Justizministerin Alma Zadić forderte am Dienstag ein Ende der "ständigen Politisierung der Debatte, aber auch der Staatsanwaltschaft".

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Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei seinem zweiten Auftritt als Auskunftsperson im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Nach seiner ersten Befragung ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen möglicher Falschaussage. Einvernommen wird Kurz nun aber von einem Richter oder einer Richterin, wie das Justizministerium entschied.

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Die Weisung des Justizministeriums, wonach Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht vom Personal der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, sondern durch eine Richterin oder einen Richter befragt werden soll, sorgt seit Bekanntwerden am Montagabend für Aufregung. Justizministerin Alma Zadić versuchte am Dienstagmittag zu kalmieren und forderte ein Ende der "ständigen Politisierung der Debatte, aber auch der Staatsanwaltschaft".

Die Entscheidung sei eine reine Rechtsfrage und "weder ein Triumph für die ÖVP oder den Bundeskanzler, noch ist es in irgendeiner Form eine Kritik an der Arbeit der WKStA. Und ich muss eines sagen: Auch die Kritik der Opposition ist in dieser Form nicht angebracht, es ist eine Rechtsfrage, die anhand des Gesetzes durch die zustände Sektion beurteilt wurde", sagte Zadić im "Mittagsjournal" auf Ö1 am Dienstag. Die Frage sei von drei Stellen beurteilt worden: der zuständigen Sektion, der Oberstaatsanwaltschaft und dem unabhängigen Weisungsrat.

Das Justizministerium hatte mit der Weisung die Debatte darüber beendet, wer den Kanzler befragen soll. Kurz' Anwälte und die Korruptionsstaatsanwaltschaft waren sich in dieser Frage nicht einig – die WKStA argumentierte zuletzt, dass der nun angewendete Paragraf vor ihrer Sonderzuständigkeit geschaffen worden und darum in der Praxis hinfällig sei.

Was der Paragraf besagt

Laut Strafprozessordnung hat die Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Beweisaufnahme zu beantragen, wenn aufgrund der "Bedeutung der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht".

Der Gesetzgeber dürfte bei der Einführung des Paragrafen im Jahr 2008 vor allem an Ermittlungen gegen Polizisten und Staatsanwälte, aber auch Politiker gedacht haben. Bei der Frage der Bedeutung einer Person spielt die ausgeübte Funktion eine wichtige Rolle. "Insbesondere wenn die Straftat mit der Funktion im Zusammenhang steht", schreibt Margarethe Flora, Strafrechtsprofessorin an der Universität Innsbruck. Der Gesetzgeber habe damit vor allem jene Fälle dem Gericht übergeben wollen, in denen aufgrund der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft der Verdacht der politischen Einflussnahme entstehen könnte. In der Praxis hatte die Bestimmung bisher kaum Bedeutung. Trotz einer gerichtlichen Einvernahme des Kanzlers bleibt das weitere Verfahren in den Händen der Staatsanwaltschaft.

Der Verfassungsjurist Heinz Mayer erklärte am Dienstag, dass die Literatur zum betreffenden Paragrafen diesen zwar sinngemäß zum toten Recht zähle, die Bestimmung aber "dem Wortlaut nach sehr klar sei". Die Entscheidung sei also rechtlich sicher einwandfrei. "Ich bin mir nicht sicher, wie ich als Justizminister entschieden hätte – wahrscheinlich auch so" wie Zadić – "allein, um den Opfermythos nicht zu nähren".

SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim ist hingegen der Meinung, dass "das gelebte Recht gebogen und somit der Eindruck einer Zwei-Klassen-Justiz erweckt" werde, weil der Kanzler sich nicht durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einvernehmen lassen wolle. Die angewendete Bestimmung der Strafprozessordnung sei bisher nur auf Justizbeamte angewendet worden.

ÖVP kritisiert WKStA ...

Andreas Hanger, Fraktionsführer der ÖVP im Ibiza-Untersuchungsausschuss, kritisierte hingegen die WKStA, weil diese das Ansuchen von Kurz' Anwalt um eine richterliche Befragung abgelehnt hatte. Einzelne Staatsanwälte hätten bei der WKStA schon bei der BVT-Razzia und vielen anderen Aktionen gezeigt, dass sie von Objektivität weit entfernt seien. "Auch der Abwehrkampf der WKStA gegen die berechtigten Rechtsmittel eines Staatsbürgers macht deutlich, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um Ermittlungen im politischen Bereich geht. Wir werden solche Ungereimtheiten auch weiterhin konsequent aufzeigen, denn letztlich geht es um die Glaubwürdigkeit der österreichischen Justiz", so Hanger.

Am Dienstagvormittag stimmte auch der Generalsekretär der ÖVP, Axel Melchior, in die WKStA-Kritik ein: "Auch die WKStA steht nicht über dem Gesetz, wie die notwendig gewordene Weisung verdeutlicht. Obwohl die Sachlage rechtlich vollkommen eindeutig ist, haben sich einzelne Staatsanwälte in ihrem Bestreben, den Bundeskanzler selbst zu befragen, offenbar derart verrannt, dass diese das geltende Recht nicht anerkennen wollten." Diese Niederlage hätte sich die WKStA laut Melchior leicht ersparen können, "wenn die eindeutige Rechtslage respektiert worden wäre, die nun zur Weisung des Justizministeriums geführt hat."

... und Opposition

Dafür, dass die Opposition die am Montag beschlossene Vorgehensweise scharf kritisiert, hat Hanger kein Verständnis: "Dass SPÖ und FPÖ aus ihrer Geschichte heraus mit Politjustiz liebäugeln, ist auch kein Geheimnis – die Neos opfern den letzten Lacksplitter angeblicher Liberalität nun gerade auf dem Altar der Hetze gegen die Eckpfeiler unserer Republik", greift er die drei Parteien wortreich an.

Wenige Stunden zuvor hatte FPÖ-Obmann Herbert Kickl die Weisung als "extremen Vertrauensbruch" bezeichnet. Johannes Margreiter, Justizsprecher der Neos, sieht die Weisung als "klar rechtswidrig und einen bedenklichen politischen Kniefall der Justizministerin vor dem türkisen Propaganda-Trommelfeuer". Am Erfordernis der "Bedeutung der aufzuklärenden Straftat" mangle es seiner Ansicht nach "eindeutig, weil die falsche Beweisaussage per se ein Allerweltsdelikt ist".

Gänzlich anders als sein Parteikollege sieht das der stellvertretenden Neos-Klubobmann Niki Scherak: "Im Ergebnis ist diese Entscheidung des Justizministeriums natürlich zu akzeptieren.", heißt es von ihm, und: "Ich halte nichts davon, jede einzelne Entscheidung der Justiz in der Öffentlichkeit in dem Ausmaß zu debattieren". Die Justiz müsse unabhängig arbeiten können und "wenn das die Entscheidung ist, dann soll das so sein."

Wieso Kurz Beschuldigter ist

Auch das will Ratz nicht gelten lassen: Die Weisung habe nichts mit der Arbeitsweise der WKStA zu tun. Es handle sich schlichtweg um eine Rechtsfrage, ob die drei Voraussetzungen vorliegen, die im Gesetz definiert sind.

Wieso wird Kurz überhaupt als Beschuldigter geführt? Die WKStA ermittelt nach einer Anzeige gegen den Kanzler wegen des Verdachts, den Ibiza-Untersuchungsausschuss in mehreren Punkten falsch informiert zu haben. Im Kern geht es dabei um die Frage, wie intensiv Kurz unter Türkis-Blau in die Reform der Staatsholding Öbag involviert war – in die Bestellung Thomas Schmids als Chef, aber auch in die Auswahl der Aufsichtsräte beispielsweise. Bei seiner Befragung im Ausschuss hatte der Kanzler seine Rolle diesbezüglich heruntergespielt und sinngemäß von normalen Vorgängen gesprochen. Später aufgetauchte Chatprotokolle legen allerdings eine enge Abstimmung zwischen Schmid und Kurz nahe. (red, 27.7.2021)