Um die ehrwürdige Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) stehe es nicht gut, das Abkommen sei veraltet und für die Realitäten einer von Krisen und massiven Fluchtbewegungen geprägten Welt nicht mehr fit. Diese Ansicht hört man zum siebzigsten Jahrestag der Unterzeichnung des epochalen Menschenrechtsvertrags häufig.

Hinzu kommen kritische Stimmen aus der EU. Das Asylsystem sei gescheitert und müsse überdacht werden, meint etwa Österreichs Innenminister Karl Nehammer. Die meisten in Europa Ankommenden seien gar keine Flüchtlinge, sondern Migranten, hätten hier aber die Chance eines Asylantrags, was Europa übergroße Lasten aufbürde, heißt es auch in Dänemark, Belgien, den Niederlanden, Deutschland sowie dem Vizegrad-Block.

Vielfach wird immer noch die Definition eines Flüchtlings von vor 70 Jahren verwendet.
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In diesen Ländern zittert man vor neuerlichen großen Fluchtbewegungen, etwa aus Afghanistan, das sich in diesen Wochen radikal destabilisiert. Gleichzeitig beschwört man weitere zahlreiche Ankünfte von Schutz- und Perspektivensuchenden – was in den kommenden Monaten und Jahren gar nicht unwahrscheinlich ist. Für rechtsgerichtete Regierungen ist das das zentrale sicherheitspolitische Argument.

Wie ist all das zu deuten? Wo liegt angesichts dessen die Zukunft des Flüchtlingsschutzes? Klar dürfte sein, dass sich die Umstände, aus denen heraus Menschen fliehen und die als Begründung dafür gelten, seit 1951 massiv geändert haben. Die GFK hingegen ist gleich geblieben. Sie den jeweils neuen Gegebenheiten anzupassen war und ist unmöglich, weil jedes Aufschnüren in eine Schwächung gemündet hätte.

Alte Definition

Aus diesem Grund wird vielfach immer noch die Definition eines Flüchtlings von vor 70 Jahren verwendet. Damals, nach den Gräueln des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs, verstand man darunter einen Menschen, der sein nacktes Leben rettet, indem er oder sie es über die nächste Grenze schafft.

Das klingt bis heute nach: Wer zum Beispiel einem Afghanen in Österreich einen Asylantrag verwehren will, weil er auf seinem Weg über den Iran, die Türkei und durch halb Europa schon sicher gewesen sei, beruft sich nicht nur auf die EU-interne Dublin-Verordnung, die den Erstankunftsstaaten in der Union die Verantwortung für die Asylverfahren delegiert. Er oder sie hält sich einfach strikt an die GFK.

In Österreich wird diese Position von der ÖVP und der FPÖ vertreten. Den modernen Fluchtbewegungen wird sie nicht gerecht. So endet etwa Verfolgung aus sozialen Gründen – von Frauen oder von sexuellen Minderheiten – vielfach nicht im nächstbesten Staat. Eine Weiterreise in Länder, die die Menschenrechte hochhalten, ist unumgänglich. Hinzu kommen die immer zahlreicheren Armuts- und Klimaflüchtlinge, deren Lage sich nicht durch staatliche Härten, sondern durch das Erodieren der Lebensgrundlagen in ihrer Heimat zuspitzt. Ihnen zu helfen und Schutz zu gewähren wird sich zu einer zentralen Frage im Kampf gegen die Klimakrise auswachsen. Denn Flüchtlinge laut GFK sind sie nicht, das steht fest.

An dieser Stelle kommt wieder Europa ins Spiel, jener Kontinent, der den Flüchtlingsschutz in den vergangenen Jahrzehnten wie kein anderer hochgehalten hat, etwa durch EU-Richtlinien. Hier bestünde die Basis, um weiterzudenken und diese Rechte zu stärken. Doch momentan schaut es in Sachen Asyl in der EU eher nach Rückschritt aus. (Irene Brickner, 28.7.2021)