Medienjournalist Stefan Niggemeier.

Foto: Jan Zappner

Mit dem Ziel, "gute Medienkritik, die zwischen den Stühlen sitzt", zu machen, ist Stefan Niggemeier vor gut fünf Jahren mit seinem Portal uebermedien.de angetreten. Der "Bildblog"-Gründer und Medienjournalist hat 2016 gemeinsam mit dem Medienjournalisten und freien Autor Boris Rosenkranz uebermedien.de gegründet. Mit Erfolg. Die wirtschaftliche Basis ist ein Abomodell, das von fünf Euro pro Monat bis zu 20 Euro monatlich reicht. Niggemeier und Rosenkranz halten derzeit bei über 6.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Das ist ihnen nicht genug. Bis Ende Juli wollen sie auf über 7.000 kommen. Warum, erklärt Niggemeier dem STANDARD via Mail.

STANDARD: Sie haben kürzlich die Kampagne #über7000 ins Leben gerufen. Wie viele Abonnentinnen und Abonnenten fehlen noch auf 7.000?

Niggemeier: Aktuell sind wir bei 6.129, also fehlen noch 871. Oh, jetzt sind es schon 6.131. Und wenn die STANDARD-Leserinnen und Leser das jetzt sehen …

STANDARD: Auf der einen Seite haben Sie zwei Redakteurinnen eingestellt, auf der anderen Seite läuft die Kampagne: Ist das nicht ein Widerspruch, und was passiert, wenn Sie Ihr Ziel nicht erreichen?

Niggemeier: Beides hängt direkt zusammen. "Übermedien" muss wachsen. Es gibt so viele Themen, die wir behandeln wollen, wir haben so viele Ideen, wir wollen in jeder Hinsicht vielfältiger werden. Wir hatten ursprünglich nur eine neue Stelle schaffen wollen. Dann haben wir aber so viele interessante Bewerbungen bekommen, dass wir gesagt haben: Wir gehen den für uns mutigen Schritt, gleich zwei neue Redakteurinnen einzustellen – und nutzen das für eine Abo-Kampagne. Wenn wir die 7.000 nicht erreichen sollten, müssen wir uns leider etwas anderes einfallen lassen und können einen Teil unserer Pläne nicht verwirklichen. Aber keine Sorge, die Redakteurinnen werden deshalb nicht wieder entlassen.

STANDARD: Sollte die Kampagne erfolgreich sein: Sind neue Formate in Planung oder gar eine Expansion nach Österreich etwa?

Niggemeier: Wir planen vor der Bundestagswahl unter anderem eine Reihe darüber, wie Medien Menschen manipulieren. Der Wunsch, uns auch besonders um Österreich zu kümmern, ist schon häufiger an uns herangetragen worden. Dafür müssen wir aber noch ein bisschen weiterwachsen.

STANDARD: In Österreich stand beispielsweise die Rechercheplattform "Dossier" mit dem Rücken zur Wand und war kürzlich sehr erfolgreich mit einer Kampagne um neue Mitglieder: Fehlt es noch immer an Bewusstsein, dass guter Journalismus etwas kostet?

Niggemeier: Ja, aber gleichzeitig wächst dieses Bewusstsein auch. Man sieht das bei den großen Medien, die immer mehr auf Bezahlinhalte setzen, aber auch an vielen kleinen unabhängigen Medien, die ein Publikum finden, das sie gerne finanziell unterstützt. Uns ist es aber auch wichtig, mit unseren Inhalten möglichst viele Menschen zu erreichen, deshalb sind nach spätestens einer Woche alle Artikel kostenlos zu lesen. Ermöglicht werden sie aber von den Übonnentinnen und Übonnenten, wie wir sie liebevoll nennen.

STANDARD: Nach über fünf Jahren uebermedien.de: Gibt es Überlegungen, auch auf andere Finanzierungsformen zu setzen, oder würde das der Prämisse Unabhängigkeit widersprechen? Werbung zum Beispiel? Oder bei einem Verlag anzudocken?

Niggemeier: Wir haben "Übermedien" gegründet, um uns von den Kompromissen zu befreien, die man immer wieder eingehen muss, wenn man Medienjournalismus in einem Verlag oder anderen größeren Medienunternehmen betreibt: die Interessenkonflikte, Rücksichtnahmen und Bedenken, die wir immer wieder erlebt haben. Deshalb wäre das keine Option für uns. Werbung würden wir nicht grundsätzlich ausschließen, aber eigentlich ist uns die liebste Form die, die wir jetzt haben: dass wir uns von niemandem bezahlen lassen außer von unseren Abonnentinnen und Abonnenten. Das hat bislang gut funktioniert, und das wird es sicher auch in Zukunft.

Die übermedien.de-Gründer Boris Rosenkranz (links) und Stefan Niggemeier.
Foto: Jan Zappner

STANDARD: Sie sind ja jetzt auch Mitglied des Presserats. Bringt das mehr Glaubwürdigkeit? Sie beschweren sich ja schließlich selbst gern über andere Medien beim Presserat.

Niggemeier: "Mitglied" sind wir genau genommen nicht. Wir haben eine Selbstverpflichtungserklärung unterschrieben – erst damit wird der Deutsche Presserat für ein unabhängiges Onlinemedium wie uns zuständig. Ja: Wir müssen uns selbst derselben Überprüfung unserer Arbeit stellen wie sie auch für andere gilt. Wir hoffen natürlich, dass wir keinen Anlass zu Beanstandungen durch das Gremium bieten – aber wenn doch, würden wir damit transparent umgehen. Das tun leider nicht alle.

STANDARD: Kürzlich wurde eine Studie über Medienjournalismus in Deutschland veröffentlicht, und da war bei Verantwortlichen von "Beißhemmung" die Rede: Wie steht es um den Medienjournalismus in Deutschland?

Niggemeier: Keine Frage: Es gibt auch guten Medienjournalismus außerhalb von "Übermedien". Aber die "Beißhemmungen" sind tatsächlich ein Thema, vor allem in den Verlagen. Es wird ungern über Probleme geschrieben, die die Zeitungen selbst haben. Immer wieder mal wird Medienjournalismus auch für Lobbying in eigener Sache missbraucht, etwa im Kampf für ein Leistungsschutzrecht. Und generell sind die Medienredaktionen ziemlich unter Druck, was die Ausstattung angeht.

STANDARD: Haben Sie auch einen Befund über Österreichs Medienjournalismus?

Niggemeier: Dazu weiß ich zu wenig – aber manches wirkt aus der Ferne ganz schön aufregend. Ein österreichischer Medienmacher antwortete mir mal auf die Frage, ob es sein kann, dass alles Schlimme in Österreich noch ein bisschen schlimmer ist oder ob das nur ein blödes deutsches Vorurteil ist: Alles Schlimme sei in Österreich noch ein bisschen lächerlicher. Das klingt, als würde es für gute Medienkritik viel zu tun geben!

STANDARD: Ziel Ihrer Berichterstattung sind gerne die Hubert-Burda-Medien und die Bauer Media Group mit ihren Klatschblättern: Tangiert die das?

Niggemeier: Schwer zu sagen. Deren Geschäftsmodell besteht ja teilweise darin, journalistische Grenzen bewusst zu überschreiten. Da sind Anwalts- und Gerichtskosten vermutlich ebenso eingepreist wie schlechte Presse. Andererseits glauben wir schon, dass es wichtig ist, diese Grenzüberschreitungen auch immer wieder konkret zu benennen und öffentlich zu machen. Damit werden dann auch öffentliche Debatten ausgelöst, durch die die Verantwortlichen mit kritischen Fragen konfrontiert werden. Und vielleicht ist das sogar gelegentlich ein Anstoß, etwas zum Besseren zu verändern.

STANDARD: Sie haben ja kürzlich mit Jan Böhmermann gemeinsame Sache gemacht – bei der Abrechnung mit den deutschen Klatschblättern. Gab es da ein rechtliches Nachspiel, und wird es solche Kooperationen künftig häufiger geben?

Niggemeier: Unser Mitarbeiter Mats Schönauer beackert das Feld seit vielen Jahren mit seinem "Topf voll Gold", der inzwischen Teil von "Übermedien" ist. Er kennt sich bei dem Thema aus wie kein Zweiter und hat die Redaktion des "ZDF Magazin Royale" mit Recherchen unterstützt. Für uns war das eine tolle Gelegenheit, dem Thema mit dem Schwung Böhmermanns und der Wucht einer Fernsehsendung besondere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wenn es solche Möglichkeiten gibt, sind wir natürlich offen für eine Zusammenarbeit! Von rechtlichen Konsequenzen weiß ich nichts.

STANDARD: Hat Corona einen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation von uebermedien.de, oder spielt es keine Rolle, weil Sie ja werbefrei unterwegs sind?

Niggemeier: Die Abo-Finanzierung hat sich in der Corona-Situation als besonderer Glücksfall erwiesen. Wir hatten keine Einnahmeausfälle, im Gegenteil: Es gab ein großes Interesse, nicht zuletzt auch an kritischen Auseinandersetzungen mit der Pandemieberichterstattung. Da haben wir teilweise mit den Experten von riffreporter.de kooperiert. (Oliver Mark, 27.7.2021)