Mit der Einigung zwischen Deutschland und den USA ist das Sanktionsrisiko für Nord Stream 2, an der auch die OMV beteiligt ist, erheblich gesunken.

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Die USA und Deutschland legen ihren Pipelinestreit bei, doch die Einigung wird sowohl in der Ukraine als auch in Russland kritisch beäugt. Aus russischer Sicht wichtig und richtig ist, dass Washington weitere Sanktionen gegen das Pipelineprojekt Nord Stream 2 unterlässt. Die mehr als 1.200 Kilometer lange und gut acht Milliarden Euro teure Leitung auf dem Grund der Ostsee sollte eigentlich bereits Ende 2019 fertiggestellt werden.

Doch ein jahrelanger Hickhack um den Pipelinebau infolge der Ukraine-Krise hat zu massiven Verzögerungen geführt. Immerhin steht die Trasse nun trotz der Probleme um Verlegeschiffe, Versicherungen und ausbleibender Baugenehmigungen kurz vor dem Abschluss. Die Einigung bedeutet für die vom deutschen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder geführte Projektgesellschaft eine erhebliche Minderung der Risiken beim Betrieb.

Allerdings stoßen die zwischen Washington und Berlin getroffenen Bedingungen und die Formulierungen für diese Betriebserlaubnis teilweise auf Unverständnis und Verärgerung in Moskau: Es gebe in der Vereinbarung Punkte, die Moskau begrüße, aber auch solche, die es ablehne, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

So verwahrte er sich "kategorisch" dagegen, dass Russland in dem Abkommen als Aggressor bezeichnet wird. "Weder innerhalb der Ukraine noch außerhalb ihrer Grenzen gab es irgendeine Aggression Russlands, Russland hat zudem nie schädigende Handlungen unternommen oder tut dies augenblicklich", sagte Peskow.

Kreml als Sicherheitsgarant

Im Gegenteil: Russland habe seine Energieressourcen nie als Waffe verwendet und sei stets ein Garant für die Energiesicherheit Europas gewesen, betonte er. Die Pipeline Nord Stream 2 wird von Moskau als rein kommerzielles Projekt beschrieben.

In dem Zusammenhang stößt den Russen auch der Passus über die Beibehaltung des Gastransits durch die Ukraine sauer auf. Derzeit gilt die zwischen Moskau und Kiew getroffene Vereinbarung bis Ende 2024. In der Vereinbarung mit den USA hatte sich Deutschland dazu verpflichtet, auf Russland einzuwirken, diesen Gastransit um weitere zehn Jahre zu verlängern.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow reagierte bei Bekanntwerden dieser Verpflichtung mit Sarkasmus: "Verblüffend ist – wenn es denn wahr ist – die Vereinbarung, dass Deutschland sich verpflichtet, die Verlängerung des Transits russischen Gases durch die Ukraine zu gewährleisten. Jetzt wissen wir endlich, wie stark Deutschland ist."

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diesbezüglich bereits am Mittwochabend mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert. Trotzdem gab sich dessen Sprecher Peskow auch am Tag danach noch reserviert. Eine Verlängerung des Transits werde es nur geben, wenn er wirtschaftlich sinnvoll für Moskau sei, verkündete er lapidar.

Moskaus Sorge besteht darin, dass die Rentabilität von Nord Stream 2 leidet, falls die Pipeline aus politischen Gründen nur zu 50 Prozent gefüllt werden sollte, um den Ukraine-Transit sicherzustellen.

Kiew fühlt sich übergangen

In Kiew herrscht ebenfalls Unzufriedenheit, auch wenn der Ukraine zahlreiche Zugeständnisse als Ausgleich für die wegfallenden Transitgebühren gemacht wurden. Es gebe "keinen Zweifel, dass der einzige Profiteur der Krise in unserer Region Russland ist", daher sollten die USA und Deutschland die Bedrohung, die sich aus Nord Stream 2 ergebe, ernst nehmen, forderte der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko. Er beklagte, Kiew sei zu den Verhandlungen nicht hinzugezogen worden.

"Wir haben viele Fragen dazu, wie die amerikanisch-deutsche Einigung in der Lage ist, die mit dem Start von Nord Stream 2 verbundenen Sicherheitsrisiken für die Ukraine und andere Länder Zentraleuropas zu lösen", meinte auch Außenminister Dmitri Kuleba.

Finanziell werden die potenziellen Verluste für Kiew durch einen mehr als eine Milliarde Dollar schweren "grünen Fonds" abgefedert, der dem Land helfen soll, zu einem Exporteur grünen Wasserstoffs zu werden. In Kiew wird allerdings immer wieder die Befürchtung geäußert, dass Russland den militärischen und wirtschaftlichen Druck auf den Nachbarn erhöhen werde, sobald nicht mehr die Gefahr bestehe, damit die eigenen Transitleitungen zu gefährden.

Von der Wirtschaft hingegen kommt Lob. So bezeichnete Fares Kilzie, Vorstandsvorsitzender der russischen Investmentgesellschaft Creon Group, den Deal als "größten Erfolg der deutschen Diplomatie der vergangenen 20 Jahre". Berlin habe mit der Durchsetzung seines Projekts Souveränität signalisiert, was auch in Russland bewundert werde. Die gleichzeitige "großzügige" Förderung erneuerbarer Energien in der Ukraine sollte zugleich "alle vermeintlichen Energierisiken" ausmerzen, sagte er dem STANDARD. (André Ballin aus Moskau, 22.7.2021)