Allein im Homeoffice: Auch introvertierten Persönlichkeiten machte die Isolation zu schaffen.

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Die langen Lockdownphasen haben jedem viel abverlangt. Isoliertes Leben, kaum Kontakt zu Freunden und Arbeitskollegen, spontanes Tratschen im Büro unmöglich. Die einzige Verbindung zu den Kollegen erfolgte über Videoschaltungen, Telefonate oder Kurznachrichten. "Vom Paradies für Introvertierte" war zu lesen, oder auch, dass jetzt die Stunde der Introvertierten gekommen sei. Und gemeinhin möchte man meinen, dass die Bedingungen im Lockdown optimal für introvertierte Menschen sind.

Der britische Wissenschaftsautor David Robson (The Intelligence Trap: Why Smart People Do Dumb Things) hat diese Annahme einem Reality-Check unterzogen. Und die Realität sieht anders aus, schreibt er auf bbc.com. Psychologen haben den Einfluss der Persönlichkeit auf die psychische Gesundheit der Menschen während der Pandemie getestet – und die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es für Introvertierte mindestens genauso schwierig, wenn nicht viel schwieriger war, mit der Isolation zurechtzukommen.

Während extrovertierte Menschen viel sozialen Kontakt für ihr Glück brauchen, reichen Introvertierten wenige externe Reize, und sie brauchen viel Zeit für sich selbst, um sich zu regenerieren. Introvertierte Personen haben Freude daran, Dinge alleine machen zu können, große gesellschaftliche Veranstaltungen oder Networking sind für sie mehr Last als Freude. Der Grund dafür liegt im Dopaminsystem, wie Forschungen zeigen.

Psychische Belastung

Ganz ohne soziale Kontakte kommen aber auch Introvertierte nicht aus. "Soziale Beziehungen sind ein menschliches Grundbedürfnis", sagen die Psychologinnen Danièle Gubler und Katja Schlegel von der Universität Bern. Die beiden gehörten zu den ersten Psychologen, die den Einfluss der Persönlichkeit auf das Zurechtkommen während des Lockdowns testeten. Ihre Analysen zeigen, dass Extrovertierte und Introvertierte in ihrer Stichprobe kaum Unterschiede in Bezug auf Einsamkeit, Ängste und Depressionen aufwiesen. Alle schienen gleichermaßen zu leiden.

Eindeutiger waren die Ergebnisse der Studie von Anahita Shokrkon, Doktorandin an der University of Alberta. Sie befragte im Juni und Juli vergangenen Jahres über 1.000 Menschen in Kanada, und es zeigte sich, dass trotz der vielen Einschränkungen in ihrem sozialen Leben Extrovertierte mit den psychischen Belastungen besser zurechtkamen als Introvertierte. Ihre Erklärung dafür ist, dass extrovertierte Personen vor der Pandemie einen größeren Freundeskreis hatten, auf den sie während des Lockdowns auch zurückgreifen konnten. Und sie fanden schnell neue Wege, um Sozialkontakte aufrechtzuhalten. Introvertierte hatten hier größere Schwierigkeiten, ein gewisses soziales Leben aus der Distanz aufzubauen, ergänzt sie.

Die richtige Balance

Introvertiert oder extrovertiert sind aber keine festen Persönlichkeitstypen. Nur ganz wenige Menschen sind wirklich nur intro- oder extrovertiert. Die meisten bewegen sich in einem Spektrum zwischen diesen Typen. Der Grad der Ausprägung hängt oft auch von der Situation und der Stimmung ab. Dennoch ist unsere Gesellschaft eher für Extrovertierte gemacht. Die amerikanische Autorin Susan Cain schreibt in ihrem Buch Still (Goldmann, 2013), dass in der westlichen Welt das "Ideal der Extraversion" herrscht – viele der wichtigsten Institutionen seien auf extrovertierte Menschen zugeschnitten. In Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz stehen Teamarbeit und gemeinsames Brainstorming im Zentrum. Dabei reüssieren meist jene, die ihre Kompetenzen lautstark anpreisen.

Für Autor David Robson wäre jetzt, beim langsamen Auszug aus dem Homeoffice und dem Aufheben der Corona-Beschränkungen, ein guter Zeitpunkt sowohl für eher Introvertierte als auch für eher Extrovertierte, die richtige Balance zu finden, die am besten zur Persönlichkeit passt. Dass viele Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch nach der Pandemie das Arbeiten von zu Hause aus ermöglichen werden, sei vor allem für eher introvertierte Persönlichkeiten ein guter Ansatz. (ost, 26.7.2021)