Der bei den Salzburger Festspielen gefeierte Jedermann präsentiert im Hotel Astoria seine Fotos und Videos.
Foto: Hanns Wichmann

Noch liegt das Hotel Astoria in Bad Gastein im Dornröschenschlaf, aber die Prinzen haben schon die Türen aufgekriegt. Investoren haben den vernachlässigten Ski- und Kurort in ihre Arme geschlossen. Am tosenden Wasserfall steht ein Kran: Die jahrzehntelang vernagelten Hotels auf dem Straubingerplatz, wo in den Sixties ein Kochlehrling namens Eckart Witzigmann illustre Gäste bestaunte, werden vom Wiener Architekturbüro BWM neu gestaltet. Ein Zubau in Form eines Turms ist genehmigt.

Wie so oft hat die zeitgenössische Kunst ihr Schäuflein zum Immobilienboom beigetragen. 2011 lud Kuratorin Andrea von Goetz erstmals Artists in Residence zur "sommer.frische.kunst" in das alte Gasteiner Kraftwerk ein. Zu den treibenden Kräften zählten die Hoteliers von Miramonte, Haus Hirt und Regina, deren Gäste zu den Vernissagen an der Kaiser-Wilhelm-Promenade anreisten. Auch im Freien wurden Skulpturen gezeigt. Jetzt wurde erstmals ein feiner Parcours angelegt, der vom Wasserfall durch den Wald zur Villa Solitude führt.

Shabby Chic und Insta

Ein Coup ist der Hamburger Kunstberaterin Goetz mit Lars Eidinger gelungen. Der bei den Salzburger Festspielen gefeierte Jedermann präsentiert im Hotel Astoria seine Fotos und Videos. Die Kunst des Berliners passt perfekt zu Bad Gastein im Umbruch: Sie richtet ihr Augenmerk auf das Vernachlässigte und Brüchige, das unter einem gewissen Blickwinkel zum Shabby Chic wird. Ärmliches erscheint plötzlich hip, Provinziell-Spießiges urban.

Seit 2017 postet der auch als DJ umtriebige Star fast täglich seine Fotos auf Instagram; es folgten Einladungen in Galerien und Kunstvereine. Er sei schon immer Künstler gewesen, sagte Eidinger bei der Vernissage. Das erste Bild seines Fotobuchs Autistic Disco zeigt einen Hamster, den bereits der kleine Lars porträtierte. Auf die gleichnamige Schau 2019 im Neuen Aachener Kunstverein reagierte die Kritik gar nicht gnädig. Ausgedruckte Handyfotos, pfui!, hieß es in etwa, Eidingers Stil wurde als als "Ugly Insta" schubladisiert. Aber ehrlich, sieht auf Instagram nicht alles gut aus?

Kuratorin Andrea von Goetz und Lars Eidinger in Bad Gastein.
Foto: Ariel Reichman

Alltag und Hipsterkram

In den Gängen und Zimmern des Astoria kommen die Fotoserien jedenfalls bestens zur Geltung. Zum Beispiel jene Fotoreihe von Hotelbetten, in denen der Bühnenstar auf Reisen übernachtete. Anomalien des Alltags, wie eine skurril gewachsene Hecke, fängt er ebenso liebevoll ein wie Hipsterkram, etwa ein Tattoo unter buschigem Brusthaar.

Eidingers Herz schlägt jedoch eindeutig für eine stille Form der Street-Photography. Dieses Genre schaut den Leuten im Zeitalter digitaler Reproduzierbarkeit kaum mehr ins Gesicht, heute will jeder sein Antlitz schützen. Eidinger fängt die Rücken seiner Figuren ein, auch Kapuzen oder Schirmkappen halten Blicke fern. So wirken sie isoliert, in sich gekehrt, aber auch interessant.

Heikel wird es, wenn vollgepackte Einkaufswägen von Obdachlosen zu Stillleben werden. Auch der Straßenkünstler, von dessen verwirrt-verwahrloster Performance in einem Video einige Minuten zu sehen sind, schlägt in die sozialkritische Kerbe. "Ich erkenne mich da wieder", sagt der Jedermann von 2021 zu seinen Underdog-Sujets. Als Hotelkunst werden solche Armutsbilder wohl auch in der coolsten Herberge nicht hängen. (Nicole Scheyerer, 27.7.2021)