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Turnsuperstar Simone Biles wird nicht am Einzelmehrkampf teilnehmen.

Foto: REUTERS/Dylan Martinez

Simone Biles lief an, wie sie es zigtausende Male gemacht hatte. Die Königin des Turnens wollte einen Amanar zeigen: Radwende, gestreckter Doppelsalto, zweieinhalbfache Drehung. In der Luft brach sie ab, landete nach eineinhalb Drehungen mit viel Mühe und einem Stolperer.

Bei anderen Athletinnen wäre das womöglich als kleines Hoppala durchgegangen – aber nicht bei Biles, die in der Luft eine unvergleichliche Körperkontrolle hat. Schnell war klar: Da ist etwas im Busch. Der Star ließ sich aus dem Teamfinale nehmen, mit ihrer Ersatzfrau Jordan Chiles holten die USA hinter den Russinnen Silber.

"Ich musste tun, was für mich richtig ist und nicht meine Gesundheit aufs Spiel setzen", sagte Biles. Schon in der Teamqualifikation hatte sie sich uncharakteristische Patzer geleistet, dabei aber auch ihr einzigartiges Niveau demonstriert: Trotz aller Fehler war sie die beste Athletin des Vierkampfes.

Aber dann der Abbruch. "Der Tag war wirklich stressig. Ich habe gezittert, konnte kein Nickerchen machen. Ich habe mich noch nie so vor einem Wettbewerb gefühlt", sagte die 24-Jährige. "Ich wollte das Team nicht die Medaille kosten." Dem designierten Superstar der Spiele war der Druck zu viel geworden.

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Simone Biles’ Auftritt im Teamfinale der Turnerinnen war ein sehr kurzer. Nach ihrem verpatzten Sprung verschwand sie in die Katakomben der Halle und kam im Aufwärmjogginganzug zurück.
Foto: AP Photo/Ashley Landis

Zu viel Druck

Frauenturnen ist für die USA einer der wichtigsten olympischen Bewerbe, von Biles wurde eine Goldflut erwartet. "Es gab ein paar Tage, wo dir alle auf Twitter schreiben und du die Last der Welt spürst", sagte die Ausnahmeathletin. Auch ihre Nennung für den Einzelmehrkampf zog sie zurück: "Du musst hundertprozentig da sein. Wenn nicht, verletzt du dich."

Die vierfache Olympiasiegerin und 19-fache Weltmeisterin sagte der Presse einen Satz, der in seiner simplen Direktheit die Sportwelt verändern könnte: "Die mentale Gesundheit steht an erster Stelle." Natürlich hatten Sportler schon früher psychische Probleme, aber dass die Lichtgestalt ihres Sports ihrer Psyche zuliebe Olympiabewerbe und -medaillen sausen lässt – das ist ein sehr großer Schritt.

Sich mit angeknackster Psyche "durchzubeißen" anstatt sich der Regeneration zu widmen war und ist in vielen Sportarten üblich und hat gewiss schon zu zahlreichen Verletzungen geführt. Also sagte Biles: "Am Ende des Tages sind wir auch Menschen. Wir müssen uns schützen und nicht nur da rausgehen und tun, was die Welt von uns will."

Nicht der erste Fall

Die Sportwelt scheint noch vor dem Rest der Gesellschaft zu entdecken, was Psychologen und Psychotherapeuten seit Jahr und Tag predigen: Mentale Erkrankungen und Verletzungen sind genauso ernst zu nehmen wie physische.

Insbesondere in den USA tragen Sportler viel zur Entstigmatisierung des Themas bei. Rekord-Olympionike Michael Phelps sagt offen, nach seinen vierten Spielen an Depressionen gelitten zu haben. Die zweifache Schwimm-Olympiasiegerin Simone Manuel berichtete im Frühling von Depressionen, Angstzuständen und Schlafstörungen. Die Kugelstoß-Medaillenkandidatin Raven Saunders erzählte, dass sie nach vielen Jahren der Dauerbelastung als Studentensportlerin dem Suizid nahe gekommen war.

Osaka: "Es war ein bisschen viel"

Den wohl aufsehenerregendsten Schritt setzte die Japanerin Naomi Osaka, die sich wegen ihrer Depressionen von den French Open zurückzog. "Das wird hundertprozentig jemandem das Leben retten", sagte Schwimm-Ikone Phelps über Osakas Vorbildwirkung.

Naomi Osaka verlor bei Olympia in der dritten Runde.
Foto: imago images/Action Plus/Chris Cooper

Die Tennisspielerin selbst erklärte, dass ihr die Pause geholfen habe, "etwas von dem Druck abzubauen", den ihre Rolle als große Olympia-Hoffnung des Gastgeberlandes mit sich brachte. Nach ihrem Drittrunden-Aus gegen Marketa Vondrousova sagte sie trotzdem: "Es war ein bisschen viel."

Bei Osaka war es wohl noch rechtzeitig, aber viele andere Sportler zogen die Notbremse grenzwertig spät. Saunders rettete nur eine schnelle SMS-Rückmeldung ihrer Therapeutin das Leben, Manuel war wochenlang außer Gefecht. Auch deshalb ist es so revolutionär, wenn Biles sagt: "Es ist in Ordnung, sogar die großen Wettbewerbe auszusitzen, um sich auf sich selbst zu konzentrieren." (Martin Schauhuber, 28.7.2021)

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