Kaum hatte der Rechtsstaatsbericht der EU-Kommission die von österreichischen Politikern gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA vorgebrachten "negativen Narrative" kritisiert, wurde er von Sebastian Kurz korrigiert. Dessen Vergleich von Kritik an Staatsanwälten mit jener an kindermissbrauchenden Priestern kann man nicht einfach als "negatives Narrativ" abtun.

Vielmehr handelt es sich um eine respektgebietende Kombinations-Höchstleistung aus Wehleidigkeit, Haltlosigkeit, Niedertracht und Unintelligenz. Auslöser dieser selbst für dem Kanzler kritisch gegenüberstehende Beobachter überraschenden Höchstleistung dürfte unter anderem seine drohende Anklage wegen Falschaussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss sein.

Der derzeitig suspendierte Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek.
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Eine Bredouille, die zu verhindern gewesen wäre, hätte die Welt bloß auf Wolfgang Sobotka gehört, der vergeblich die Abschaffung der Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen im U-Ausschuss forderte. Dies begründete er damit, dass in Deutschland Auskunftspersonen in U-Ausschüssen sehr wohl lügen dürften. Was pikanterweise aber nicht stimmt und das Argument wie die Ausgangssituation eines absurden Theaterstücks wirken lässt: Sobotka plädiert für das Recht auf Lügen mit einer Lüge. Das ist so, als würde jemand das Recht auf Gewalt einfordern und auf die Frage "Warum?" mit dem Verabreichen einer Faustwatsche reagieren.

Nicht weniger bizarr waren dann auch die Überlegungen der ministeriellen Kompetenz-Dekonstruktivistin Elisabeth Köstinger zu diesem Thema. Sie wollte die Wahrheitspflicht abschaffen, weil der U-Ausschuss sonst eine "Löwinger-Bühne" sei. Offenbar glaubt sie also, dass bei der Löwinger-Bühne einst die Wahrheitspflicht gegolten hat. Möglicherweise hat sie die regelmäßigen Konflikte der Löwinger Sissy, Sepp und Paul mit Hilde Rom für eine Universum-Doku über den Bauernstand oder für eine Frühform des TV-Formats Bauer sucht Frau gehalten.

Juristisches Problem

Dass besagte Wahrheitspflicht nach wie vor gilt, ist aber nicht nur ein juristisches Problem für Sebastian Kurz, sondern auch für seine Parteifreunde Gernot Blümel, Thomas Schmid, Bernhard Bonelli und Bettina Glatz-Kremsner. Nicht gerade hilfreich dabei ist, dass ausgerechnet Christian Pilnacek, der früher im Justizministerium solche Unannehmlichkeiten wohl diskret planiert hätte, sich auch mit diesem Vorwurf konfrontiert sieht und wegen Suspendierung in seinen Unterstützungsmöglichkeiten eingeschränkt ist.

Als teilweiser Ersatz böte sich hier eine Art Google Alert für Hausdurchsuchungen an. Aufs Handy geschickte Reminder à la "Heute Hochzeitstag, 14h Zahnarzt, 16h Hausdurchsuchung", ergänzt durch Informationen wie "15h59 Alle Daten und Chat-Nachrichten auf diesem Handy löschen" oder "Warnhinweis für Vertraute des Bundeskanzlers: Beim Löschen Fotos nicht vergessen" könnten sich als nützlich erweisen.

Was das "negative Narrativ" gegenüber den Staatsanwälten betrifft, sollte die ÖVP zu früherer Eleganz zurückkehren. Die von ihr geforderte "Aufsplittung" der WKStA war dafür ein Beispiel. Man kann ja auch eine auf den Boden geschmissene, in tausend Scherben zersprungene Vase als "aufgesplittet" beschreiben. (Florian Scheuba, 29.7.2021)