Die Parade findet jedes Jahr in Budapest statt.

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"Ich bin wütend, aber ich habe auch Angst", sagt Demonstrantin Rizi.

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"Dann rennen wir." Die Antwort ist knapp auf die Frage was zu tun ist, falls der Demonstrations-Zug angegriffen wird. Sie kommt von zwei jungen Frauen in blauen Westen mit Regenbogen-Fähnchen. Sie gehören zu den laut eigenen Angaben rund 400 Freiwilligen, die die Budapest Pride mitorganisieren. Sie verteilen bunte Wimpel, sammeln Spenden – sind aber auch gefordert, falls tatsächlich Gegendemonstranten die Parade angreifen sollten. Wie 2008, als Steine auf die Demonstranten flogen. Trotz dieser angespannten Stimmung wollen die Menschen heuer auf der Pride erst recht zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern lassen.

Grund dafür ist das neue Anti-LGBTQI-Gesetz der Fidesz-Partei. Vor einigen Wochen hatte Premierminister Viktor Orbán ein Gesetz angekündigt, das dem Schutz der Kinder im Land dienen solle. Es verbietet allerdings auch "Werbung" für Homo- und Transsexualität. Bücher und Filme, in denen LGBTQI-Personen vorkommen, sollen mit Warnhinweisen versehen werden. Aufklärung über Homo- und Transsexualität ist laut dem Gesetz tabu.

Wut und Angst

Der politische Wind gegen LGBTQI-Personen gibt jenen Gruppen Aufschwung, die ihnen schon länger feindlich gegenüber stehen. "Ich bin wütend, aber ich habe auch Angst", sagt Rizi. Die junge Frau trägt ein Lederkorsett, Regenbogengürtel und Shorts. "Ich arbeite nachts und kleide mich immer so. Bisher habe ich mir nichts dabei gedacht – doch plötzlich fühle ich mich nicht mehr sicher." Hassverbrechen häufen sich, die ungarische Journalistin Lili Rutai hat viele dieser Geschichten gehört. "Ein Paar, zwei Ärzte, wurde zusammengeschlagen, nachdem sie sich in einem Club geküsst haben", erzählt sie. "Für sie war besonders schlimm, dass sie diese Menschen während der Corona-Pandemie vielleicht sogar selbst behandelt haben." Von einem anderen Fall berichtete die deutsche "Bild"-Zeitung. Zwei Frauen waren bei einem EM-Spiel in Ungarn im Stadion bespuckt worden – weil sie sich Regenbogen ins Gesicht gemalt hatten.

Auf eine kleine Gegendemonstration trifft die Budapest Pride an diesem Samstag an der Szabadság-Brücke. Rund 100 Nationalisten skandieren homophobe Parolen, auf ihren Schildern steht "keine Schwulen-Propaganda im Kindergarten" und "hört auf unsere Kinder zu ruinieren". Als Antwort auf ihre Schreie schallen House-Musik und Jubel von den Demonstranten zurück. Die Polizei schirmt die beiden Gruppen voneinder ab, der Zug zieht friedlich an den Gegendemonstranten vorbei. Doch die große Überzahl der LGBTQI-Gemeinschaft hier ist eine Außnahme.

Dass das neue Gesetz LGBTQI-Personen aus der Öffentlichkeit Großteils tilgen würde, sehen die Aktivisten besonders kritisch. Schon jetzt sind sie in Ungarn unterrepräsentiert, zeigt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos. Während beispielsweise in Belgien, Deutschland und Großbritannien rund jeder zweite Befragte angibt, jemanden persönlich zu kennen, der sich als Teil der LGBTQI-Community identifiziert, sind es in Ungarn nur halb so viele.

Politische Kampagnen gegen Minderheiten

Für Anna Donáth ist das keine Überraschung. Sie sitzt für die 2017 gegründete liberale Momentum-Partei im EU-Parlament. "Ich war fast Dreißig, als ich zum ersten Mal einer transsexuellen Person begegnet bin und mir dessen bewusst war. Natürlich gibt es gleichgeschlechtliche Paare, nicht-binäre Menschen und Transpersonen auch in Ungarn. Aber viele trauen sich nicht, ihre Sexualität offen zu leben", sagt Donáth dem STANDARD. "Trotzdem ist Orbáns Anti-LGBT-Gesetz vor allem eine politische Kampagne, wie er sie schon gegen andere Minderheiten wie Roma oder Migranten geführt hat."

Die Stimmung ist ausgelassen, aber viele Demonstranten machen sich auch Sorgen.
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Viktor Orbán will die ungarische Bevölkerung in einem Referendum über das Gesetz abstimmen lassen. Fünf suggestiv anmutende Fragen werden gestellt, etwa ob Eltern wollen, dass Kinder ohne ihre Einwilligung sexuell aufgeklärt werden. Ob sich die breite Masse überhaupt daran beteiligen wird, bleibt aber fraglich. "Natürlich finde ich das Gesetz nicht gut, aber ich denke nicht, dass sich für Homosexuelle dadurch irgendetwas ändert", sagt Peter, der mit seiner Freundin vor einem Lokal mit Regenbogenfahne ein Bier trinkt. Die Stimmung ist ausgelassen, doch ein Aktivist neben Peter schüttelt besorgt den Kopf. Krystof ist extra aus Prag angereist: "Mir macht es Angst, was in Ungarn passiert. Viele Freunde von mir sind in der LGBT-Bewegung aktiv. Für sie würde das Gesetz das Ende ihrer Arbeit bedeuten. Wir sehen die Rückschritte in Ungarn, in Polen – was, wenn wir die nächsten sind?" (Antonia Rauth aus Budapest, 24.7.2021)