Bundeskanzler Sebastian Kurz bei seiner letzten Befragung im Ibiza-U-Ausschuss. Der Vorwurf der Falschaussage führt ihn vor Gericht – vorerst zur Einvernahme.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner: Sie alle wurden im Novomatic-Verfahren von der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einvernommen. Bei Kanzler Sebastian Kurz ist das anders: Er beantragte die Einvernahme durch einen Richter. Die WKStA lehnte das ab, wurde aber vom Justizministerium überstimmt. Das ist zwar kein Novum, aber doch außergewöhnlich.

Frage: Auf welcher Grundlage wird der Kanzler nicht von der WKStA einvernommen?

Antwort: Laut Strafprozessordnung hat die Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Beweisaufnahme zu beantragen, wenn aufgrund der "Bedeutung der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht". Das Argument: Es werde gegen einen amtierenden Bundeskanzler ermittelt. Die mutmaßliche Straftat soll zudem vor einem "verfassungsmäßig garantierten parlamentarischen Kontrollgremium" stattgefunden haben. Somit lagen aus Sicht des Ministeriums die Voraussetzungen vor.

Frage: Seit wann gibt es den Paragrafen? Was wollte der Gesetzgeber damit erreichen?

Antwort: Der Gesetzgeber dürfte bei der Einführung des Paragrafen im Jahr 2008 an Ermittlungen gegen Polizisten und Staatsanwälte, aber auch Politiker gedacht haben. Ziel war es, dem Anschein einer Befangenheit der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft vorzubeugen.

Frage: Wer hat nun entschieden?

Antwort: Ende Juni erhielt Kurz die Zeugenladung, ÖVP-Anwalt und Ersatzrichter am Verfassungsgerichtshof Werner Suppan erhob daraufhin Einspruch. Die WKStA lehnte den Antrag zunächst ab. Ihre Fachaufsicht von der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien sah das anders und richtete sich an die zuständige Sektion für Einzelstrafsachen des Justizministeriums. Das erteilte schließlich eine entsprechende Weisung an die WKStA. Die Staatsanwaltschaft muss daher beim Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag auf gerichtliche Beweisaufnahme stellen. Es ist davon auszugehen, dass das Gericht dem zustimmt.

Frage: Inwiefern war die grüne Justizministerin Alma Zadić involviert?

Antwort: Laut eigenen Angaben: gar nicht. Die Weisung stammt formal zwar von der Ministerin, allerdings folgte sie damit den Empfehlungen ihrer Juristen. Die Entscheidung wurde vom Weisungsrat geprüft und genehmigt. "Die Entscheidung ist weder ein Triumph für die ÖVP oder den Bundeskanzler, noch ist es in irgendeiner Form eine Kritik an der Arbeit der WKStA. Und ich muss eines sagen: Auch die Kritik der Opposition ist in dieser Form nicht angebracht, es ist eine Rechtsfrage", sagte Zadić im Ö1-"Mittagsjournal". Über die Vorgänge informiert war die Ministerin allerdings sehr wohl, heißt es.

Frage: Welcher Richter ist zuständig?

Antwort: Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder geht der Akt an denselben Richter, der für das restliche Ibiza-Verfahren zuständig ist, oder ein Zufallsgenerator wählt aus. Die Entscheidung, ob die Verfahren gemeinsam geführt oder getrennt werden, obliegt allerdings der WKStA, die noch keinen offiziellen Antrag gestellt hat.

Frage: Wie läuft die Einvernahme ab?

Antwort: In der nichtöffentlichen Befragung könnte Kurz aussagen, hätte aber auch das Recht zu schweigen. Der Kanzler wird wohl einen Verteidiger beiziehen. Dieser dürfte sich an der Befragung selbst nicht beteiligen, könnte jedoch nach deren Abschluss selbst Fragen an den Beschuldigten richten. Ein Fragerecht der Staatsanwaltschaft ist laut Robert Kert, Strafrechtler an der WU Wien, nicht vorgesehen.

Frage: Was passiert danach?

Antwort: Nach der Befragung muss das Gesprächsprotokoll unverzüglich an die Staatsanwaltschaft übermittelt werden, sagt Katharina Beclin von der Universität Wien. Der Richter kann die Behörde auch auf die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen aufmerksam machen. Das restliche Verfahren liegt wieder in der Hand der WKStA.

Frage: Gab es eine solche richterliche Beweisaufnahme bereits in der Vergangenheit?

Antwort: Bis zur großen Strafrechtsreform 2008 waren Beweisaufnahmen durch Untersuchungsrichter üblich. Seither ist grundsätzlich die Staatsanwaltschaft zuständig. Die erwähnte Ausnahme spielte bislang kaum eine Rolle. Durch Richter einvernommen wurden in der Vergangenheit etwa Justizangehörige, zuletzt Sektionschef Christian Pilnacek.

Frage: Hilft Kurz diese Entscheidung?

Antwort: Wenn, dann eher politisch: Die ÖVP versucht zum Missfallen ihres Koalitionspartners, die Entscheidung für neuerliche Angriffe auf die WKStA zu nutzen. Rechtlich ändert sich nichts; viel wird von dem Richter oder der Richterin abhängen, der oder die die Möglichkeit hat, sich in den Akt einzuarbeiten. Wird Kurz von dem Richter streng befragt, könnte sich seine Lage auch politisch verschlechtern: Dann muss nicht mehr nur die WKStA angegriffen werden. (Jakob Pflügl, Fabian Schmid, 27.7.2021)