinnen und Journalisten für TV, Radio, Online und Social Media zusammenarbeiten sollen. Um hier Vielfalt abzusichern, brauche es Strukturen. Seine nicht näher ausgeführten Vorstellungen dafür würden sich aber nicht wesentlich von jenen des amtierenden ORF-Generals Alexander Wrabetz unterscheiden, der sich für eine weitere Amtszeit bewirbt. Wrabetz spricht insbesondere von einem Führungsteam, keinem alleinigen Chefredakteur sowie starken Sendungsteams.

"Nicht Kandidat einer Partei"

Wie gehen redaktionelle Unabhängigkeit und Kandidat der türkisen Mehrheit zusammen? Weißmann betont, er habe nie ein Parteibuch gehabt und werde auch keines haben: "Ich bin nicht Kandidat einer Partei, ich bewerbe mich um eine Funktion und werbe um größtmögliche Unterstützung." Aus welchen der Freundeskreise genannten Fraktionen im Stiftungsrat erwartet er Stimmen? "Aus möglichst vielen", er hoffe auf eine "möglichst große Zustimmung". Er rechnet mit seiner Bestellung zum nächsten ORF-Generaldirektor ab 2022.

Nachdenken über Generalsekretär

Wird er einen Generalsekretär bestellen, oft in der Vergangenheit eine Schnittstelle zur Politik? "Es lohnt, darüber nachzudenken", legt sich Weißmann nicht fest. Sein Führungsteam für den ORF sei praktisch fertig, mit Expertinnen und Experten aus dem ORF und von außerhalb. Er nennt weder Namen noch Funktionen, verspricht eine "zukunftsträchtige" Struktur auf die Frage, ob er die aktuellen Direktionen – Programm, Radio, Technik, Finanzen – beibehält. Kolportiert wird im ORF: Programm und Finanzen könnten an die Grünen gehen. Darauf, wie viele Männer und Frauen in der Führung, auch in den ORF-Landesdirektionen und ihren Chefredaktionen künftig arbeiten sollen, will er sich nicht festlegen.

"Österreichische Lebensrealität einfangen"

Diverse, genderbewusste Besetzungen verspricht er, auch für die Nachbesetzungen von rund 600 ORF-Mitarbeitern, die 2023 bis 2026 in Pension gehen. Diversität verspricht er auch im Programm: "Ich möchte die österreichische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit abbilden, auch mit anderen Sprachen in unseren Programmen, die österreichische Lebensrealität einfangen."

Junges Publikum gesucht

Womit wir bei seinen Ankündigungen und Vorstellungen für den ORF wären: "Es wird immer schwieriger, junge Menschen unter 30 Jahren zu finden, die über unser Programm sprechen wollen und können", referiert er aus internen Umfragen des ORF.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk brauche also "radikalen Wandel und Transformation", um jüngere Publika zu erreichen, insbesondere digital und auf Social Media. "ZiB Insta" für Instagram sei ein guter Beitrag, "aber 100 Sekunden sind nicht genug", erklärt er und verspricht eine Social-Media-Strategie als eine seiner ersten Maßnahmen als General.

Um für das Web und Social Media zu produzieren, braucht der ORF erst einmal eine Gesetzesänderung, auf die etwa Wrabetz schon lange ohne Ergebnis verweist. Das Gesetz verbietet ihm derzeit solche Formate.

GIS-Lücke für Streaming schließen

Will er sich bei einer Novelle auch gleich für Gebühren für alle Empfangswege einsetzen – bisher ist Streaming auch von ORF-Programmen ja gebührenfrei? "Ich bin definitiv dafür, die Streaminglücke zu schließen", sagt Weißmann – über die Form müsse die Politik entscheiden.

Vor einer ORF-Novelle muss der ORF, wie spätestens alle fünf Jahre, bald nach der Generalswahl einen Antrag auf GIS-Gebührenfestsetzung stellen – gemeinhin bedeutet das eine Erhöhung. "Das ist die Aufgabe des amtierenden Generaldirektors", sagt Weißmann. Wie auch immer die Generalswahl ausgeht, Alexander Wrabetz ist noch bis Ende 2021 bestellt. Wird Weißmann zum General bestellt, will er beim Gebührenantrag "unterstützend zu gegebener Zeit" mit Wrabetz darüber diskutieren.

"Gemeinsam führen"

Gilt das auch für die künftige Führung des ORF-Newsrooms, die Wrabetz ja unabhängig vom Ausgang der Generalswahl jedenfalls noch selbst bestellen will?

"Warten wir den 11. August ab. Ich bin sehr zuversichtlich, dass man den ORF die nächsten Monate im besten Sinne für das Unternehmen gemeinsam wird führen können. So wie ich den GD seit zehn Jahren kenne." (Harald Fidler, 22.7.2021)

Aktualisierte Fassung 13.25 Uhr mit Inhalten von Weißmanns Pressegespräch.