Der israelische Judoka Tohar Butbul (oben) legt seine Gegner reihenweise aufs Kreuz. Er gehört zu den Besten seiner Branche.

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Hakoah-Präsident Paul Haber sieht "antijüdisches Verhalten", das aber nicht immer freiwillig an den Tag gelegt wird.

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Überrascht war Paul Haber vom ersten Skandal der Olympischen Spiele nicht. Der algerische Judoka Fethi Nourine zog seine Teilnahme in der Klasse bis 73 Kilogramm zurück, um im Falle eines Auftaktsiegs nicht in der zweiten Runde gegen den Israeli Tohar Butbul antreten zu müssen. "Passiert ist so etwas ja schon öfter, deswegen macht es mich aber nicht weniger traurig", sagt Haber, Präsident des jüdischen Sportvereins Hakoah Wien, zum STANDARD.

Die Reaktion des Judo-Weltverbands IJF, Nourine sowie dessen Trainer Amar Benikhlef vorläufig zu suspendieren, geht Haber als Strafe nicht weit genug. "Sportler und Funktionäre sollten lebenslang gesperrt werden. Das ist ein klar antijüdisches Verhalten, das klar im Gegensatz zum olympischen Frieden steht."

Druck auf Familien

Dass etwa auch iranische Sportler nicht gegen Israelis antreten, hat mittlerweile traurige Tradition, besonders im Judo. Bei der WM vor zwei Jahren wurde der damalige Iraner Saeid Mollaei von seinem Verband durch Drohungen gegen ihn und seine Familie dazu gezwungen, absichtlich zu verlieren, um im Finale nicht gegen Sagi Muki aus Israel antreten zu müssen. Mollaei floh nach Deutschland, fand Asyl und trat international unter der Flagge des Flüchtlingsteams an. In Tokio kämpft er für die Mongolei, die ihn vor zwei Jahren eingebürgert hat.

Iranische Boykottmaßnahmen gegen israelische Sportler sind zahlreich dokumentiert. Der IJF suspendierte den Iran im April für vier Jahre. Haber glaubt, dass es vielen arabischen Sportlern wie Mollaei ergeht. Die Entscheidung, Hoffnungen schon vor Wettkampfbeginn zu begraben, erfolge oft nicht freiwillig, "sondern weil Druck auf die Sportler, aber auch auf deren Familien ausgeübt wird". Was Haber nicht nachvollziehen kann, ist das fehlende Kalkül der Sportler. "Sie bereiten sich jahrelang auf die größte Bühne ihrer Karriere vor und müssen damit rechnen, dass sie dort gegen einen Israeli antreten."

Schwache Olympier

Noch im Jänner hatte sich IOC-Präsident Thomas Bach darauf berufen, dass ihm von Sportminister Massud Soltanifar und dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Irans in einem Brief die umfassende Achtung der Olympischen Charta versprochen worden sei. Geändert hat das freilich nichts. Im Gegenteil: Die Diskriminierung israelischer Sportler ist gewollter denn je. Das Vorhaben iranischer Parlamentarier, den Sportlern des Landes Wettkämpfe gegen israelische Sportler gesetzlich zu verbieten, ist zwar vorübergehend ad acta gelegt worden, Irans Athleten wissen aber ohnehin, dass der Boykottzwang bindend ist.

"Ohne Veränderungen im Iran", sagt Paul Haber, "werden Sportler weiter politische Opfer sein." Ob drastischere Sanktionen helfen würden? Bei Olympia 2016 hatte Ägyptens Judoka Islam El Shehaby seinem israelischen Bezwinger Or Sasson den Handschlag verweigert. Er musste daraufhin vor der Schlusszeremonie abreisen. Mehr als eine Aufforderung an den ägyptischen Verband, dieser möge seine Sportler künftig schon vor den Spielen über die olympischen Werte informieren, brachte das IOC nicht zuwege.

"Wer uns hasst, soll zu Hause bleiben"

Dass es auch anders geht, zeigt der Fußball. Etliche Iraner haben bereits gegen israelische Vereine gekickt. Der erste war übrigens der mittlerweile verstorbene Sturm-Graz-Legionär Mehrdad Minavand, der in Graz am 26. Juli 2000 beim 3:0 in der Champions-League-Quali gegen Hapoel Tel Aviv durchspielte, ohne Probleme zu bekommen. Die Reise nach Israel machte Minavand dann allerdings nicht mit. Der ehemalige iranische Teamkapitän Masoud Shojaei und sein Stellvertreter Ehsan Hajsafi spielten vor vier Jahren mit ihrem Verein Panionios Athen gegen Maccabi Tel Aviv, wurden dafür kurzfristig aus dem Nationalteam eliminiert, aber für die WM 2018 nach Protesten wieder zurückgeholt.

"Wir haben viel gearbeitet, um die Olympischen Spiele zu erreichen, aber die palästinensische Sache ist größer als all das", sagte der algerische Judoka Nourine nach seinem Boykott in Tokio. Ein Gesetz, demzufolge jede kulturelle oder mediale Handlung verboten ist, die "die Aufwertung des zionistischen Regimes" beabsichtige, gibt es im Iran, aber nicht in Algerien. Als Aufwertung wird aber auch da im Alltag schon die Einblendung der israelischen Flagge gewertet. Was wäre dann erst eine Niederlage gegen Butbul?

"Wir hatten kein Glück bei der Auslosung", sagte sein Trainer Ben Yekhlef algerischen Medien. Eine Normalisierung der Beziehung zu Israel lehne das Land ab. Israels Tourismusminister Yoel Razvozov zeigte sich zufrieden mit dem Ausschluss: "Es gibt keinen Platz für Politik im Sport. Wer uns hasst, soll zu Hause bleiben." Paul Haber wünscht sich weniger aggressive Rhetorik. "Das IOC muss reagieren. Wenn Werte wie Solidarität oder Respekt bei den Spielen nicht gelebt werden, wo dann?" (Florian Vetter, 26.7.2021)