Sexarbeiterinnen bei einer Kundgebung in Florida: Nicht nur dort bekommen sie es häufig mit der Polizei zu tun.

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Während die Welt in den Lockdowns auf Abstand gegangen ist, hat es die Sexarbeit, die ohne Nähe nicht denkbar ist, hart getroffen. Wo sonst für Sex bezahlt und es eng und intim wurde, war es plötzlich still. Mit den geschlossenen Bordellen und Laufhäusern wurde einmal mehr sichtbar, unter welchen teils prekären Arbeitsbedingungen Sexarbeit geleistet wird.

In Wien sind aktuell 1100 Sexarbeitende bei der Polizei registriert. Hinzu kommt eine Dunkelziffer an illegal Arbeitenden. 98 Prozent derer, die in der Branche tätig sind, kommen nicht aus Österreich, viele haben hier kein Konto. Sexdienstleistende gelten in Österreich als Neue Selbstständige und dürfen nicht angestellt werden. Trotzdem heben Bordellbetreiber häufig eine verbotene Pauschalsteuer ein. Sexarbeitende zahlen dabei zwar Abgaben, haben aber keine Steuernummer, keinen Einkommensnachweis und keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung.

Schweden bestraft Freier

Für kritische Stimmen ist das ein weiterer Grund, Prostitution in Österreich beenden zu wollen. Doch wäre Betroffenen geholfen, wenn es ihre Branche nicht mehr gäbe?

Ja, findet die Initiative Stoppsexkauf. Sexarbeit beute aus und sei untrennbar mit "schwerer seelischer und körperlicher Gewalt" verbunden. Hinter der Initiative stehen etwa der Verein Feministischer Diskurs und die religiöse Hilfsorganisation Solwodi. Ein Sexkaufverbot würde in der Praxis bedeuten, dass sich Kunden beim Kauf sexueller Dienste strafbar machten, nicht aber Sexarbeitende selbst.

Vorbild ist vor allem Schweden. Dort versucht die Regierung seit 1999, mit der Bestrafung von Kunden gekauften Sex einzudämmen. Nachgezogen sind etwa Norwegen und Island, weshalb auch vom Nordischen Modell gesprochen wird. Weitere europäische Länder verfolgen eine ähnliche Strategie, seit 2016 etwa Frankreich.

Illegalität nach Verbot

Kritiker des Nordischen Modells sagen, dass sich Sexarbeit durch ein Verbot in die Illegalität verlagert. "Es ist besser, Sexarbeit zu kontrollieren, als sie zu verbieten und sie geheim stattfinden zu lassen", sagt Wolfgang Langer vom Referat für Prostitutionsangelegenheiten der Landespolizei Wien. Illegale Wohnungsprostitution sei ohnehin eine große Problematik der Branche. Sexuelle Dienstleistungen in Apartments, die nicht als Prostitutionslokale genehmigt sind, sind österreichweit verboten. "Wenn eine Frau illegal arbeitet, kann mehr Druck auf sie ausgeübt werden. Es gibt potenziell mehr Übergriffe als in einem Bordell", sagt der Polizist.

Dass Sexarbeitende Kunden in Privatwohnungen treffen, weiß auch Diana, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die transsexuelle Frau kommt aus Kolumbien und betreibt ein Bordell im zweiten Bezirk. Diana kennt ein Portal, auf dem Sexarbeitende offen mit ihren Dienstleistungen werben. Jene, die auf der Internetplattform eine Telefonnummer unter ihren Nacktfotos angeben, aber keine Bordelladresse, arbeiten illegal, sagt Diana. Das kann auch Langer bestätigen. Bei verdeckten Ermittlungen greifen Polizisten auf solche Internetplattformen zurück.

Kameras bieten Sicherheit

"Sie nehmen uns die Kunden weg", sagt Diana. Dabei spricht vieles für die Arbeit in einem Lokal, findet die Kolumbianerin. Kameras bieten Sicherheit, und gearbeitet werden darf nur mit der grünen Gesundheitskarte, dem sogenannten "Deckel". Dieser weist die gesetzlich vorgeschriebene Gesundheitsuntersuchung durch das Wiener Zentrum für sexuelle Gesundheit nach, der sich Sexarbeitende alle sechs Wochen unterziehen müssen. Ein Prostitutionsverbot ist für Diana undenkbar. Sexarbeit ist und bleibt ihr Beruf. "Ich zahle hier Steuern und werde eine Pension kriegen", sagt die Kolumbianerin.

Auch Christine Nagl, Leiterin von der Beratungsstelle Pia für Sexarbeitende in Salzburg, lehnt ein Sexkaufverbot ab. Befürworter argumentieren oft, dass keine Frau freiwillig in der Sexarbeit landet. "Aber wer kann die Freiwilligkeit anderer Menschen beurteilen?", sagt Nagl. Ein Verbot wäre für die Sozialberaterin ein Verstoß gegen die Menschenrechte. "Sexarbeit gehört zur sexuellen Identität und dazu, wie man leben und arbeiten möchte", sagt Nagl.

Strafgesetzbuch reicht

Diese Meinung teilt Christian Knappik, Sprecher des Vereins Sexworker.at. "Zwänge gibt es in der Prostitution unbestritten. Vergewaltigung und Nötigung gehören aufs Härteste bestraft. Dafür gibt es aber das Strafgesetzbuch", sagt Knappik. Indirekt Sexarbeitende zu sanktionieren, indem man Prostitution abschafft, sei falsch. Und: Die Argumentation vieler, die Prostitution beenden möchten, sei auch rassistisch geprägt. "Sexarbeitenden pauschal zu unterstellen, sie arbeiten nicht freiwillig, erklärt sie als unmündig." Vor allem migrantische Sexarbeitende werden fremdbestimmt dargestellt, sagt Knappik.

Auf politischer Ebene zeichnet sich aktuell nicht ab, dass Österreich ein Sexkaufverbot bekommt. In einem Bericht der Arbeitsgruppe Prostitution im Bundeskanzleramt heißt es 2018, es sei "der beste Weg, genügend legale Arbeitsmöglichkeiten zuzulassen und diese zu regulieren", da sich Sexarbeit nicht vermeiden ließe. Hört man in die Branche hinein, wird schnell deutlich, was sie fordert: ein Umdenken über ihr Berufsbild.

Mehr Gehör

Shiva Prugger etwa will Sexarbeitenden mehr Gehör verschaffen. In ihrem Studio in Ottakring arbeitet sie allein als Domina. Im Frühling vergangenen Jahres hat sie die Berufsvertretung Sexarbeit gegründet, um unter anderem den Beruf zu entstigmatisieren. "Das Wort Sexarbeit nimmt kaum ein Politiker gern in den Mund, niemand möchte sich damit beschmutzen", sagt Prugger.

Klar wurde ihr das auch durch eine Pressekonferenz von Bürgermeister Michael Ludwig Anfang Mai. Auf die Frage einer Journalistin, ob auch Bordelle am 19. Mai öffnen würden, antwortete Ludwig verschmitzt, er sei auf diesem Gebiet nicht sachkundig.

Mitsprache bei Gesetzen

"In Wien gibt es rund 300 genehmigte Prostitutionslokale. Wie kann ein Bürgermeister nicht darüber nachdenken, wie viele Arbeitsplätze dahinterstecken?", sagt Prugger. Ludwigs Reaktion zeige ihr, dass sich die Politik mit diesem Thema zu wenig beschäftigt. "Wenn Ludwig behauptet, er kennt sich nicht aus, heißt das, ihn interessiert Sexarbeit nicht." Die Berufsvertretung Sexarbeit möchte Menschen aus der Branche nicht nur sichtbarer machen, sondern fordert auch ein Mitspracherecht bei der Ausarbeitung von Gesetzen.

Auch Knappik hofft, dass Gesetze künftig mit NGOs überarbeitet werden. Denn Sozialarbeitende und Streetworker haben viel Kontakt mit Sexarbeitenden und wüssten daher am besten, wie es ihnen geht. Noch besser wäre es, Prostitutionsgesetze ganz abzuschaffen. "Die Branche zu regulieren ist eine moralische Verurteilung", sagt Knappik. Die Prostitutionsgesetze kritisiert auch Nagl: "Dass die Branche eine eigene Gesetzgebung hat, stigmatisiert sie."

Polizeiliche Registrierung abschaffen

Abschaffen würde Knappik gerne auch die polizeiliche Registrierung von Sexarbeitenden. Diese gilt lebenslang. Das hat weitreichende Folgen, etwa für die berufliche Umorientierung jener, die aus der Sexarbeit aussteigen. Manche Sexarbeitende vermeiden sie daher und arbeiten illegal, sagt Knappik.

Solange man Sexarbeit in keinen Lebenslauf schreiben könne, sei sie kein Beruf wie jeder andere, sagt auch Nagl. Das weiß auch Prugger. "Aber wenn Sexarbeit zunehmend in der Öffentlichkeit präsent ist, kann sie ein anderes Image bekommen", sagt Prugger. Dazu dürfte sie aber nicht mit einem Verbot aus der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt werden. (Allegra Mercedes Pirker, 25.7.2021)