Oft sparen Veranstalter an der falschen Stelle: Nicht jeder, der eine Warnweste trägt, hat auch entsprechende Qualifikationen.

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Wenn die "Geier" kommen, muss Lea kreativ werden. Erst letzte Woche, so erzählt sie es heute, während sie vor dem Eingang eines Nobellokals steht, hat sie kurzerhand einen in ein Taxi gesetzt, um ihn loszuwerden. "Geier", so nennt Leas Chef Männer, die den Alkoholpegel von Frauen bei Partys ausnutzen.

Manchmal drehe jemand durch, weil er zu viele Drogen durcheinanderkonsumiert hat, erzählt die 21-Jährige. Manchmal werden Gäste aggressiv und fangen eine Prügelei an. "Natürlich kann es vorkommen, dass man dazwischengehen muss und eine kassiert", sagt sie. Aber die Art und Weise, wie man für mehr Sicherheit sorgen könne, sei oft viel unspektakulärer. Zum Beispiel eben durch genaues Beobachten und eine große Portion Menschenkenntnis.

Die junge Frau arbeitet in der Sicherheitsbranche als Security-Mitarbeiterin – einer Branche, die die letzten Wochen ins Gerede gekommen ist. Wieder einmal. Beim großen Maturareiseanbieter X-Jam soll es zu mindestens 35 Fällen von sexuellem Übergriff in Kroatien gekommen sein, in einem Fall auch zu einer Vergewaltigung. Ein vierköpfiges Team ist nun damit beschäftigt, alle Hinweise zu möglichen Übergriffen zu bearbeiten, die über die nun eingerichtete Ansprechstelle gemeldet wurden. In fünf Fällen habe es schwerere Anschuldigungen "in Richtung Grapschen" gegeben, sagt Thomas Kroupa, Geschäftsführer von DocLX, dem Unternehmen hinter X-Jam.

Konzept hat versagt

Das Sicherheitskonzept hat offenbar nicht nur versagt, sondern war auch Teil des Problems: Neben Profisicherheitskräften aus Kroatien waren als Ordner Freiwillige tätig, die zum Teil nur für Kost und Logis arbeiteten und dementsprechend ungeschult waren. Es ist eine Lösung, auf die auch viele andere Veranstalter setzen. Es gab weder Anlaufstellen für potenzielle Opfer noch geschulte Ansprechpersonen. Und: Eine Anzeige wegen sexueller Belästigung betrifft einen Ordner selbst.

Es sind Zustände wie diese, bei denen Lea nur den Kopf schütteln kann. Diese Zustände in der Branche werden schon jahrzehntelang diskutiert. Es gibt kaum Regeln, zumeist geringe Löhne und vor allem keine einheitliche oder verpflichtende Ausbildung.

Wenige Standards

Besonders in der Eventbranche werde oft "Schindluder getrieben", sagt Andreas Teischl. Er ist Generalsekretär des Verbands der Sicherheitsunternehmen Österreichs (VSÖ), eines Zusammenschlusses der Platzhirsche wie G4S, Siwacht, ÖWD oder Securitas. Auch gegen Mitarbeiter großer Unternehmen tauchen immer wieder Vorwürfe auf. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – lobbyiert der VSÖ schon lange für eine gesetzliche Regelung der Security-Ausbildung. Derzeit bietet der Verband seinen Mitgliedern eine solche Ausbildung an. Einen Verbesserungsplan brachten die letzten Koalitionsverhandlungen: Nicht nur die Einführung einer Standardisierten Grundausbildung, sondern auch die Schaffung von "klaren und verbindlichen Qualitätsstandards" steht im Regierungsprogramm. Doch passiert ist bisher nichts. Oder zumindest wurde noch nichts umgesetzt.

Im zuständigen Wirtschaftsministerium verweist man auf ein laufendes Forschungsprojekt zu Ausbildungs- und Qualitätsstandards für Sicherheitsdienstleister. Die Projektleitung hat die FH Campus Wien inne. Dort werden mehrere Curricula-Vorschläge für eine Ausbildung formuliert. Ergebnisse werden im Herbst präsentiert. Daneben ist aber auch der Fachverband Gewerbliche Dienstleister für die künftigen Qualitätsstandards wichtig, denn hier wird die entsprechende Verordnung für eine Ausbildung mitverfasst. Das FH-Projekt setzt "danach und darüber" an, wie es der Projektleiter formuliert. Ob dann der große Wurf kommt, ist offen: Zuerst dürfte wohl einmal eine 16-stündige Basisausbildung, analog zu der Grundausbildung, die der VSÖ seinen Mitgliedern anbietet, gesetzlich verpflichtend werden. Sensibilisierung für sexuelle Übergriffe wird dort zumindest thematisiert.

Pro Ausbildung

Die Idee einer verpflichtenden Ausbildung befürwortet auch Leas Chef Roland Lehner "zu hundert Prozent". Denn die derzeitigen Zustände seien "äußerst besorgniserregend". Lehner berichtet von Subfirmen, die Zeitarbeiter ohne entsprechende Qualifikationen vermitteln, und von Schwarzarbeit. "Es ist ein endloses Thema." Mit seiner Firma Event Safety betreut er viele Wiener Nachtlokale, darunter die Grelle Forelle und das Werk, aber auch Veranstaltungen wie das Popfest oder Waves Vienna. Auch die feministische Satireburschenschaft Hysteria klopft mitunter bei Lehner an, wenn sie weibliche Sicherheitskräfte für Veranstaltungen braucht.

Event Safety ist nicht Mitglied des VSÖ, somit gilt für seine Mitarbeiter auch nicht die Ausbildung, die dort vorgeschrieben ist. Aber Lehner hat selbst schon einmal probiert, eine Ausbildung zu etablieren – das Projekt scheiterte, die große Menge an Interessenten außerhalb der eigenen Firma blieb aus. Ein derartiges System funktioniert nur dann, wenn Betriebe die Ausbildungskosten übernehmen.

Was sollen Sicherheitskräfte überhaupt können? "Ich halte nicht viel von dem archetypischen, riesigen Security-Mitarbeiter, der nix redet", sagt Lehner. Wobei klar sei: In manchen Situationen müsse auch zugepackt werden können. Auch Lea steht regelmäßig vor oder hinter den Türen von Nachtclubs oder Konzerthallen. Dann ist sie für die Sicherheit der Gäste zuständig und entscheidet, wer reinkommt – und wer rausfliegt. Viele würden ihr das auf den ersten Blick nicht zutrauen: Sie ist mit 1,70 nicht die Größte, schlank, trägt Pferdeschwanz und schwarze Sneakers. Was man jedoch auf den ersten Blick nicht sieht, ist die jahrelange Kampfsporterfahrung. Aber auf das allein, so glaubt zumindest Leas Chef, kommt es in dem Beruf ohnehin nicht unbedingt an.

Auch bei DocLX kennt man Konzepte wie Awarenessteams, die ein spezielles Auge auf heikle Situationen haben und auch Ansprechpartner sein können, wenn sich jemand unwohl fühlt. Sie einzusetzen hielt man bislang aber nicht für nötig. Geschäftsführer Kroupa sagt, er sei überrascht gewesen, dass die jetzigen Anschuldigungen über Instagram auftauchten – vor Ort habe es ja auch eine allgemeine Anlaufstelle für Beschwerden gegeben, gemeldet habe sich dort niemand. "Sonst hätten wir natürlich gleich reagiert." Hinsichtlich sexueller Übergriffe geschultes Personal gab es aber nicht.

Konzepte existieren

Solche Konzepte werden spätestens seit 2017 breit diskutiert. Nachdem es auf dem schwedischen Bråvalla-Festival zu 23 Anzeigen wegen sexueller Belästigung und zu weiteren fünf wegen Vergewaltigung gekommen war, wurde die Veranstaltung für 2018 abgesagt. Das schlug europaweit Wellen. Seither gibt es auf vielen Großveranstaltungen geschultes Personal. Vielerorts kann man sich mit Codewörtern an Mitarbeiter wenden, da die Hemmschwelle, über Übergriffe zu sprechen, hoch ist.

Auch in Österreich macht dieser Zugang Schule: Beim Wiener Donauinselfest kamen im Jahr 2018 erstmals sogenannte Rettungsanker zum Einsatz. Rund 650 Sicherheitskräfte wurden speziell geschult. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen spielten dabei auch Deeskalation, Prävention von Belästigung und der Umgang mit Frauen, die davon betroffen sind, eine Rolle. Später waren die Rettungsanker auch in Bädern, auf der Donauinsel und in Öffis unterwegs. Aber auch auf dem Land orientiert man sich mitunter an solchen Konzepten, etwa beim größten Brauchtumsfest des Landes, dem Villacher Kirchtag.

Umdenken

Dass es Awarenessteams braucht, sei das wichtigste Learning aus der aktuellen Causa gewesen, heißt es bei DocLX. Das Sicherheitskonzept soll nun grundlegend überarbeitet werden: Es werde nur noch auf professionelle Sicherheitskräfte gesetzt – und zusätzlich gebe es geschulte Ansprechpersonen für Belästigung. "Außerdem wollen wir aber auch den Frauenanteil im Sicherheitsteam steigern."

Auch in der Branche wird über die Vorfälle diskutiert. Lea drückt auf den Knopf eines kleinen grauen Geräts, das die Personen mitzählt, die sie heute bereits eingelassen hat. Sie seufzt. "Einfach irgendwelche Leute für das Sicherheitsteam einzustellen geht gar nicht." Es sei schwer zu verstehen, dass Qualität in dem Bereich nicht stärker kontrolliert werde.

Doch man sollte auch nicht der Illusion verfallen, dass Security-Mitarbeiter Übergriffe grundsätzlich verhindern könnten. "Prävention ist immer schwer", sagt Lea. "Wenn es so einfach wäre, hätten wir das auch in der gesamten Gesellschaft schon besser geschafft." (Vanessa Gaigg, Lara Hagen, 24.7.2021)