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Daniel Hale wurde 2019 im Rahmen des Espionage Act verurteilt. Diese Woche soll das Strafmaß bekanntgegeben werden.

Foto: AP/Bob Hayes

Es war mitten in der Nacht, als eine Salve Hellfire-Raketen das Leben in Khashamir auf den Kopf stellen sollte. Salem bin Ahmed Ali Jaber, der Imam des Dorfes im südöstlichen Jemen, und sein Bruder Walid, ein Polizist, standen in einem Palmenhain und führten ein Streitgespräch mit drei Männern. Das Trio stand unter Verdacht, aufständischen islamistischen Milizen anzugehören.

Die vier Raketen, abgefeuert durch den Knopfdruck eines Soldaten in der jüngst vom US-Militär geräumten Basis im afghanischen Bagram aus gut 3.000 Kilometern Entfernung, töteten alle fünf Männer. "Ohne Reue klatschte und jubelte ich zusammen mit allen anderen triumphal", schildert der junge Aufklärungsspezialist Daniel Hale in einem handgeschriebenen Brief, den er an das US District Court for the Eastern District of Virginia geschickt hat.

In seinem Schreiben, verfasst am 18. Juli, erinnert er sich an den Auftritt von Faisal bin Ali Jaber, Bruder von Salem und Walid, bei einer Anhörung in Washington, D.C., ein Jahr nach dem Drohnenanschlag. Faisal war, so schildert es Hale, "vor einem sprachlosen Publikum in Tränen ausgebrochen". Gerade Salem hatte sich einen Namen dafür gemacht, die Aktivitäten der Terrororanisation "Islamischer Staat" auf der arabischen Halbinsel scharf zu verurteilen.

Whistleblower wartet auf sein Urteil

Hale war im Rahmen des umstrittenen Espionage Act angeklagt und 2019 von einem Geschworenengericht verurteilt worden. Ihm wurde vorgeworfen, eine Reihe an Geheimdokumenten – auch "Drone Papers" genannt –, die nicht in Verbindung mit dem Drohnenangriff im Jemen standen, weitergegeben zu haben. Er hatte sich schuldig bekannt. Diese Woche soll seine Strafe verkündet werden, berichtet "The Intercept". Das Medium soll auch Empfänger der geleakten Unterlagen gewesen sein, gibt allerdings keinen Kommentar betreffend seiner Quellen ab.

Chefredakteurin Betsy Reed betont jedenfalls die Wichtigkeit der Dokumente. Diese zeigten "einen geheimen Prozess ohne Verantwortlichkeiten, um Menschen rund um die Welt – auch US-Bürger – auszuforschen und mit Drohnenangriffen zu töten", sagt sie. Es sei essenziell, dass der Öffentlichkeit über diese Informationen und damit verbundene Aktivitäten berichtet werde. Die Veröffentlichung sei ihrer Meinung nach auch vom ersten Zusatz der US-Verfassung, der die Meinungsfreiheit festschreibt, gedeckt.

Seitens der Anklage, die die Höchststrafe von elf Jahren fordert, sieht man das anders. Man wirft dem Whistleblower vor, sein eigenes Interesse an Ruhm und Ehre vor die Interessen des Landes gestellt zu haben. In den Dokumenten seien "spezifische Details" zu finden, die von Feinden dazu genützt werden könnten, Operationen des US-Militärs und der Geheimdienste zu stören oder zu verhindern. Dabei verweist man auch darauf, dass zwei solcher Unterlagen auch in einem Handbuch des IS für seine Anhänger gelandet seien. Hales Bewährungshelfer hat aber ausgerechnet zu jenen Informationen, die diese Behauptungen stützen sollen, noch keinen Zugang erhalten, was auch seitens der Strafverfolger als im Vorfeld einer Verurteilung "unüblich" gesehen wird.

Harry Cooper, ein ehemals führender CIA-Mitarbeiter, der Einblick in die geleakten Dokumente hatte, widerspricht jedenfalls dieser Darstellung. Diese enthielten zwar Informationen von Bedeutung für die Landesverteidigung, zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung habe dies aber kein "substanzielles Risiko für die nationale Sicherheit" dargestellt. Die Weiterverbreitung durch den IS spreche eher dafür, dass man die Unterlagen dort als "Trophäen" sehe, zumal ihre Publikation jeglichen taktischen Vorteil, den sie versprechen, zunichte mache.

Tausende zivile Opfer

Hales Anwälte betonen, dass ihr Klient nicht mit böser Absicht gehandelt habe, sondern aus der Überzeugung heraus, dass die US-Regierung im Geheimen moralisch verwerfliche Handlungen setze, die zudem den Aussagen des damaligen US-Präsidenten Barack Obama zuwiderliefen, der stets die "Präzision" der Drohnenangriffe hervorgehoben habe.

Menschenrechtsexperten und andere Gegner des Drohnenprogramms unterstützen diese Ansicht und halten eine Veröffentlichung dieser Aktivitäten für notwendig. Das britische Bureau of Investigate Journalism schätzt, dass die seit 2004 dokumentierten ferngesteuerten Angriffe in verschiedenen Ländern bisher zwischen 8.858 und 16.901 Opfer gefordert hätten. Es dürften 2.200 Zivilisten dazugehören, darunter mehrere US-Bürger und hunderte Minderjährige.

Aus Hales Dokumenten soll auch hervorgehen, dass die Personen, die bei den Drohnenschlägen umkommen, regelmäßig als "beim Einsatz getötete Feinde" klassifiziert werden, bis das Gegenteil bewiesen wird. Erst 2016 führte die scheidende Obama-Regierung eine Transparenzregelung ein, gemäß derer mutmaßlich zivile Opfer separat ausgewiesen wurden. Sein Nachfolger, Donald Trump, machte diesen Schritt aber wieder rückgängig.

Kapitalfluss, der mit Blut bezahlt wird

In seinem Brief zeigt sich Hale reuig ob seines Mitwirkens an den Drohnenoperationen und erweist sich als scharfer Kritiker des Programms. Es vergehe kein Tag, an dem er seine Handlungen nicht hinterfrage, auch das Töten von Personen, die nachweislich in Verbindung mit islamistischen Terroristen standen.

"Wie konnte irgendjemand glauben, dass es für den Schutz der USA notwendig sei, nach Afghanistan zu gehen und Menschen zu töten, von denen keiner verantwortlich für den Angriff auf unsere Nation am 11. September war?", schreibt er weiter. "Ein Jahr nach dem Tod von Osama bin Laden in Pakistan war ich mitverantwortlich für die Tötung fehlgeleiteter junger Männer, die am Tag von 9/11 noch Kinder waren." Zudem seien ihm mit der Zeit immer mehr die finanziellen Motive hinter dem Krieg gegen den Terror bewusst geworden.

Er habe doppelt so viele Söldner wie uniformierte Soldaten gesehen, die noch dazu das zehnfache Gehalt bezogen. Er sei Zeuge dessen gewesen, wie ein afghanischer Bauer zerfetzt wurde – und wie ein in US-Flaggen gehüllter Sarg am Militärfriedhof Arlington unter Salutschüssen in die Erde gesenkt wurde. Beides sei zugunsten des schnellen Kapitalflusses gerechtfertigt worden, der auf beiden Seiten des Krieges mit Blut bezahlt wurde.

"Kriegspornos"

Immer wenn jemand die Drohnenschläge zum Schutz der USA rechtfertige, erinnere er sich, so Hale, an solche Vorfälle und frage sich, wie er selbst jemals noch glauben könne, ein guter Mensch mit dem Recht auf ein glückliches Leben zu sein. Sein Mitwirken daran sei ein großes Unrecht gewesen. Nach seinem Ausscheiden aus der Air Force nahm er einen Job als Mitarbeiter im Verteidigungsbereich an, dank dem er seine Zugangsberechtigungen behalten konnte.

Seine Erlebnisse dort sollten der Wendepunkt sein, die ihn zum Whistleblower werden ließen. Er berichtet von Kollegen, die Aufnahmen von Drohnenschlägen aus dem Archiv luden, um sich daran zu erfreuen, als wären es "Kriegspornos". Um diesen "Kreislauf der Gewalt" zu durchbrechen und mit sich selbst ins Reine kommen zu können, sei er schließlich bereit gewesen, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen – und schrieb an einen Investigativjournalisten, dass er etwas habe, was die Öffentlichkeit wissen sollte.

Seine Unterstützer mobilisieren für ihn. Sie forderten den amtierenden US-Präsidenten Biden zuletzt auf, Hale zu pardonieren. (gpi, 26.7.2021)