Maria Hengstberger mit ihrem Teaching-Tool zur Familienplanung. Der Handschuh erklärt niederschwellig, warum die so wichtig ist.

Foto: Rita Newman; Aktion Regen

In der Entwicklungszusammenarbeit geht es oft darum, Güter zu verteilen. Doch es bringt nur bedingt Hilfe, wenn die Empfänger mehr oder weniger großzügige Gaben erhalten ohne das Wissen, wie sie sich selbst helfen können. Denn damit sind sie weiter auf Hilfe von außen angewiesen. Eine, die das schon früh verstanden hat, ist Maria Hengstberger.

Die niederösterreichische Gynäkologin reiste 1989 erstmals nach Äthiopien, damals für die Organisation Menschen für Menschen von Karlheinz Böhm. Vor Ort erkannte sie rasch eines der größten Probleme der dort lebenden Frauen: die fehlende Aufklärung und gezielte Familienplanung. Also hat sie eine Kette entwickelt, mit deren Hilfe die Frauen ihre fruchtbaren Tage ganz einfach feststellen konnten. Aus dieser Kette entwickelte sich eine ganze NGO, die "Aktion Regen", gegründet 1989. Am 2. August wird diese Pionierin der NGO-Arbeit 80 Jahre alt. Und sie hat noch viele Pläne für die Zukunft.

Schlüsselerlebnis in Äthiopien

Der Wunsch, im globalen Süden zu arbeiten und die Frauen dort zu unterstützen, begleitete Hengstberger seit ihrer Jugend, doch es sollte eine ziemliche Weile dauern, bis er sich erfüllte. Nach der Matura studierte Hengstberger Medizin – was nicht selbstverständlich war, ihre Familie hatte nicht viel Geld – und machte die Facharztausbildung zur Gynäkologin. Sie ordinierte im Wiener Hanuschkrankenhaus und in eigener Praxis und erarbeitete sich bereits da einen Ruf als sozial engagierte Ärztin, der die Bedürfnisse von Frauen ein besonderes Anliegen waren.

Da sie etwa die Erkennung von Brusttumoren als unzulänglich empfand, hatte sie die Idee, blinde Frauen dazu auszubilden, potenzielle Tumore zu ertasten. Das heutige Programm "Discovering Hands" geht darauf zurück. Aufgrund ihres großen Engagements wurde sie 1988 von Karlheinz Böhms Organisation nach Äthiopien eingeladen, um Health-Worker in Gynäkologie und Geburtshilfe auszubilden und Patientinnen zu betreuen.

Und dort stellte Hengstberger, die als Vorbereitung auch Grundkenntnisse in Amharisch, der Landessprache Äthiopiens, erworben hatte, um mit den Frauen direkt kommunizieren zu können, rasch fest, was am dringendsten benötigt wurde: Wissen über Familienplanung. Denn es gab weder Verhütungsmittel noch Wissen darüber, wie der weibliche Zyklus funktioniert. "Und ich habe in Gesprächen festgestellt, wie viel die Frauen dafür geben würden, wenn sie Schwangerschaften besser steuern könnten. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass sich noch niemand um diese Art der Aufklärung bemüht hatte."

Maria Hengstberger 1989 in Äthiopien, wie sie einer Gruppe von Frauen die Babykette zeigt.
Foto: Aktion Regen

Ein Schlüsselerlebnis war für Hengstberger dabei, als eine junge Frau um die 20 Jahre mit schweren Blutungen zu ihr gebracht wurde: "Die Frau hatte eine Abtreibung machen lassen, die schiefgegangen war. So etwas kam sehr oft vor. Ich habe dann eine Kürettage gemacht, aber ohne große Hoffnung, sie hatte schon zu viel Blut verloren."

Doch die junge Frau überlebte, und diese Erfahrung bestärkte Hengstberger ungemein: "Ich wollte unbedingt eine Möglichkeit finden, den Frauen das Wissen rund um Familienplanung direkt zu vermitteln. Mir war aufgefallen, dass alle Frauen Ketten aus bunten Perlen trugen. Da entstand die Idee, die fruchtbaren Tage mit bunten Perlen zu symbolisieren." Und diese Entwicklung brachte sehr schnell durchschlagenden Erfolg.

Wissensweitergabe mit simplen Tools

Zurück in Wien, gründete Hengstberger den "Verein für Entwicklungszusammenarbeit: Aktion Regen", mit dem Ziel, Wissen über sexuelle und reproduktive Gesundheit einfach und verständlich zu verbreiten. Zuerst verstand den Namen in Österreich niemand, Freunde rieten ihr sogar davon ab. Der Zugang zu Entwicklungszusammenarbeit war noch stark von einem kolonialen Charakter geprägt. Doch Hengstberger war überzeugt: "Ebenso wie der Regen zu den Wurzeln der Pflanzen kommen muss, damit sie wachsen und gedeihen können, so muss Wissen direkt zu den Menschen kommen. Denn das befruchtet den Geist und lässt Gutes wachsen."

Maria Hengstberger 1989 in Äthiopien beim Schreiben ihres Tagebuchs "Wasser an die Wurzeln". Die dort geschilderten Erlebnisse inspirierten sie dazu, ihre NGO "Aktion Regen" zu gründen.
Foto: Aktion Regen

Dafür begann sie, sogenannte Rain-Worker auszubilden, Menschen in Afrika, die das nötige Wissen einfach und niederschwellig weitergeben. Über 800 hat ihr Verein bis heute ausgebildet. Rain-Worker wenden sich an Schulen, Jugendgruppen, Gemeindetreffen, Gesundheitseinrichtungen, sie arbeiten mit religiösen Einrichtungen, Frauen- und Männergruppen, Straßenkindern, Teenagemüttern, HIV-Gruppen und Uncut Girls Groups zusammen, um das Wissen über Zyklus, Aufklärung und gezielte Familienplanung weiterzugeben, in Englisch, Französisch, Arabisch und in regionalen Sprachen wie Bambara oder Amharisch.

Die Rain-Worker nutzen dafür Teaching-Tools, simple Werkzeuge, die die Verbreitung des nötigen Wissens niederschwellig und ganz leicht verständlich machen. Neben der Zykluskette gibt es einen Handschuh, der zeigt, warum Familienplanung so wichtig ist. Das Little-Mom-Tool, ein Gebärmuttermodell aus Stoff, nimmt Angst vor dem weiblichen Körper und hilft aufzuklären. Und ein Klitorismodell soll helfen, die weibliche Beschneidung einzudämmen.

Lernen aus Rückschlägen

Mit dem ersten Tool, das Hengstberger entwickelte, der Babykette, erlebte sie aber auch einen riesigen Rückschlag. Sie stellte die Kette auf einer Konferenz in Brasilien vor und gab ihr Einverständnis, dass sie von der Georgetown University in Washington, D.C., wissenschaftlich auf ihre Funktionalität geprüft wird. Bald darauf erfuhr sie, dass die Kette in leicht abgewandelter Form als Cycle Beads patentiert worden war.

"Das war wirklich ein enormer Rückschlag. Ich war ja froh, dass diese Idee und die Kette mit großer finanzieller Unterstützung verbreitet wurden. Aber ich wurde gebeten, meine eigene Kette aus dem Verkehr zu ziehen, weil mit der patentierten Version gearbeitet wurde." Doch Hengstberger ließ sich dadurch nicht entmutigen: "Wir haben die Kette dann leicht angepasst, um den Patentschutz zu umgehen, und für die fruchtbaren Tage statt der tropfenförmigen Perlen kleine Figuren verwendet, wie Männchen bei einem "Mensch ärgere dich nicht"-Spiel, die ein Baby symbolisieren." Was dazu geführt hat, dass die Frauen das Konzept dahinter noch besser verstanden und der Erfolg sogar gesteigert werden konnte.

Das ist für Hengstberger das beste Beispiel, wie man aus Rückschlägen gestärkt hervorgehen kann: "Ich habe fast immer das Glück gehabt, bei einem vermeintlichen Scheitern nach vorn zu fallen. Ich habe mich nämlich nicht am Scheitern orientiert, sondern mir immer einen Ausweg überlegt, auch wenn der überhaupt nicht sichtbar war, und habe dann einen Weg gefunden, um das Ergebnis noch zu verbessern. Das zeigt die Kette wunderbar."

Positives Denken als Credo

Hengstbergers großes Credo: Womit du dich wirklich beschäftigst, das schaffst du auch. Da kommt dir das Ziel richtiggehend entgegen. "Man muss natürlich ein Ziel haben. Aber ist das da, dann spüre ich einen richtigen Sog. Wenn ich zum Beispiel bei einem Problem nicht weiterweiß und mich intensiv damit beschäftige. Dann ruft auf einmal jemand an und bietet mir eine Lösung oder eine Idee, die eine Lösung bringt. Das habe ich immer wieder erlebt. Da fallen dann Dinge zusammen, und es öffnen sich neue Tore, das ist wirklich eine positive Macht."

Diese Überzeugung verhalf ihr auch zur Lösung der Frage, wo die finanziellen Mittel, um ihre NGO aufzubauen, herkommen sollten: "Mir war klar, ich brauchte Geld. Also bin ich zur Landwirtschaftskammer Niederösterreich gegangen und habe angeboten, Vorträge zur Frauengesundheit zu halten. Die Vorträge waren gratis, aber am Ende habe ich um Spenden für meine Organisation gebeten. Aus dieser Zeit gibt es bis heute rund 1.000 Dauerspenderinnen."

Und das ist auch ihre Motivation, ihre Tools und Teaching-Methoden, die die Rain-Worker verbreiten, so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen – und zwar gratis: "Unsere Strategie ist, Mitarbeiter etablierter NGOs zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren auszubilden, und zwar jene von lokalen NGOs genauso wie jene von internationalen Netzwerken, wie zum Beispiel von SOS-Kinderdorf in Kenia oder vom Roten Kreuz in Äthiopien. Unsere Themen ergänzen sich ja, und nur wenn man zusammenarbeitet, kann man wirklich Großes erreichen."

Erst vor einer Woche wurde etwa eine neue Rain-Worker-Ausbildnerin angelobt, Elizabeth Musya, eine Psychologin, Sozialpädagogin und Lehrerin, die seit 2001 für SOS-Kinderdorf in Kenia und mittlerweile auch in Tansania arbeitet. Sie kann nun selbst und eigenständig Rain-Worker ausbilden und so für den Schneeballeffekt sorgen, den Hengstberger von Anfang an angestrebt hat.

Noch lange kein Ruhestand

Jetzt, mit 80, fühlt sich Hengstberger nicht mehr ganz so fit, in Afrika vor Ort tätig werden schafft sie nicht mehr. Doch das bremst sie nicht in ihrem Ideenfluss: "Wahrscheinlich hält mich das aufrecht. Ich möchte noch so viele Ideen umsetzen und Vorträge halten." Ihre nächste Idee: "Ich möchte eine Art Mutter-Gesundheits-und-Liebe-Tool entwickeln. Denn die Mutterliebe und -zuwendung ist für die Entwicklung enorm wichtig, vor allem in der frühkindlichen Phase. Ich habe in Afrika so oft gesehen, wie ein Baby von den älteren Geschwistern herumgetragen wird wie eine Katze, weil die Eltern es allein nicht schaffen können, sich um die vielen Kinder zu kümmern. Das gibt aber nicht die Wärme und Geborgenheit, die das Kind braucht, um stressarm und sicher groß zu werden und sich entwickeln zu können. Da möchte ich mit Bildern arbeiten: was braucht ein Kind."

Und auch die Motivation, weitere Rain-Worker auszubilden, hält sie aktiv: "Ich möchte mit dem Konzept der Rain-Worker an Politiker und große Unternehmen andocken. Wenn große Unternehmen in Afrika investieren, könnten sie ein oder zwei Rain-Worker aufnehmen, die die Belegschaft zu ihrer Gesundheit beraten, ähnlich wie Betriebsärzte bei uns. Ein Rain-Worker kostet nicht viel, 30 oder 40 Euro im Monat. Und das wäre eine wirkliche Win-win-Situation für alle Beteiligten." (Pia Kruckenhauser, 1.8.2021)