Kanzler Kurz hätte eigentlich in Salzburg Kommissionspräsidentin von der Leyen treffen sollen, sagte aber krankheitsbedingt ab. Für ein Interview mit "Bild live" fand er Zeit.

Foto: APA / HERBERT NEUBAUER

Von der Leyen kritisierte Kurz wegen seiner Aussagen zur Klimapolitik. Im Bild v. l.: Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Heiko von der Leyen, der Ehemann der Kommissionspräsidentin.

Salzburg/Wien/Kabul – Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will auch bei einer Anklageerhebung gegen ihn nicht zurücktreten. In einem Interview mit "Bild live" antwortete Kurz auf die Frage, ob ein Angeklagter Bundeskanzler sein könne: "Ja, selbstverständlich." Schließlich sei bei solchen Anklagen "nie etwas dran" gewesen, und sie hätten sich "alle als falsch herausgestellt", argumentierte Kurz. Auch bei seinen Aussagen zum Klimaschutz blieb Kurz bei seiner Linie, trotz heftiger Kritik.

Opposition mit heftiger Kritik

Zu einer möglichen Anklage gegen ihn wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss sagte Kurz, dass er wisse, was er getan und nicht getan habe. "Ich habe definitiv immer vorsätzlich die Wahrheit gesagt", bekräftigte der ÖVP-Chef seine Verteidigungslinie. Auf die Frage, ob er mit 40 Jahren noch Kanzler sein werde, sagte der bald 35-Jährige: "Ich fühle mich derzeit sehr wohl in der Politik. Ich glaube, dass ich einen Beitrag leisten kann."

Das sieht offenbar die Opposition anders, die heftige Kritik an Kurz übte. "Ein Kanzler kann nicht gleichzeitig auf der Regierungsbank und der Anklagebank sitzen", sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst sprach von einer "Unverfrorenheit von ÖVP-Kanzler Kurz", die "langsam unerträglich" werde. Bei einer Anklageerhebung hätte Kurz – "nach seinen eigenen Maßstäben" – zurückzutreten, betonte sie. Für die Neos sei Kurz zu sehr mit sich selbst beschäftigt, anstatt sich um wichtigere Themen, etwa Wirtschaft oder Schulöffnungen, zu kümmern.

"Bild"-Interview, aber keine Festspiele

Zurückhaltend gab sich der werdende Vater Kurz auf Fragen nach seinem Privatleben. Er freue sich auf die Geburt seines Kindes, doch wolle er sein Privatleben weiterhin privat halten. Die Schwangerschaft seiner Freundin habe man bekanntgegeben, weil sie bereits "sichtbar" gewesen sei. "Das war es auch schon", so Kurz. Allerdings wollte er nicht ausschließen, dass er nach der Geburt Karenz nehmen werde. "Ich werde dieses Frage gerne beizeiten beantworten."

Das Interview wurde laut "Bild" bereits am Freitag in Österreich aufgezeichnet. Aus einer Aussage des Kanzlers konnte man schließen, dass es in Salzburg geführt wurde. Dort hätte Kurz am Sonntag anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen treffen sollen, doch sagte er krankheitsbedingt ab und ließ sich von Außenminister Alexander Schallenberg und Karoline Edtstadler (beide ÖVP) vertreten. Bei der Eröffnung bezog Bundespräsident Alexander Van der Bellen klar Position: "Ich finde es falsch, Maßnahmen gegen die Klimakrise weiter hinauszuschieben und so zu tun, als würde diese von selbst vorbeigehen." Und: "Wenn wir ehrlich mit uns selber sind, wissen wir, dass es so nicht weitergehen kann. Und wir wissen, dass wir handeln müssen."

Von der Leyen widerspricht Kurz

In dem rund halbstündigen Interview nahm der Kanzler auch zu den Themen Migration, Corona und Klima Stellung. Mit der schnellen Entwicklung der Corona-Impfung versuchte Kurz auch seinen Glauben an die Technologie im Kampf gegen den Klimawandel Glaubwürdigkeit zu verleihen.

"Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschheit zu Unfassbarem imstande ist, wenn sie will", verwies er etwa auch auf die Entwicklungen in den Bereichen Solarzellen oder Elektromobilität. Statt die Menschen bei 16 Grad im Winter in ihren Wohnungen "frieren" zu lassen, solle man lieber auf eine "bessere Isolierung" setzen. Zudem brauche man in ländlichen Gebieten das Auto. "Das wird anders nie möglich sein", sagte Kurz. "Ich glaube nicht, dass Klimaschutz durch Verzicht funktioniert", bekräftigte der Kanzler seinen Kurs, dem zahlreiche Klimaforscherinnen und Klimaforscher bereits widersprachen.

"Wir wollen unseren Wohlstand erhalten, aber eben nicht mehr auf Kosten unseres Planeten und kommender Generationen", sagte von der Leyen in einem Interview während ihres Salzburg-Besuchs über die EU-Klimapolitik.
Foto: APA / BARBARA GINDL

Auch von der Leyen widersprach Kurz in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten" und "Oberösterreichischen Nachrichten" von Montag. Mit einem Nein beantwortete sie die Frage, ob sie die Gefahr sehe, dass Klimaschutz "in die Steinzeit" führen könnte, wie von Kurz in einer Polemik gegen die Klimapolitik des grünen Koalitionspartners behauptet wurde. "Wir wollen unseren Wohlstand erhalten, aber eben nicht mehr auf Kosten unseres Planeten und kommender Generationen", betonte von der Leyen, die sich diesbezüglich erfreut über die hohen österreichischen Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien zeigte.

ÖVP-Wirtschaftsbund gegen Grüne

Sie macht dennoch Hoffnungen auf eine Klimapolitik ohne drastische Einschnitte. Der europäische Green Deal solle Menschen und Betriebe in die Lage versetzen, "weiterhin das zu tun, was uns Freude gemacht und unseren Betrieben auf den Märkten dieser Welt Erfolg gebracht hat", sagte sie. Auch werde man "darauf achten, dass niemand überfordert wird". Die EU werde "sehr behutsam" vorgehen, auch die geplante CO2-Bepreisung werde den europäischen Unternehmen im globalen Wettbewerb nicht schaden, sagte sie.

Schützenhilfe bekam Kurz am Montag vom ÖVP-Wirtschaftsbund: Die Grünen würden sich mit "abstrakten Diskussionen um Klimaziel-Quoten", "Unternehmerbashing" und der Evaluierung von Infrastrukturprojekten begnügen und ihre Regierungsverantwortung "vergessen", so Generalsekretär Kurt Egger in einer Aussendung. Der Wirtschaftsbund forderte die sofortige Realisierung sämtlicher Kraftwerkprojekte, gegen die Umweltschützer schwerwiegende Bedenken äußern, wie etwa das geplante Speicherkraftwerk im Kühtai in Tirol. Die Wirtschaft stünde für eine innovative Energiewende bereit, man müsse ihr Fesseln abnehmen und sie arbeiten lassen, hieß es.

Am Wochenende hatte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) dem Kanzler "altes Denken" attestiert. Er habe das Gefühl, Kurz werde "von den falschen Leuten" beraten, er umgebe sich zu viel mit Öllobbyisten und Betonierern. "Sonst ist das nicht erklärbar." Klimaschutz sei jedenfalls ein "Mehrheitsanliegen", gab sich der Vizekanzler überzeugt.

Kurz bleibt bei Abschiebungen nach Afghanistan

Von "Bild" unter anderem mit barbarischen Aussagen eines afghanischen Taliban-Richters über die Steinigung von Homosexuellen konfrontiert, blieb Kurz bei seiner Haltung zum Thema Migration.

"Wir werden sicherlich weiter nach Afghanistan abschieben", betonte er. Flüchtlinge sollten in den Nachbarländern oder in anderen Teilen des Landes aufgenommen werden, die nicht unter Kontrolle der Taliban seien, so Kurz, der einräumte, sich "Sorgen" wegen des internationalen Truppenabzugs aus dem Land zu machen. "Das ist dramatisch für die Menschen dort, das wird zu Migrationsströmen führen", sagte er.

Importierte Gewalt

Allerdings würde aus dem Land auch sehr viel an homophoben oder frauenfeindlichen Ansichten importiert, so Kurz, der in diesem Zusammenhang auch den Fall Leonie erwähnte. Überhaupt rechne er bei einem Anstieg der Flüchtlingszahlen aus Afghanistan mit einer neuen Qualität der Gewaltkriminalität, auch wenn sich viele Flüchtlinge "sehr gut integriert" hätten: "Sie müssen sich ja nur die Kriminalitätsstatistiken anschauen. Vieles, was es hier an Brutalität gibt, hat es in der Vergangenheit so nicht gegeben. Die Zahlen sind sehr eindeutig in gewissen Gruppen, was die Häufung der Gewaltverbrechen betrifft, was die Häufung von sexueller Gewalt gegen Frauen zum Beispiel betrifft." Seine Sorge gelte auch dem möglichen eingewanderten Islamismus. "Ich möchte genau diese kranke Ideologie nicht nach Europa importieren."

Deshalb bleibe er auch bei seiner Forderung, "über Drittstaaten abzuschieben, wenn eine Abschiebung in das Herkunftsland direkt nicht funktioniert". Darüber gebe es aber noch keine Verständigung in der EU. Nachdem Afghanistan selbst wegen der prekären Sicherheitslage und der Corona-Pandemie einen vorzeitigen Abschiebestopp ins eigene Land gefordert hatte, setzten bislang Schweden, Finnland und Norwegen ihre Rückführungen aus. (lalo, APA, Reuters, 26.7.2021)