Peter Pilz ist eine der interessanteren Erscheinungen in Österreichs polit-medialer Szene. Als Student weit links, dann Gründungsmitglied der Grünen, in den späten 80er-Jahren verdienstvoll als Aufdecker bei den Lucona- und Noricum-Skandalen, im Parlament ein scharfer Rhetoriker, manchmal ein großer Übertreiber, immer zugleich intellektuell und populistisch. Bei den Grünen wurde er vor ein paar Jahren rausgemobbt – durch eigene Schuld (Sexismus-verdächtiges Verhalten), aber auch, weil er manche spüren ließ, dass er sie für Schwachmatiker(innen) hielt. Eine eigene Liste hielt sich nur von 2017 bis 2019 im Nationalrat. Seither betreibt er die Aufdeckungsplattform Zack-Zack. Und jetzt er hat ein Buch geschrieben: Kurz. Ein Regime.

"Regime"? Geht’s nicht ein bisserl kleiner? Mit dem Begriff "Regime" verbindet man Wladimir Putin, Viktor Orbán, Recep Tayyip Erdoğan, Jair Bolsonaro. Autoritär. Autokratisch. Verfolgung von Oppositionellen, Unterdrückung der Meinungsfreiheit, auch seltsame Todesfälle. Pilz argumentiert, Sebastian Kurz habe nicht vor, "die Demokratie in Österreich zu beseitigen". Er wolle nur, dass die Demokratie nicht mehr wiederzuerkennen ist. Man soll weiter andere Parteien wählen dürfen, die Opposition soll kritisieren, die (wenigen) kritischen Medien sollen Missstände aufdecken. Aber: "Kurz will nur eines: dass das alles nicht mehr so leicht geht." Es soll auch keine Konsequenzen haben, weil Kurz und sein kleiner, ultraloyaler Kreis inzwischen die Institutionen des Staates unter Kontrolle haben: "Das ist das Projekt von Sebastian Kurz."

Neue Enthüllungsbrösel, aber auch bekannte Recherchen anderer finden sich im neuen Buch von Peter Pilz über Sebastian Kurz.
Foto: K&S Verlag

Das sehen die liberalen Kritiker des Kanzlers Kurz grosso modo genauso, zum Teil schon länger. Pilz hat hier kein Monopol und kein Erstgeburtsrecht. Das Buch ist trotzdem lesenswert und auch wichtig, weil Pilz sowohl ein guter Analytiker ist als auch die bisherigen Aufdeckungsergebnisse diverser Herkunft gut aufbereitet sind. Er schildert die türkise Bewegung als Teil einer neuen Entwicklung in (Mittel- und Ost-)Europa, wo traditionelle (christlich-)konservative Parteien die Themen und Methoden der Rechtspopulisten (und Rechtsextremen) erfolgreich stehlen. Es sind einige neue Enthüllungsbrösel dabei, wie zum Beispiel, dass die Staatsanwälte der Korruptionsbekämpfung (WKStA) tatsächlich ihre Verhaftung befürchteten, nachdem die Oberstaatsanwaltschaft die Spitze der WKStA angezeigt hat (zwei Tage nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos).

Dichte Zusammenstellung

Bis auf solche kleinen Infos sind die Kapitel über die Skandalverwicklungen weitgehend aus den Recherchen anderer (auch des STANDARD) bekannt, allerdings in der dichten Zusammenstellung noch beunruhigender. Und ganz hinten noch die Anmerkung, dass für eine Reihe von Persönlichkeiten (Kurz an der Spitze) die Unschuldsvermutung gelte.

Zum Schluss schreibt Pilz, dass Kurz gar keine so beeindruckende und überwältigende Persönlichkeit sei, die "Stärke des Kurz-Projekts" aber darin liege, dass es "für viele eine Alternative zum demokratischen Rechtsstaat ist". Dem stünden nur einige Staatsanwälte, einige Abgeordnete und Journalisten gegenüber. Das ist zu demokratiepessimistisch gesehen. Aber, hier sind sich Pilz und alle liberalen Demokraten wohl einig, das "Regime Kurz" ist ein Phänomen, das erhöhte demokratische Wachsamkeit erfordert. (Hans Rauscher, 23.7.2021)