"Ich bemühe mich, der ÖVP nicht zu unterstellen, dass sie uns frotzeln will", sagt Verfassungsjurist Heinz Mayer.

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Wien – Die ÖVP hat ihre Liebe zum freien Mandat entdeckt. Anlass ist das Antikorruptions-Volksbegehren: Im Detail nach der Zustimmung zu dessen Forderungen gefragt, will die Volkspartei nur mit Vorbehalt zustimmen – es sei dann allen Abgeordneten selbst überlassen, wie sie abstimmen.

Die Organisatorinnen und Organisatoren des Begehrens haben an alle Parlamentsparteien Fragebögen verschickt, um festzustellen, welche der Forderungen des Volksbegehrens Unterstützung im Nationalrat fänden. Die Antwort der Volkspartei, zusammengefasst in den Worten des Verfassungsjuristen und Mitinitiatoren des Volksbegehrens, Heinz Mayer: "Schauen wir mal": Fast allen Forderungen hat die Volkspartei nur mit Vorbehalt zugestimmt.

Die Begründung, erklärt in einem Begleitschreiben: Die türkisen Abgeordneten hätten "ein freies Mandat, wodurch es ihnen freisteht, sich selbst zu äußern". Darüber hinaus sei es "demokratiepolitisch bedenklich", dass im Fragebogen keine Möglichkeit zur differenzierten Stellungnahme möglich war. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) als einer der Ersten die Unterstützung des Volksbegehrens verkündet hat.

ÖVP mit geringstem Zustimmungswert

"Ich bemühe mich, der ÖVP nicht zu unterstellen, dass sie uns frotzeln will mit dieser Aussage", sagt Mayer. Es falle ihm aber schwer. Sämtliche Klubs im Parlament stimmen in den allermeisten Fällen geschlossen ab, auch die ÖVP. Der informelle Klubzwang schlägt das rechtlich festgeschriebene freie Mandat. Erst vergangene Woche hat das abweichende Stimmverhalten einer türkisen Bundesrätin für eine mittlere Koalitionskrise gesorgt.

Die vagen Antworten der Türkisen verschaffen ihnen den geringsten Zustimmungswert in der Auswertung des Volksbegehren-Teams. 51,4 Prozent – denn für eine vorbehaltliche Zustimmung gibt es nur einen halben Punkt. Nur der stärkeren Berücksichtigung von Datenschutz und Menschenrechten in U-Ausschüssen sowie dem unabhängigen Bundesstaatsanwalt hat die Volkspartei bedingungslos zugestimmt.

FPÖ gegen strengere Sanktionen bei Parteienfinanzierung

Die größten Zustimmungswerte weisen die oppositionellen Parteien SPÖ (97,2 Prozent) und Neos (94,4 Prozent) auf. Die Grünen (89,6 Prozent) lehnen verstärkte Anreize für Unternehmen ab, die Compliance-Management-Systeme einrichten, und wollen auch keine "Vorabentscheidungsverfahren" durch den Obersten Gerichtshof. Auch verpflichtende Compliance-Systeme in Redaktionen und die beschränkte Dauer von ORF-Führungspositionen wollen die Grünen als einzige Partei dezidiert nicht.

Auf Platz vier bei der Zustimmung zu den Forderungen des Antikorruptions-Volksbegehrens landet die FPÖ mit 71,5 Prozent. Ein Nein gibt es etwa zur Idee, dass Verstöße gegen die Regelungen zur Parteienfinanzierung sowie die Überschreitung der gebotenen Wahlkampfkosten" durch neue Straftatbestände "effizienter sanktionierbar sein sollen". Ansonsten wählen auch die Freiheitlichen oft die Option "Position offen oder Zustimmung mit Vorbehalt".

Parlamentarische Mehrheiten in der Theorie

Gleichzeitig gibt es laut Mayer "einen sehr großen Bereich, in dem es sofort Lösungen geben könnte" – vorbehaltlich der Aufrichtigkeit der Antworten durch die Parteien und ohne Berücksichtigung von Regierungskoalitionen. Nach den Berechnungen des Volksbegehrens gebe es folglich parlamentarische Mehrheiten für die Strafbarkeit von Beweismittelunterdrückung im U-Ausschuss, Sanktionen für "vorsätzliche Verstöße gegen die Regelungen zur Parteienfinanzierung auch auf 'Geberseite'" sowie "personelle und budgetäre Höchstgrenzen für die politischen Kabinette in Bundesministerien" und die Informations- und Öffentlichkeitsarbeit dort.

Junge haben noch wenig vom Volksbegehren gehört

Die Organisatoren des Antikorruptions-Volksbegehren haben aber nicht nur die Parteien befragt, sondern auch die Gesamtbevölkerung. Eine Umfrage des Österreichischen Gallup-Instituts hat ergeben, dass 44 Prozent schon vom Volksbegehren gehört haben. Das sei zwar "ein sehr guter Wert", sagt Andrea Fronaschütz, Leiterin des Instituts. Gleichzeitig gebe es zwei Mankos: Der Bekanntheitsgrad sinkt mit dem Alter, junge Menschen haben noch wenig vom Begehren mitbekommen. Und: Mehr als die Hälfte aller Personen, die von der Initiative gehört haben, fühlen sich "sehr schlecht" oder "eher schlecht" über die Inhalte informiert.

Grundsätzlich stehen die Befragten dem Volksbegehren positiv gegenüber: 44 Prozent glauben, dass die Initiative zur Besserung der Zustände in Österreich beitragen kann – wer eine Sympathie zu ÖVP oder Neos bekennt, ist hier noch am skeptischsten.

Hohe Zustimmungsrate

Gleich 21 Prozent der Bevölkerung geben an, das Volksbegehren "auf jeden Fall" unterschreiben zu wollen. Das sei aber mit Vorsicht zu genießen, sagt Fronaschütz, denn die Deklaration sei in solchen Fragen anfangs immer hoch. "Das ist, wie wenn ich mir vornehme, mich in Zukunft vernünftiger zu ernähren."

Rund 33.000 Personen haben aber jetzt schon eine Unterstützungserklärung für das Volksbegehren abgegeben. Den Antrag auf Einleitung des Volksbegehrens, auf den dann die offizielle Eintragungswoche folgt, wollen die Initiatorinnen und Initiatoren aber erst im Herbst einbringen. Bis dahin soll noch mehr informiert werden, damit auch junge Menschen etwas vom Volksbegehren mitbekommen. (Sebastian Fellner, 27.7.2021)