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Ein Mann sitzt in Mandalay auf einem Haufen leerer Sauerstoffflaschen. Das lebenswichtige Gut ist in dem Konfliktland zu einer Rarität geworden. Viele Covid-Patienten können nicht rechtzeitig versorgt werden.

Foto: Reuters/Stringer

Am 1. Februar erwachten die Bewohner Myanmars mit einer bösen Überraschung. Über Nacht hatte sich das Militär wieder an die Macht geputscht, etliche der gewählten Volksvertreter landeten im Gefängnis. Auf den Straßen hat sich rasch eine landesweite Streikbewegung formiert, das Civil Disobedience Movement, das sich mit friedlichen Mitteln dem Putsch entgegenstellen wollte. Eine Schlüsselrolle darin nahmen von Anfang an Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte sowie Chirurginnen und Chirurgen ein. Sie weigerten sich, für die Staatsspitäler weiterzuarbeiten. Einige bauten Klinken im Untergrund auf oder behandelten Verletzte und Patienten einfach so, in buddhistischen Tempeln zum Beispiel.

Während die Corona-Zahlen lange überschaubar blieben, wurde der Konflikt im ganzen Land immer blutiger. Doch ab Juni änderte sich das. Zusätzlich zum Bürgerkrieg schwappte eine Covid-Welle auf Myanmar über, ausgelöst durch die ursprünglich in Indien grassierende Delta-Variante. Genauso wie in Malaysia, Thailand, Vietnam und Indonesien gehen die Zahlen in Myanmar bereits seit Juni steil nach oben.

Waren es am 1. Juni noch 65 Neuinfektionen, zählte man am 24. Juli bei ourworldindata.org 5.755. Beobachter sind sich einig, dass die offiziellen Zahlen nur die Spitze des Eisbergs sind. Besonders besorgniserregend ist die hohe Sterblichkeit. In wenigen Tagen wurden allein in Rangun über tausend Menschen zu Grabe getragen.

240 Angriffe auf medizinische Einrichtungen

Fatalerweise rücken die Konfliktparteien des Landes auch in der Gesundheitskrise nicht näher zusammen – im Gegenteil. Die Militärjunta machte die Pandemie zu einer Waffe in ihrem bitterlichen Machtkampf. So hat die WHO seit dem Putsch über 240 Attacken auf medizinische Infrastruktureinrichtungen aufgezeichnet. Ein Dutzend Ärzte sollen bei Angriffen im Land getötet worden sein. Gegen 400 Ärzte laufen laut der US-NGO "Physicians for Human Rights" Haftbefehle, rund 150 davon sollen bis Mitte Mai festgenommen worden sein. Die Junta hat diese Informationen nur teilweise dementiert. UN-Sonderberichterstatter Tom Andrews kommentierte die Situation am Sonntag via Twitter: "Man kann nicht eine Pandemie UND das Gesundheitspersonal gleichzeitig bekämpfen."

Die staatliche Infrastruktur im Land ist massiv ausgedünnt. In einem Spital in Rangun etwa kommen laut Tagesschau von 400 Mitarbeitern nur noch 40 zum Dienst. Der Rest agiert aus den Untergrundkliniken heraus, die nun vom Militär attackiert werden.

150 Ärzte in Haft

Dass sich trotz Corona viele Medizinerinnen und Mediziner sowie Pflegepersonal weiterhin weigern, für Einrichtungen der Junta zu arbeiten, hat oft mit Angst zu tun. Nach mehreren Monaten im Untergrund droht ihnen die Verhaftung. Ähnlich geht es potenziellen Covid-Patienten: Sie zeigen vielleicht Symptome, wollen sich aber nicht testen lassen.

Viele Menschen stehen laut Ärzte ohne Grenzen vor der schwierigen Wahl: in eine private Einrichtung gehen, die sie sich nicht leisten können, oder in ein vom Militär kontrolliertes Spital, das ihre Sicherheit gefährdet.

In anderen Regionen des Landes gibt es schlicht keine Versorgung mehr. Menschen machen mit Fahnen im Fenster auf ihre Notsituation aufmerksam: Gelb bedeutet, man brauche Covid-Hilfe. Die weiße Flagge heißt, dass man Essen brauche, berichtet Myanmar Now.

Ein weiteres Problem ist die Sauerstoffknappheit im Land. Anfang Juli hat die Militärregierung daher den Verkauf von Sauerstoffflaschen eingeschränkt. Die verfügbaren Flaschen sollen zentral verteilt werden. Unter anderen Umständen könnte das ein vernünftiger Schritt sein, um horrende Schwarzmarktpreise zu vermeiden. In der Bürgerkriegssituation in Myanmar bedeutet das aber, dass die Junta darüber entscheidet, wer medizinische Hilfe bekommt und wer nicht.

Suu-Kyi-Berater in Gefängnis an Covid verstorben

Besonders dramatisch ist die Lage in den Gefängnissen. In vielen der überfüllten Anstalten wüten Infektionscluster. Vor einer Woche ist ein 78-jähriger inhaftierter Berater von Aung San Suu Kyi an den Folgen von Covid verstorben. Im Insein-Gefängnis kam es am Freitag zu einem Aufstand von Häftlingen. Sogar die Junta hat erkannt, dass sie handeln muss, und hat die Freilassung von Kleinkriminellen ankündigt.

Der Zusammenbruch des Gesundheitswesens wirkt sich auch auf die Impfkampagne im Land aus: Nur etwas mehr als drei Prozent der Bevölkerung haben bisher zumindest eine Dosis eines Vakzins erhalten. Einerseits fehlt es an Impfstoff. Andererseits herrscht auch hier viel Angst vor. Die ehemalige Leiterin des Impfprogramms des Landes wurde Mitte Juni verhaftet. Viele Menschen trauen sich nicht zu den Impfeinrichtungen. Andere lassen sich aus Prinzip nicht impfen: "Keine Kooperation mit dem Militär" lautet ihre Devise. (Anna Sawerthal, 27.7.2021)