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Gesund und fit im Alter: Das Blut gibt Aufschluss über Risikofaktoren. Vor allem der Entzündungswert zeigt das biologische Alter – nicht das kalendarische.

Foto: Getty Images/Westend61

Je früher wir eine Krankheit erkennen, desto besser können wir sie behandeln oder im Idealfall sogar vermeiden. Forscherinnen und Forscher aus den USA haben nun mithilfe künstlicher Intelligenz eine Methode entwickelt, mit der sich das immunologische Alter eines Menschen ebenso wie die Risikofaktoren für altersbedingte Erkrankungen ermitteln lassen. Das soll vor allem zur Früherkennung und Vorbeugung beitragen. Doch wie funktioniert das?

Immunität im Alter

Mit dem Alter steigt auch das Risiko für schwere Krankheiten, die durch chronische Entzündungsprozesse im Körper ausgelöst werden. Wissenschafterinnen und Wissenschafter konnten nun Biomarker im Blut identifizieren, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder auch Demenz ankündigen.

Biomarker sind biologische Parameter, mit denen sich die Entzündungslast messen lässt, die mit dem Auftreten von Krankheiten zusammenhängt. Denn mit den Lebensjahren verändert sich auch das Immunsystem des Menschen. Bestimmte Entzündungsprozesse treten bei älteren Menschen öfter auf und sind chronisch.

Dieser Vorgang wird im Fachjargon "Inflammaging" oder auch "Entzündungsaltern" genannt und beschreibt damit eine diffuse Reaktion der Immunabwehr mit der – ohne äußere Einflüsse – die Wahrscheinlichkeit steigt, an altersbedingten Leiden zu erkranken.

Entzündungsuhr

Um das Risiko früh einschätzen zu können, entwickelten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter des Institute for Research on Aging in Kalifornien eine auf künstlicher Intelligenz basierende "Entzündungsuhr", auch "inflamming aging clock" oder "iAge" genannt. Diese "iAge" berücksichtigt verschiedene Biomarker, die in rund 1.000 Blutproben ausfindig gemacht wurden und deren Existenz beziehungsweise Konzentration auf akute oder künftige Entzündungsreaktionen hinweisen könnte.

Die untersuchten Blutproben stammen von Personen im Alter von acht bis 96 Jahren und wurden zwischen 2007 und 2016 im Rahmen des "Stanford 1000 Immunomes Project" entnommen. "iAge sagt wichtige Alterungsphänotypen voraus und gibt Einblicke in die Mechanismen, die zur Alterung der Gefäße führen", heißt es in der Studie, die in der Fachzeitschrift "Nature Aging" veröffentlicht wurde. "Mit iAge ist es möglich, sieben Jahre im Voraus vorherzusagen, wer gebrechlich werden wird", sagt David Furman, Mitautor der Studie.

Biologisches Alter

Die Werte der identifizierten Biomarker schwanken je nach Alter. Bei einigen Menschen steigen die Werte früher, bei anderen später. iAge soll das Alter des Patienten beschreiben, das aus dem Entzündungszustand des Immunsystems vorhersagbar ist.

Die Studienautoren fanden heraus, dass Menschen mit einem höheren iAge Muster altersbedingter systemischer Entzündungen früher zeigen und damit auch eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, bestimmte Erkrankungen zu entwickeln, einschließlich verminderter Immunität, Herz-Kreislauf-Schwächen oder Gebrechlichkeit in jüngeren Jahren.

Als "Beschleuniger" der iAge-Uhr konnten die Forscher ein gewisses Protein identifizieren. Bei "Chemokin CXCL9" handelt es sich um ein Protein, das eigentlich zur Aktivierung von T-Zellen im Immunsystem dient – auch Killerzellen genannt. Im Alter wird es vermehrt freigesetzt und stoppt dann unter anderem die Zellteilung.

Die Experten vermuten nun, dass die Behandlung von "CXCL9" und anderen iAge-Proteinen dabei helfen könnte, das Risiko für altersbedingte Krankheiten und das Nachlassen des Immunsystems zu verringern.

Prävention

Expertinnen und Experten auf diesem Gebiet halten die Ergebnisse der Studie deshalb für wegweisend. "Eine der Kernfragen der Humanbiologie ist das Verstehen, warum wir altern", betont Helmut Frohnhofen, Altersmediziner des Universitätsklinikums Düsseldorf. "Die alltägliche Erfahrung zeigt, dass der Unterschied zwischen kalendarisch gleich alten Individuen ganz erheblich sein kann. Umgangssprachlich werden solche Personen oft als biologisch deutlich jünger bezeichnet."

Umso spannender sei deshalb die Frage, ob es Biomarker gibt, die schon frühzeitig den Alterungsprozess anzeigen und zwischen kalendarischem und biologischem Alter unterscheiden können. Frohnhofer: "Dieser Biomarker scheint geeignet, die entzündliche Last eines Patienten abzuschätzen und Rückschlüsse auf den gesamten Gesundheitszustand zu ermöglichen."

In einer Gruppe gesunder Personen könnten so diejenigen identifiziert werden, die bei noch fehlenden konventionellen Risikofaktoren ein erhöhtes Krankheitsrisiko in sich tragen. Betroffene könnte man dann präventiv behandeln, sagt Frohnhofer. "Prävention ist eine der wichtigsten Säulen in unserem Gesundheitssystem und von enormer Relevanz für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft."

Leichte Skepsis

Auch Christian Kosan vom Institut für Biochemie und Biophysik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sieht diese Ergebnisse sehr positiv: "Diese Methode bietet im Vergleich zu anderen 'biologischen Uhren' – also Genexpression, epigenetische Marker oder auch Immunzellen – den Vorteil, dass die zu messenden Parameter schnell, kostengünstig und relativ einfach gewonnen werden können." Allerdings schränkt er ihre Bedeutung für präventive Maßnahmen etwas ein.

Es sei "schwer vorherzusagen", ob iAge auch in der Praxis funktioniert und wirklich genutzt werden könne, da diese Experimente "unter sehr standardisierten Versuchsbedingungen gewonnen wurden, die nicht überall gewährleistet werden können", gibt Kosan zu bedenken. Darüber hinaus sei fraglich, "ob sich die durch statistische Verfahren ermittelten Ergebnisse auch in einem Individuum mit der gleichen Genauigkeit gemessen und exakt bestimmt werden könnten. Dies müsste durch Feldstudien zunächst noch überprüft werden." Um die vorliegenden Daten zu validieren, sollten vergleichende Studien an anderen Zentren mit anderen Personengruppen weltweit durchgeführt werden, ist er überzeugt.

Falls sich die "Entzündungsuhr"-Methode jedoch in der Praxis bestätigt, könnte das den Umgang mit Krankheiten im Alter und deren Heilungschancen aber grundlegend verändern, heißt es. (Julia Palmai, 24.7.2021)