Die 43-Jährige dirigierte den "Fliegenden Holländer".

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Dass sie nun die erste Frau ist, die bei den Bayreuther Festspielen dirigiert, wird für die ukrainische Musikerin Oksana Lyniv zwar eine Besonderheit sein, als Überraschung wird sie es aber nicht empfinden. Die 43-Jährige ist längst eine erfahrene Operndirigentin, die ihren ersten Job in Lwiw (Lemberg) hatte. Sie war Souffleuse und Assistentin des Chefdirigenten und studierte als Zwanzigjährige den Betrieb. Es folgten dann aber fünf Jahre an der Nationaloper von Odessa und ein kleiner Karrierejackpot. Ebendort entdeckte sie der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, und nahm sie an die Bayerische Staatsoper als Assistentin mit, wo er Musikchef war. Wirklich gesehen hat er sie allerdings nicht. Ihn überzeugte schon ein Leistungsnachweis per DVD.

In München sammelte Lyniv jedenfalls Erfahrungen im deutschen Fach, wozu auch der Fliegende Holländer zählt, den sie nun in Bayreuth dirigierte. Hierzulande kennt man sie vor allem als Musikchefin der Grazer Oper und in Wien etwa durch interessante Umsetzungen moderner Werke wie Sofia Gubaidulinas Der Zorn Gottes. Leider hat die in Brody geborene Lyniv ihren Vertrag in Graz 2020 nicht verlängert. Es kamen doch viele Angebote, die sie nicht ablehnen konnte. Schließlich will sie die Früchte harter Arbeit auch international ernten – auch als Frau, die durchaus diskriminierende Erfahrungen gemacht hat, vor allem in ihrer Studienzeit. "Frauen, die sich diesen Beruf ausgesucht hatten, wurden vielleicht eher misstrauisch angeschaut", sagt Lyniv, die als Vorbilder zwar nur Männer nennt: Carlos Kleiber, Wolfgang Sawallisch, Christian Thielemann und natürlich Petrenko.

Bei solch einer Aufzählung muss sie allerdings schmunzeln, schließlich sei die Lage für dirigierende Frauen besser geworden. Es würden vermehrt auch weibliche Vorbilder auftauchen, und durch die MeToo-Bewegung habe sich auch einiges gewandelt. Es gäbe kaum mehr jene anzüglichen Kommentare wie vor 15 Jahren.

Ansonsten aber seien die fachlichen Probleme für Männer und Frauen ident, meint Lyniv. Schließlich würde ein Orchester nach wenigen Musikmomenten merken, ob man was "draufhat", ob eine Vision existiert, wie eine Komposition klingen soll und ob man 100 Musiker und Musikerinnen in die gewünschte Richtung führen kann. Sind diese Fragen einmal positiv beantwortet, fragt dann auch niemand mehr, warum vorne eine Frau steht. Wobei Lyniv diese Frage wohl nie mehr hören wird. (Ljubiša Tošić, 26.7.2021)