Mittlerweile gehören auch Pferdeäpfel zum Setting. Das ist spannend. Denn dass nicht nur jedwedes Elektrospielzeug, sondern auch die Kavallerie auf der ohnehin komplett überforderte Radinfrastruktur Wiens unterwegs ist, ist ein weiterer Twist in dem, was Wien "Verkehrspolitik" nennt, was aber tatsächlich ausschließlich die Erhaltung des Primats des fossilen Verkehrs im Auge hat. Für alle anderen gibt es freundliche Worte über "Mehr Liebe im Verkehr" – plus PR-Fotos und ein paar kosmetische Pseudomaßnahmen.

Wo die Pferde unterwegs sind? Auf der Tangentenbrücke. Also: Am Radweg unter der Praterbrücke – also der Südosttangente. Dabei taugt genau diese Radweg-Donauquerung unter der Tangentenbrücke auch schon ganz ohne Equesterie als Best-, eigentlich ja: Worst-Practice-Beispiel für das konsequente Versagen der Wiener Verkehrspolitik in Sachen Radverkehr: Den schmalen Schlurf frequentieren mittlerweile bis zu 10.000 Radfahrende pro Tag. Menschen, die im Gegensatz zur Wiener Verkehrsstadträtin, das Fahrrad nicht nur als Wochenend-Freizeitvehikel sondern als echtes Alltags-Verkehrsmittel nutzen: Der Tangentenradweg ist eine, wenn nicht DIE Haupt-Donauquerungs-Achse für Rad-Pendlerinnen und -pendler.

Foto: Rottenberg

Blöderweise ist er dafür so gar nicht ausgelegt: Seine Breite macht gerade einmal jeweils einspuriges Zweirichtungsradeln möglich. Schon wenn zwei Lastenräder einander begegnen und nicht alle ganz am Rand picken, wird es eng. Überholen? Zweispurig-zügiges Fahren? Keine Chance. Aber hier sind jede Menge Langsamfahrer – etwa Familien mit Kindern – unterwegs. Besonders Schlaue (und so gut wie jeder Rad-Tourist) bleiben in der Mitte der Brücke stehen und genießen das (ja wirklich tolle) Panorama den Fluss hinauf bis zum Kahlenberg.

Die Todesspirale

Richtig spannend wird es dann in der "Wendel", die auf die Insel hinunter führt: Weniger Geübten wird in der supereng geführten Schnecke, mitunter schwindlig. Richtungskorrekturen, weil der Blick nach innen schweift und das Rad dem Auge folgt, führen dann automatisch zu Schlenkern. Von hinten drängt der nachfolgende Verkehr, irgendwer klingelt vielleicht oder will überholen – und von unten kommen ebenso Ungeübte herauf, die es ebenso zur und über die Mitte zieht. Eventuell ja auch, weil die ein ein paar weniger Sportliche überholen, die bereits abgestiegen sind und die steile Rampe hinauf lieber schieben: Der Spot ist – seit Jahren, also schon bevor der aktuelle Rad-Megaboom einsetzte – eine der unfallträchtigsten Stellen des Wiener Radwegenetzes.

Zum Drüberstreuen steht unten, auf der Insel, dann eine Orientierungstafel so in der Kreuzung, dass sie den Blick auf den Querverkehr komplett verdeckt – und darüber hinaus jeden und jede, der sie studieren will, förmlich dazu zwingt, (meist mit dem Rad) in der Kreuzung zu stehen.

Foto: Rottenberg

Bekannt ist das alles seit Jahren. Getan wird aber – genau – Nichts. Wobei das so nicht stimmt: Vor ein paar Monaten wurden auf der Außen-, also der Abwärtsseite der Schnecke Kringel aufgemalt. Die Absicht ist klar: Wenn das Auge im "richtigen" Fahrbahnsegment weilt, bleibt auch das Fahrzeug hier. Nur: Denen, die derlei brauchen, wird trotzdem schwindlig. Sie heben den Blick und … ehschonwissen. Eine kosmetische Maßnahme – aber man kann sagen "wir tun doch eh was."

Foto: Rottenberg

Fußgänger gibt es auch

Außerdem wären da noch die Fußgänger. Für die gibt es auf der flussabwärts gelegenen Seite der Brücke zwar eine eigene Querung. Nur findet die, vom Prater kommend, niemand der nicht weiß, dass es sie gibt. Und wer sie kennt, der meidet sie.

Aber der Reihe nach: Bei der Hauptallee zweigen unter der Autobahn zwei komfortabel asphaltierte, aber nicht beschilderte Wege Richtung Donau ab. Beide schwenken nach ein paar hundert Metern, dort wo das Brücken-Werk beginnt, in Richtung der Rad-Querungs-Auffahrt.

Foto: Rottenberg

Die mündet ein paar hundert Meter weiter in einem Tunnel. (Der – das nur nebenbei – ist beim Weg in den Prater aufgrund einer superengen Kurve im Blendlicht ebenfalls eine enge Unfallhäufungsstelle.) Hier weist ein Radweg-Schild den Weg über die Donau eindeutig als Bike-Only-Zone aus.

Nur: Mit der Örtlichkeit nicht vertraute Fußgänger kämen nie auf die Idee, schon bei der Verschwenkung zuvor auf einen schlecht befestigten Weg abzubiegen – und dann dort über einen rumpeligen (Viel Spaß mit Kinderwagen oder Rollstuhl!) und per Schranken als "Bleibt weg"-Zone markierten Schrebergartenparkplatz Richtung Donau zu wandern und dann auch noch eine Autobahnauf- und -abfahrt zu überqueren. Die ist zwar ampelgeregelt – aber viele Autofahrer sehen das hier anders.

Ein Weg wie ein Irrtum

Foto: Rottenberg

Danach geht es quer über einen großen, hitzeflirrenden Supermarktparkplatz in einer weiten Extra-Schleife zurück zum Brückenansatz: Hier zu gehen fühlt sich wie ein Irrtum an – dass auch wegkundige Fußgänger die Radroute nehmen, überrascht niemanden. Auch, weil denjenigen, die nicht auf die Insel sondern auf den Treppelweg am Donauufer wollen, eh nichts anderes übrig bleibt, wenn sie nicht supermobil sind. Um neben der Donaulände ans Flussufer zu kommen, gibt es hier Abgänge auf der Rad- und der Gehseite. Nur sind auf der Fußgeherseite nur Treppen. Wieder: Viel Spaß mit Kinderwagen, Rollstuhl, Rollator oder anderen Beeinträchtigungen. Wo findet man also die besonders langsamen Fußgänger? Genau: Am Radweg.

Wobei dessen chronische Überlastung mittlerweile zu einer gewissen Umverteilung führt: Auf der Fußgeherseite kommen einem mittlerweile immer wieder und immer öfter Radfahrer entgegen – oft mit Kindern: "Weil es uns drüben zu eng und gefährlich ist."

Geplant von Autoköpfen

Wer sowas plant? Autostraßenbauer. Die beiden Problemwege unter der Autobahn entstanden, als man die 1967-1970 sechsspurig gebaute Praterbrücke im Zuge des Baus des Kraftwerkes Freudenau 1996 um fast zwei Meter anhob – und aufgrund der notorischen Überlastung der Tangente gleich um jeweils eine Spur verbreiterte. Altes Denken also. Für Autos tut man sowas aber auch heute noch – losgelöst von der Sogwirkung neuer Straßen oder den Kosten. Doch das Lippenbekenntnis von der "Verkehrsdeduktion" gehörte schon in den 1990ern zum politischen Verkehrsplanungs-Standarvokabular. Radinfrastruktur – also klimafreundliche Stadttangenten – stand damals ebensowenig auf der Prio-Liste von Planung und Politik, wie sie es heute tun.

Dass das anders auch ginge, zeigt sich flussabwärts: In Bratislava wurde 2016 die "Stary Most", die "Alte Brücke", neu gebaut. Mit Rad- und Fußwegen. Die sind – obwohl Bratislava deutlich weniger Einwohner hat als Wien – nicht nur sowohl links als auch rechts und deutlich breiter als im Prater, sondern auch mit für alle gefahrlos nutzbaren, übersichtlichen Rampen statt saublöd-saugefährlichen Wendeln ausgestattet.

Pferdeäpfel hat auf der "Stary Most" noch niemand dokumentiert. (Thomas Rottenberg, 29.7.2021)