Hamburgs Polizeisenator Helmut Schmidt zeichnet 1962 nach der großen Flutkatastrophe Bundeswehrsoldaten für ihren Einsatz aus.

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Im kollektiven Gedächtnis Deutschlands ist der Mythos des "Herrn der Flut" tief eingeschrieben. Gemeint ist der spätere SPD-Kanzler, Helmut Schmidt, der 1962, in dem Jahr, als seine Heimatstadt Hamburg von einem Hochwasser katastrophal betroffen war, Polizeisenator der Stadt war.

Eine Sturmflut, in deren Verlauf 60 Deiche brachen und insgesamt 340 Menschen starben, hatte die Stadt von 16. auf 17. Februar in einen absoluten Notstand versetzt. Das beherzte Handeln des damals 43-jährigen Schmidt machte ihn bundesweit erst so richtig bekannt und legte den Grundstein für seine Karriere, die ihn 1974 ins Kanzleramt führte. Bis ins hohe Alter erzählte der Kette rauchende Politiker gerne lässig, wie er sich übers Grundgesetz hinweggesetzt hatte, um Leben zu retten, und auch das Militär und die Nato um Hilfe bat und dann deren Einsätze quasi befehligte. "Ich habe mich um die Gesetze nicht gekümmert. Ich hab auch nicht erst 'nen Juristen gefragt, ob ich das darf. Oder ob ich das nicht darf. Ich habe das Grundgesetz nicht angeguckt in jenen Tagen", erzählte Schmidt etwa 2006 in einer NDR-Dokumentation.

Am Lack gekratzt

Ein bisschen am Lack des Hochwasserhelden kratzte 2018 anlässlich des 100. Geburtstags Helmut Schmidts der Historiker Helmut Stubbe da Luz in einem "Zeit"-Interview, in dem er richtigstellte, dass Schmidt das Grundgesetz gar nicht "angucken" musste und das unmittelbar nach der Flut in Interviews sogar selbst betont hatte. Es gab nämlich schon seit 1958 eine Dienstvorschrift des Verteidigungsministeriums, die bestimmte, wie die Bundeswehr bei begrenzten Katastrophen wie Waldbränden oder Sturmfluten auch im Landesinneren einzusetzen sei. Aber über die Jahrzehnte feilte Schmidt am Flutmythos.

Fest steht aber, dass er als Krisenmanager gute Arbeit geleistet und vielen Menschen so wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Die Katastrophe wurde für den Hamburger bei aller Tragik zum Karrieremotor.

Vielleicht ein Glück, dass es damals kein Internet gab und keine Smartphonekameras, die den jungen Politiker, der für seinen mitunter harschen Befehlston sowie seinen Humor bekannt war, folgten. Denn wer weiß, vielleicht kam Schmidt in einer ruhigen Minute in dieser Zeit auch ein kathartischer Scherz über die Lippen.

Lachen, wo es weh tut

Pech hatte so gesehen der CDU-Kandidat für die Bundestagswahl, Armin Laschet, dem die Flut bisher sicher keine höheren Beliebtheitswerte gebracht hat. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen lachte und scherzte bekanntlich zur ganz falschen Zeit, nämlich als dutzende Kameras auf ihn gerichtet waren. Vor ihm hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade eine betroffene Rede. Mehrmalige Entschuldigungen und die Tatsache, dass Laschet zuvor Flutopfer besucht hatte, halfen nicht. In den beiden Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden mit Stand Donnerstagnachmittag 176 Todesopfer gezählt. Viele Menschen sind immer noch vermisst.

Aber wird dieser Lapsus zwei Monate vor der Wahl Laschet wirklich schaden? Politische Mitbewerber werden sich jedenfalls erinnern, meint dazu Marc Debus, Professor für Politikwissenschaften an der Uni Mannheim: "Und er wird wahrscheinlich auch in den TV-Duellen immer wieder danach gefragt."

Politologe: "Sehr heikle Frage"

Aber wie sollen Politiker mit Katastrophen und Leid umgehen? "Das ist eine sehr heikle Sache", sagt Debus, "gerade wenn man politisch Verantwortung trägt, wie Laschet als Ministerpräsident oder SPD-Kandidat Olaf Scholz als Finanzminister, muss man zeigen, dass man vor Ort ist und sich kümmert." Debus erinnert auch daran, dass man es dem Unions-Kandidaten Edmund Stoiber 2002 sehr wohl übelnahm, dass sein Konkurrent Gerhard Schröder schneller in Gummistiefeln in überschwemmten Gebieten stand. Schröder blieb Kanzler – genau wie einst Parteifreund Schmidt.(Colette M. Schmidt aus Berlin, 23.7.2021)