Die Greta Thunberg des Pop: eine weibliche Galionsfigur, die mit der Gesamtsituation mächtig unzufrieden ist.
Foto: Kelia Anne MacCluskey

Die Musikerin

Es gibt eigentlich nur zwei Wege, um im Mainstream-Pop richtig erfolgreich zu sein: es genauso zu machen wie alle anderen richtig Erfolgreichen oder – riskanter – es ganz anders anzugehen. Mit nur 13 Jahren nahm Billie Eilish die Single Ocean Eyes auf und entschied sich für Letzteres.

Denn im Mainstream-Pop dominieren seit Jahren Hip-Hop-Beats, süchtigmachende kurze Hooks und Lautstärke: Es ist tatsächlich erwiesen, dass Popproduktionen immer lauter werden. Eilish wählte Reduktion und Entschleunigung. Ihr Pop funkelt im Dunkeln, ist mysteriös und traumhaft, lockt, anstatt einzupeitschen. Die Stimme steht im Vordergrund, klingt unglaublich nah. Die Instrumentierungen, für die ihr Bruder Finneas O’Connell verantwortlich zeichnet, umspielen die Stimme nur, Soundeffekte setzten Highlights und sorgen für die oft düstere Atmosphäre, die Eilishs erstes Album von 2019, When We All Fall Asleep, Where Do We Go?, wie einen Film-Soundtrack klingen ließen.

Nebst zahlreichen anderen Awards gewann sie dafür auch den Grammy für das Album des Jahres. Die cinematografische Note ihrer Musik machte Eilish auch zur idealen Wahl, um einen James-Bond-Song aufzunehmen. No Time To Die machte sie zur jüngsten Interpretin eines solchen. Die Vorboten zum zweiten Album Happier Than Ever, das am 30. Juli erscheint, klingen reifer, gelassener, weniger nach "teenage angst"; inhaltlich scheint es stark um die Verarbeitung der Tatsache zu gehen, quasi über Nacht Superstar geworden zu sein. Starke musikalische Stilbrüche dürfte es aber keine geben.

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Die Zoomerin

Als Billie Eilish und ihr Bruder 2020 den Grammy für das Album des Jahres entgegennahmen, sagte Finneas in seiner Rede: "Wir schrieben ein Album über Depression, Suizidgedanken und Klimawandel. Jetzt stehen wir hier, verwirrt und dankbar."

Besser kann man eigentlich nicht zusammenfassen, warum das Phänomen Billie Eilish so großen Anklang bei der Generation Z, also den "Zoomern", findet. Schießereien an Schulen und grassierender Rassismus in Amerika, eine globale Klimakrise, ein Virus, das die Jungen für ein Jahr wegsperrte und sie vermutlich noch stärker prägen wird als jene, die bereits erwachsen waren, als es mit Covid losging – es ist kein Wunder, dass gerade diese Generation über Depressionen, Angststörungen und psychische Belastungen klagt.

Die 2001 geborene Musikerin gab wie keine andere dem Gefühl vieler junger Menschen, unverschuldet eine Welt geerbt zu haben, die den Bach runtergeht, einen Sound und eine Stimme. Eilish ist quasi die Greta Thunberg des Pop – eine weibliche Galionsfigur, die mit der Gesamtsituation mächtig unzufrieden ist.

Eilish lebt vegan, nimmt keine Drogen, hat ein enges Verhältnis zu ihrer Familie und changiert wie viele der Adoleszenten zwischen Aktivismus und Nihilismus. Sie ist Feministin, politisch links und wie die meisten Zoomer mit allen Wassern des Internets gewaschen – besonders wenn es um die Selbstdarstellung geht.

So wird auch über ihren Stil, ihre Art, sich zu kleiden, und das Frauenbild, das sie damit verkörpert, mehr geredet als über ihre Musik – siehe nächster Punkt.

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Die Frau

Wann immer sich ein schwarzes Zelt mit Neon-Farbklecksern über einen roten Teppich bewegte, konnte man annehmen, dass es sich um Billie Eilish handelte. Es hieß, sie wollte sich mit ihrem "Unisex-Oversize-Look" den Bewertungen ihres Körpers – zu dick, zu dünn, zu schirche Knie, zu verschrumpelte Ellenbogen, zu runder Nabel –, also dem ewigen "zu", mit dem der weibliche Körper belegt wird, entziehen. Doppelten Applaus gab es, weil eine junge Frau, die sich nicht auszog, auch erfolgreich sein konnte.

Wann immer ein Foto auftauchte, dass Eilish lachend oder mit einem sichtbaren Streifen Haut zeigte, anders also, als man die "Marke Eilish" kannte, fühlte sich jemand verraten. Der Höhepunkt war erreicht, als die Sängerin ihre grünen Haare blond färbte und sich für ein "Vogue"-Cover in Dessous ablichten ließ.

Viele waren enttäuscht, sahen darin ein Zugeständnis an ein konventionelles Frauenbild. Fraglos ist Mode, gerade wenn man ein Star ist, ein wichtiges Ausdrucksmittel. Natürlich sendet Eilish mit der Wahl ihrer Kleidung bewusst Signale. Das wichtigste Signal ist aber – und das betonte sie im Interview mit der "Vogue" auch –, dass es nun einmal ihre Wahl, ihre Entscheidung, ihr Körper ist.

Die "Body-Positivity", für die sich Eilish immer eingesetzt hat, bedeutet, sich nun einmal so zeigen zu können, wie man es möchte. Der mediale Kampf um Eilishs Körper beweist, wie sehr junge Frauen sich noch immer für ihr Äußeres rechtfertigen müssen und wie stark von der Kleidung (oder eben Nichtkleidung) darauf geschlossen wird, welche "Art von Frau" jemand ist. (Amira Ben Saoud, 26.7.2021)