Die auf Nightjet lackierten ÖBB-Schlafwagen dürfen ab 2023 nicht mehr nach Italien einreisen. Es braucht neue Züge.

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Wien – Bis zu 700 Nachtreisezugwagen, bis zu 200 Lokomotiven für den Güterverkehr, an die 200 Doppelstock-Regionalzüge und nun bis zu 540 Elektrotriebzüge für den Nah- und Regionalverkehr: Es sind Milliarden, die ÖBB-Personenverkehr AG und Rail Cargo Austria in den nächsten Jahren in die Anschaffung von Rollmaterial stecken.

Wiewohl der Großteil der Personenzug-Anschaffungen letztlich von der öffentlichen Hand finanziert wird, bleiben die tatsächlich getätigten Ausgaben geheim. Die ÖBB macht aus vergaberechtlichen Gründen seit Jahren keine Angaben bezüglich Auftragsvolumina.

Preise nicht nachvollziehbar

Orientierung bietet der Rahmenvertrag mit Bombardier von 2016 über 300 Elektrotriebzüge, der seinerzeit auf ein Volumen von 1,6 bis 1,8 Milliarden Euro taxiert wurde. Zum Vergleich: Der nun ausgeschriebene Großauftrag über 540 Elektrotriebzüge beläuft sich laut Branchenschätzungen auf das Doppelte, wobei der Preis des einzelnen Zuges kaum zu ermitteln ist. Der Großauftrag in bisher nie dagewesener Größenordnung besteht aus bis zu 270 Elektrotriebzügen mit 75 Metern Länge und weiteren 270 Stück mit einer Länge von hundert Metern.

Der Auftrag für die 200 Vectron-Lokomotiven, von denen Siemens inzwischen etwas weniger als die Hälfte ausgeliefert hat, war im Vorfeld der Ankündigung vor mehr als fünf Jahren mit rund 570 Millionen Euro angegeben worden. Hinzu kommt der Ankauf von 200 E-Hybrid-Verschublokomotiven, die soeben ausgeschrieben wurden.

Jahre bis zur Auslieferung

Allein die Zeitspanne von der Ankündigung bis zur Ausschreibung und bis zur Vergabe ist bisweilen exzessiv, es können Jahre vergehen – bis es dann pressiert wie jetzt bei den bis zu 200 Doppelstock-Regionalzügen, deren erste Tranche auf rund 400 Millionen Euro taxiert wurde. Die ÖBB will selbige bei der schweizerischen Stadler Rail ordern, die Vergabe wurde zur Überraschung der gesamten Eisenbahnbranche allerdings von Alstom/Bombardier beeinsprucht – DER STANDARD berichtete exklusiv.

Bis zur Auslieferung vergehen dann zwei bis drei Jahre, die Fahrgäste im Großraum Wien müssen sich also noch gedulden, bis die vor mehr als zwanzig Jahren auf Schiene gebrachten Wieselzüge peu à peu ersetzt werden.

Nachtzüge mit Verspätung

Auch bei den Nachtzügen, die ÖBB und ihre Eigentümervertreter in höchsten Tönen loben, läuft es schleppend. Der Ankauf von bis zu 700 Wagen wurde mehrfach angekündigt. Abgerufen wurden in der ersten Tranche 2018 allerdings bis dato nur 13 Nachtzüge und acht Tagzüge. Letztere sollen bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2022 ausgeliefert werden. Noch fehlten Details im Design, sagen mit der Materie vertraute Auskenner. Der Kauf der dazugehörigen Lokomotiven sei derzeit nicht geplant.

Welcher Hersteller die nächste Generation an Schnellbahngarnituren liefern wird? Ein Bietergefecht zwischen Siemens und Stadler Rail scheint programmiert.
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Die Zeit drängt, denn dieses Rollmaterial wird dringend im Italien-Verkehr (München–Innsbruck–Verona) gebraucht. Am 31. Dezember 2022 endet die Ausnahmegenehmigung für die ÖBB, ab dann dürfen nach Italien weder die klassischen Eurocity-Wagons einreisen noch die älteren Railjet-Schnellzüge. Sie brauchen besondere Brandschutzeinrichtungen, denn die italienischen Behörden hatten die Auflagen nach der Brandkatastrophe von Viareggio dramatisch verschärft, Feuerlöscher an Bord reichen seither nicht mehr, es braucht automatische Türsteuerungselemente und anderes.

20 Nachtzüge

20 weitere Nachtzüge ("ÖBB Nightjet") sollen folgen, hieß es im Zuge der Corona-Hilfe für die AUA im Frühjahr 2020. Damals wurden vom Verkehrsministerium 500 Millionen Euro für Schlafwagenbeschaffung in Aussicht gestellt. Tatsächlich beschlossen wurde die Bestellung bei Siemens von der ÖBB-Führung bis dato noch nicht. Der Abruf werde noch im Juli, spätestens aber im August erfolgen, heißt es auf Nachfrage.

Fließen wird das staatliche Geld dann im Rahmen der Verkehrsdienstverträge (VDV), also der staatlichen Bestellung von Zugverbindungen. Laut den VDV 2019 bekommt die ÖBB pro Nachtzugkilometer 10,48 Euro.

Öffentliche Hand zahlt

Über Bestellungen der öffentlichen Hand wird übrigens auch der Großteil der anderen Personenzüge finanziert, das Wagenmaterial wird mit dem Kilometergeld mitfinanziert. Das erklärt einen Teil der Bilanzgewinne, die die ÖBB Personenverkehr AG laut den im österreichischen Firmenbuch hinterlegten Jahresabschlüsse (UGB) ausweist. Seit dem Verkehrsdienstvertrag 2009 haben sich so an die 300 Millionen Euro angesammelt. Diese dienten der Finanzierung des Rollmaterials, wie ÖBB-Finanzleute betonen.

Obsolet dürfte mit dem neuen im EU-Amtsblatt veröffentlichten Großauftrag von 540 Elektrotriebzügen eine heikle Ausschreibung aus Dezember 2020 sein. Damals wollte die ÖBB sicherstellen, Ersatz für die Talent-3-Züge von Bombardier zu bekommen, weil diese Elektrotriebzüge seit Mitte 2019 auf der Schnellbahn in Vorarlberg und Tirol fahren sollten, aber noch immer keine Zulassung haben. Die Ausschreibung war also eine Notlösung. (Luise Ungerboeck, 27.7.2021)