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Der Brand auf der Ölplattform Deepwater Horizon 2010 führte zu einem Umdenken im mittelamerikanischen Belize: Dort sind seither Offshore-Förderungen verboten.

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Als ein Tornado knapp hinter Österreichs Grenze zu Tschechien vor knapp einem Monat große Verwüstungen anrichtete, wusste Clara-Johana, dass sie nicht wie bisher weitermachen kann. "Das trifft mich so hart", sagt sie. "Ich will mich ändern und mehr auf meinen ökologischen Fußabdruck achten. Ich werde es wirklich versuchen!" Clara-Johana wohnt im Weinviertel, das vom Tornado nur knapp verschont wurde. Gleichzeitig weiß die 21-Jährige, dass sie allein nichts gegen den Klimawandel tun kann. "Solange die Politik nicht radikal den Kurs ändert, wird sich wohl kaum etwas bewegen."

Dabei schreit der Planet scheinbar gerade nach mehr Klimapolitik. Während die Corona-Pandemie 2020 viele Menschen fast vergessen ließ, dass es auch eine Klimakrise gibt, geizt 2021 nicht mit Naturereignissen, die mit der Erderwärmung in Verbindung stehen. Anfang Juni erstickte das Marmarameer in Meeresschleim, dann zerstörte der Tornado Teile Südtschechiens. Anfang Juli ächzte Kanada unter nie dagewesener Hitze, zuletzt versanken Teile Europas im Hochwasser. Im chinesischen Zhengzhou fiel derweil innerhalb einer Woche so viel Regen wie sonst in acht Monaten.

Welchen Eindruck hinterlassen solche Ereignisse bei Menschen? Historisch betrachtet einen sehr prägenden. Die Geschichte der Menschheit ist voll von Katastrophen, die die Menschen nachhaltig verändert haben.

Zweifel an Gott nach Erdbeben von Lissabon

Keine Naturkatastrophe erschütterte die europäische Gedankenwelt tiefgreifender als das Erdbeben von Lissabon. Am Vormittag des 1. November 1755 begann die Erde so stark zu beben, dass von der heutigen portugiesischen Hauptstadt wenig übrig blieb. Ein Brand fraß, was nach den Erdstößen noch nicht in Trümmern lag, die Stadt war verwüstet. Bis zu 100.000 Menschen starben.

Den Intellektuellen Europas ließ das Beben keine Ruhe. Immanuel Kant schrieb drei Aufsätze zur Frage, was die Katastrophe zu bedeuten habe. Das Erdbeben passte nicht in das Weltbild des 18. Jahrhunderts, in dem Gott die Guten belohnt und Sünder bestraft. Als in Lissabon die Erde zu beben begann, waren unzählige Menschen in den Kirchen – der 1. November ist Allerheiligentag.

Die Kirchen hielten den Erdstößen und den dadurch verursachten turmhohen Wellen nicht stand, zahlreiche Gläubige starben während des Gottesdienstes in den Kirchen. Gleichzeitig blieben die in einem höheren Stadtteil gelegenen Bordelle verschont, die "Sünder" überlebten. Viele verstanden die Welt nicht mehr. Ist Gott wirklich gerecht? Gibt es ihn überhaupt? Warum traf es gerade das streng katholische Portugal, das einen so großen Anteil an der Verbreitung des Christentums in der Welt hatte?

Kant glaubte zwar weiter an Gott, hielt es aber für naiv, das Erdbeben als Strafe Gottes zu sehen. Beben seien bloße Naturereignisse, argumentierte er in seinen Schriften. Der Philosoph versuchte sich auch an einer eigenen naturwissenschaftlichen Erklärung von Erdstößen. Diese wurde später widerlegt. Was blieb: Die Philosophie suchte die Erklärung für das Schlechte in der Welt immer weniger in den unergründlichen Motiven Gottes, sondern in den Gesetzen der Natur.

In Zeiten von Corona werden oft Parallelen mit der Spanischen Grippe gezogen, die bis zu 50 Millionen Menschenleben gekostet hat. Der Mundschutz kommt einem bekannt vor.
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Ungleich mehr Menschenleben kostete die Spanische Grippe, die nach Ende des Ersten Weltkriegs laut Schätzungen bis zu 50 Millionen Menschen dahinraffte. Trotzdem hatte die Pandemie keinen unmittelbaren Effekt. Österreichs Minister für Volksgesundheit glaubte etwa, die Bevölkerung beruhigen zu können, indem er ihr drei Tonnen Aspirin versprach.

Zum welthistorischen Ereignis wurde die Spanische Grippe erst im Rückblick, wie der Historiker Jörn Leonhard in seinem Buch Der überforderte Frieden schreibt. Die Menschen waren mit den Wunden des Krieges und den neuen politischen Fronten beschäftigt. Weder war ihnen klar, dass es sich um eine Pandemie, also eine Naturkatastrophe globalen Ausmaßes, handelte, noch reagierte die Politik angemessen.

Anders im Jahr 2010, als eine von Menschen ausgelöste Katastrophe, der Brand auf der Ölplattform Deepwater Horizon, den Golf von Mexiko mit Öl verseuchte. Die Katastrophe sorgte 1200 Kilometer weiter südlich, im mittelamerikanischen Belize, für einen Kurswechsel. Zuvor hatte die Regierung heimlich Lizenzen zur Exploration der Küstenregion vergeben, wo man große Ölvorkommen vermutet.

Allein, die Region ist ein Naturparadies mit dem Belize Barrier Reef, dem zweitgrößten Riffsystem nach dem australischen Great Barrier Reef. Dank der Bilder der Ölpest nach der Katastrophe brachten Naturschützer die Bevölkerung hinter sich. 2012 sprachen sich in einem nicht bindenden Referendum 96 Prozent gegen Offshore-Ölförderung aus. Kein Wunder, schließlich lebt ein gutes Drittel der 390.000 Einwohner vom Tourismus – mit dem Riff als Besuchermagnet. Allein die Sichtbarkeit von Ölplattformen hatte dem Fremdenverkehr geschadet, eine Katastrophe à la Deepwater Horizon hätte das Naturparadies wohl gänzlich vernichtet. Dennoch, es sollte bis Dezember 2017 dauern, bis das Vorhaben ad acta gelegt wurde. Seither ist Offshore-Ölförderung in Belize verboten.

Zweifel an der Technologie

Ähnliches bewirkte die Reaktorkatastrophe von Fukushima von März 2011, die dazu führte, dass Deutschland beschloss, endgültig aus der Atomenergie auszusteigen. Viele rätselten damals, wieso nicht schon der Reaktorunfall im ukrainischen Tschernobyl, das damals zur Sowjetunion zählte, 25 Jahre früher, diesen Effekt hatte. Immerhin passierte der Super-GAU geografisch viel näher und verstrahlte weite Teile Europas. Als Ursache galt jedoch damals die offenbar fehleranfällige sowjetische Technik. Die Gefährdung wurde erst mit Fukushima realer, da es auch in einer mit vermeintlich überlegener westlicher Technik ausgestatteten Anlage zu einer Kernschmelze gekommen war.

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Die Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011, hervorgerufen durch ein Seebeben und einen dadurch ausgelösten Tsunami, lässt noch immer die Emotionen hochgehen – in Japan und auch in Korea. In Deutschland führte die Katastrophe zum Beschluss des Ausstiegs aus der Kernkraft.
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Ob auch die jüngsten Naturereignisse der Klimapolitik einen Schub geben werden, hängt von vielen Faktoren ab, erklärt Dieter Frey, Professor für Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Damit Menschen umdenken, brauche es Meinungsführer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion, die Dinge nicht nur proklamieren, sondern auch umsetzen. Man müsse überzeugend vermitteln, dass der Status quo Kosten mit sich bringt, aber dass man auch gute Alternativen hat. Ob das beim Klimawandel gelingt, könne man nicht vorhersehen.

Menschen ändern vor allem dann ihr Verhalten, wenn Folgen sie selbst betreffen können. Das trifft etwa auf junge Menschen zu, die nicht zulassen wollen, dass ältere Generationen ihnen einen aufgeheizten Planeten hinterlassen. Damit der Kampf gegen die Erderwärmung gelingt, sollte das Ziel sein, Konsens in der Bevölkerung zu erreichen, sagt Sozialpsychologe Frey: "Durch Einsicht oder Leidensdruck."

Die 16-jährige STANDARD-Leserin Anna-Sophie, die sich gegen den Klimawandel engagiert, hofft, dass die jüngsten Extremwetter ein Umdenken auch bei Klimawandelskeptikern bewirken. "Ich hoffe auf mehr Veränderungswillen und Vertrauen in die Wissenschaft." (Aloysius Widmann, Alexander Hahn, 27.7.2021)