Während der neun Verhandlungstage gegen fünf Angeklagte herrschte im Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts Wien aus Sicherheitsgründen strengstes Fotografierverbot.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Wien – Neun Stunden lang, bis spät in die Nacht von Dienstag auf Mittwoch, berieten die acht Geschworenen, ehe sie ihr nicht rechtskräftiges Urteil im Wiener IS-Prozess fällten. Das fiel wie von Prozessbeobachtern erwartet aus: Die beiden Frauen, die als Gattinnen den Erst- und den Drittangeklagten 2013 nach Syrien begleitet haben sollen, wurden freigesprochen, da die Staatsanwaltschaft Graz keinen schlüssigen Beleg dafür vorlegen konnte, dass der Vorwurf auch stimmte.

Der bereits 2016 zu 20 Jahren Haft verurteilte ehemalige "Hassprediger" Mirsad O. alias "Ebu Tejmar" kam mit einem Schuldspruch ohne Strafe davon. Die beiden von ihm zum Kampf in Syrien angestifteten Männer fassten dagegen Gefängnis aus: Der seit knapp zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzende geständige Bernd T. kann bei einer Strafe von viereinhalb Jahren hoffen, in absehbarer Zeit zurück zu seiner Familie zu kommen. Beim Erstangeklagten Turpal I., der bei dem neun Tage dauernden Prozess stets argumentiert hatte, er sei nur in Syrien gewesen, um das Grab seines Schwagers zu suchen, wird das noch dauern. Er wurde heuer zwar nach der höchstmöglichen Dauer von zwei Jahren Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt, bekam nun allerdings sechseinhalb Jahre Haft.

Kein Beweis für Mordbefehle

Es hätte für I. aber viel schlimmer kommen können: Denn der Ankläger warf ihm vor, er habe unter dem Kampfnamen "Abu Aishe" in Syrien eine aus Tschetschenen bestehende Kampfeinheit angeführt, die bei zumindest zwei Gelegenheiten Gefangene abgeschlachtet haben soll. Doch den Laienrichtern reichten die vorgelegten Beweise nicht: Der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, ein im Zeugenschutzprogramm lebender Tschetschene, auf dessen Aussage die Vorwürfe basierten, litt bei seinem Auftritt an praktisch allumfassender Amnesie. Und auch Verfassungsschutzbeamte mussten eingestehen, nicht zu wissen, wer "Abu Aishe" eigentlich konkret sei.

Ein Umstand, der durchaus ein schiefes Licht auf die Anklagebehörde in Graz wirft, die sich als "Schwerpunktsstaatsanwaltschaft" bei der Verfolgung von "Foreign Fighters" präsentiert. Denn dafür, dass in jahrelangen Ermittlungen deutlich über 30.000 Aktenseiten gegen die fünf Angeklagten produziert wurden, blieben die präsentierten Beweise überschaubar. Die Vermutung, dass der Erstangeklagte Gräueltaten befohlen habe und die beiden angeklagten Frauen sich selbst in Syrien aufgehalten hätten, basierten primär auf Hörensagen des Hauptbelastungszeugen mit dem schwachen Gedächtnis.

Der zu den meisten Prozesstagen extra aus Graz angereiste Staatsanwalt dürfte das auch geahnt haben – schon im Eröffnungsplädoyer sprach er mehr von der islamistischen Gefahr an sich, im Verhandlungsverlauf konnte er bei Nachfragen nur selten Erfolge verbuchen.

Staatsanwaltschaft Graz auch bei "Muslimbruderschaft" federführend

Das ist auch in Zukunft relevant: Der Ankläger und seine Behörde sind nämlich auch für die Ermittlungen gegen zahlreiche angebliche Angehörige der Muslimbruderschaft zuständig. Betroffene und deren Verteidiger bemängeln, dass nach der "Operation Luxor" im vergangenen November mit zahlreichen Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen die weiteren Schritte nur recht langsam vonstattengehen sollen.

So sei beispielsweise eine Immobilie beschlagnahmt worden, die angeblich mit Geld von der als Terrororganisation eingestuften palästinensischen Hamas finanziert worden sei. Dass im Grundbuch eine kreditgebende österreichische Bank verzeichnet ist und ein Beschuldigter auch den entsprechenden Kreditvertrag vorlegen konnte, scheint bisher auf wenig Interesse bei der Staatsanwaltschaft gestoßen zu sein.

In Sachen "Foreign Fighters" und "Islamischer Staat" in Syrien dürfte dagegen nicht mehr allzu viel Arbeit auf die heimische Justiz zukommen. Wie Innenministeriumssprecher Harald Sörös auf STANDARD-Anfrage mitteilt, geht man mit Wissensstand Ende 2020 davon aus, dass sich insgesamt 334 in Österreich gemeldete Personen den islamistischen Kämpfern in Syrien oder dem Irak anschließen wollten. 63 von ihnen wurden an der Ausreise gehindert und schafften es nie ins Kriegsgebiet. 72 Menschen sollen im Nahen Osten ums Leben gekommen sein, und insgesamt 95 seien zurückgekehrt.

Seit 2017 nur noch vereinzelte IS-Delikte

Da die "Hauptreisezeit" aber in den Jahren 2013 bis 2015 gelegen ist, ist ein Großteil der Rückkehrer und der verhinderten Reisewilligen bereits strafrechtlich verurteilt. Seit 2017 wurden laut Sörös nur noch vereinzelt diesbezügliche Aktivitäten vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung registriert – pro Jahr handelte es sich um maximal neun Fälle.

Eine Einschätzung, die von der gerichtlichen Verurteilungsstatistik bestätigt wird. Gab es im Jahr 2014 lediglich eine Verurteilung wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", stieg dieser Wert 2016 und 2018 auf jeweils 33 Verurteilungen. Danach ging die Zahl der Prozesse wieder zurück – im vergangenen Jahr wurden nur mehr 15 Menschen wegen dieses Paragraf 278b im Strafgesetzbuch verurteilt. (Michael Möseneder, 28.7.2021)