Polen steht nach wie vor wegen seiner Justizreformen in der Kritik.

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Warschau/Brüssel/Straßburg – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Polen zum dritten Mal innerhalb von drei Monaten wegen seiner Justizreformen verurteilt. Die Straßburger Richter stellten am Donnerstag fest, dass die Ernennung der Mitglieder einer umstrittenen Disziplinarkammer am polnischen Obersten Gericht "in unzulässiger Weise von der Legislative und Exekutive beeinflusst" werde. Diese "grundlegende Unregelmäßigkeit" stelle die Legitimität des Gremiums ernsthaft in Frage.

Richter bemängeln fehlende politische Unabhängigkeit

Die rechtsnationalistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte die Disziplinarkammer 2018 eingerichtet. Sie ist für Disziplinarverfahren gegen Richter zuständig und kann diese auch suspendieren. Die PiS gibt vor, so gegen Korruption, anderes Fehlverhalten und gegen das "Erbe des Kommunismus" im Justizsystem vorzugehen.

Kritiker, darunter etwa auch die EU-Kommission, werfen der Regierung in Warschau hingegen vor, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung zu untergraben. Infolge einer Klage der Kommission urteilte vergangene Woche bereits der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH), dass die Disziplinarkammer gegen EU-Recht verstoße.

Die Luxemburger Richter bemängelten ebenfalls die fehlende politische Unabhängigkeit der Disziplinarkammer. Problematisch sei zudem, dass rein inhaltliche Gerichtsentscheidungen als Disziplinarvergehen eingestuft und geahndet werden können. Dies ermögliche "politische Kontrolle von Gerichtsentscheidungen" und die "Ausübung von Druck auf Richter".

Weitere Klagen wegen Justizreform anhängig

Die Richter vom Straßburger EGMR prüften die polnische Regelung wegen einer Klage einer Anwältin auf ihre Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Disziplinarkammer im Sinne der Konvention kein rechtmäßiges Gremium sein könne und verurteilten Polen zur Zahlung von 15.000 Euro Schadenersatz an die Anwältin – eine für die Rechtsprechung des EGMR relativ hohe Summe.

Bei dem Menschenrechtsgericht sind wegen der polnischen Justizreformen noch weitere Klagen anhängig, insgesamt sind es 38. Im Mai hatte das Gericht Polen bereits wegen der "irregulären" Ernennung eines Verfassungsrichters verurteilt. Im Juni folgte eine Verurteilung wegen der Absetzung zweier Richter. Der EGMR ist keine Institution der Europäischen Union, sondern gehört zum Europarat.

Aber auch die EU-Institutionen liegen wegen der Justizreformen und weiterer Punkte in zahlreichen Verfahren mit Warschau über Kreuz. Am Dienstag setzte die Brüsseler Kommission der polnischen Regierung ein Ultimatum: Bis zum 16. August müsse sie darlegen, wie sie den EU-gerichtlichen Entscheidungen zur Disziplinarkammer nachzukommen gedenke. Andernfalls drohe eine Geldstrafe. Die PiS-Regierung hat sich von den diversen Verfahren und Verurteilungen bisher nicht beeindrucken lassen. (APA, 22.7.2021)