Lina Beckmann als geschmeidig messerschwingender König in spe in "Richard The Kid & The King".

Foto: Monika Rittershaus, Salzburger Festspiele

Hallein – Man weiß es nicht genau: War für Klein Richard bereits im Mutterleib die Monsterlaufbahn vorgesehen, weil von Grund auf verschmäht und missachtet? Oder gibt es für dieses in eine eiskalte Dynastie hineingeborene Kind grundsätzlich keine größere Lust als das Abschlachten sämtlicher Rivalen, und mögen es die nächsten Verwandten sein? In Karin Henkels Inszenierung einer selbstgestrickten "Richard III"-Fassung namens "Richard The Kid & The King" auf der Perner-Insel in Hallein laufen die Ursachen für seinen Sadismus jedenfalls in einer über die Maßen schrecklichen Kindheit zusammen.

Aus dem von allen Seiten verabscheuten und obendrein missgestalteten Jüngling musste also ein Mörder werden. Von dieser einfachen Rechnung weg entwickelt Lina Beckmann in der Titelrolle eine komplexe, zwischen Facetten des Bösen und der Verwundung changierende Darstellung. Furios fächert sie den berühmten Shakespeare-Helden in seiner erbarmungswürdigen Perfidie auf und ist so das Ereignis dieser Inszenierung; sie entstand in Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, wo sie kommende Spielzeit laufen wird.

Herrschaft als Bühne

Quasimodo, Tarantino-Killer und breit lächelnder Joker? Alles das zusammen ist Beckmann, wenn sie durch die Herrschaftswelt streift – Katrin Brack hat diese als Bühne definiert. Auf einem von runden Lampen behangenen, leicht schrägen Scheibenrund muss performt werden: als Kind vor der Mutter, als Bruder, als Ehemann, als Captain Future eines Königreichs, das in blutige Kriege getunkt ist. In dieser neuen Salzburger Fassung (u. a. mit Texten aus Tom Lanoyes "Schlachten!" von 1999) zieht der Herzog von Gloucester eine Show ab, die man nicht so schnell vergisst.

Schon am Beginn grinst dieser Richie verschwörerisch ins Publikum und flennt doch zugleich, dass seine Clownaugen hässlich verrinnen, weil Mama ihn immer ignoriert. Dann schmettert er, noch ein Kleinkind, den berühmten Ruf nach einem Pferd und treibt dann sein weißes Schaukelpferdchen mit imaginärer Peitsche und sich in Zeitlupe betörend windendem Rückgrat zum Sturm gegen alles, was sich ihm in den Weg stellt. Die ihm vom verfeindeten Haus Lancaster vor die Füße geworfenen Köpfe seines Vaters und seines Bruders setzt er – nach kurzem Innehalten – als Bowlingkugeln ein. Bevor er in die "Kugel" greift, ruft er: "Papa, mach dein Maul auf!"

Von Dödeln umgeben

Hier sprechen aber auch die Körper. Selten gehen Schauspielkunst und Körperperformance so geschmeidig Hand in Hand wie bei Lina Beckmanns Richard. Sie bäumt sich mit starken Schultern auf, stapft o-beinig zur nächsten Tat oder funkelt mit verdrehtem Kopf und voller Falschheit die künftigen Opfer an. Von welchen Dödeln ist dieser Mann umgeben? Alles fahle Erbsenzähler. Nur die Frauen haben sich in dieser Männerwelt gewappnet: Kate Strong als Gothic-Horror-Mutter, die mit weit schwingendem Witwenkittel dem Kind schon früh Todesluft zuweht. Oder Königin Elisabeth (Bettina Stucky), die ihrem Schwager Richard verbal Saures gibt.

Fabelhafte Figur macht auch Kristof Van Boven in mehreren Lancaster-Rollen, die er eine nach der anderen voller Extravaganz und knapp bis zum Kipppunkt der Karikatur aus sich herausschält. Glanzleistungen wie diese tragen über die doch flache dramaturgische Kurve der Inszenierung hinweg. Besonders nach der Pause des über vierstündigen Abends hängt das Meuchelmördertum spürbar durch. Doch bald geht es dicht weiter.

Hüftgeschmeidigkeit

Richard, der sich wohl nicht sonderlich als Mann begreift und deshalb demonstrativ umso öfter ans Gemächt fasst, spielt seine Rollen exzellent. Er inszeniert sich als Pussy-Grabber, er wirbt mit einem in Hüftgeschmeidigkeit neue Maßstäbe setzenden Elvis-Veitstanz um eine Braut. Er, der künftige Staatenlenker, betet die Heiligen Kühe moderner Unternehmenskultur verlogen herunter: Flache Hierarchien, schlanke Strukturen, Frauenquote, Work-Life-Balance. Da muss er selber lachen.

Wenn er "Nächstenliebe" sagt, versagt ihm jedes Mal die Zunge. S-Fehler! Dafür kann er die Gedärme seiner möglichen Widersacher frühstücken. "Schau mal, Mama!", ruft er noch, als er der Krone schon millimeternah gerückt ist. Dieser "Richard" ist ein schauspielerisches Ereignis und ein Glücksfall für das Theaterprogramm der Salzburger Festspiele. (Margarete Affenzeller, 26.7.2021)