Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler spazierten zu zweit ums Schloss Reichenau herum. Für den Herbst kündigten sie unter anderem Tempo bei der ökosozialen Steuerreform an und plädierten fürs Impfen.

Foto: Christian Fischer

Reichenau an der Rax – Am Rande der Sonderministerrats in Reichenau an der Rax ließ Bildungsminister Heinz Faßmann aufhorchen. Ob er, sollte die EU-Arzneimittelbehörde EMA bald einen Impfstoff für Kinder unter zwölf Jahren – und damit etwa auch für Volksschüler – bewilligen, empfehlen würde, auch in dieser Altersgruppe gegen Corona zu immunisieren, wurde er gefragt. Seine Antwort: "Ja, denn eine solche Bewilligung wird es nur geben, wenn das Risiko für Kinder, an Corona zu erkranken, höher als jenes der Impfung ist." Kleine Kinder zu impfen sei dann "eine rationale Entscheidung".

Heiß und schwül war es im Park von Schloss Reichenau, sogar im Schatten der alten, hohen Bäume. Vorne, in dem herrenhausähnlichen Gebäude, das einst der Familie von Olga Waisnix gehörte, der tragischen Geliebten des Dramatikers Arthur Schnitzler, tagte die Bundesregierung; der Sommerministerrat war aufs Land übersiedelt.

Hinter dem Schloss wartete der aus Wien mitgereiste Tross der Journalisten. Dass der für sie gecharterte Bus im ersten Anlauf zum falschen Exherrschaftssitz in der geschichtsträchtigen Kurgemeinde fuhr – zu dem vom Verteidigungsministerium genutzten Reichenauer Rothschild-Schloss –, war das Bonmot der Stunde.

Gemeinsamer Spaziergang

Die Journalisten harrten der Regierungsspitze, Kanzler und Vizekanzler, die, so wurde angekündigt, einen kameratauglichen Spaziergang rund um das Areal unternehmen wolle. Da, vor der Hecke, die ein weiteres Grundstück begrenzt, bogen sie ums Eck! – Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit Jackett, Vize Werner Kogler (Grüne) ohne.

Durch die Hintereinfahrt betraten sie den Park und durchquerten ihn im Blitzlichtgewitter. Bei einem kleinen Gatter ließ Kurz Kogler höflich den Vortritt. Seine Erkrankung der vergangenen Tage, eine "Sommergrippe", wie er sagt, dürfte der Kanzler überwunden haben.

ÖVP: Vergessen der Streit

Vergessen schien auch der Streit der vergangenen Tage über die Klimapolitik, Kurz’ Warnung vor einer Rückkehr in eine grüne "Steinzeit" ohne Straßenbauprojekte, Koglers Replik über türkises "altes Denken und Politik von gestern". Im satten Grün des Alpenvorlandes, im Schatten von Rax und Feuchter, wurde in der von einer schwarzen Zweidrittelmehrheit regierten Kurgemeinde Reichenau türkis-grüne koalitionäre Einigkeit demonstriert.

"Man darf nicht alles überinterpretieren", antwortete ÖVP-Klubobmann August Wöginger vor dem Eingang zu dem von der Sonne aufgeheizten Raum, in dem die Pressekonferenz nach dem Ministerrat stattfindet, auf Journalistenfragen zu innerkoalitionären Befindlichkeiten. Wenige Minuten später wählte Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) auf ähnliche Fragen denselben Ausdruck: "Überinterpretieren" dürfe man solche Konflikte nicht, denn die Kooperation klappe gut.

Kogler: Zusammenarbeit funktioniert

Mit derlei atmosphärischen Bemerkungen hielt sich Vizekanzler Kogler, bei der Pressekonferenz auf den Streit angesprochen, nicht auf. "Dass wir da und dort verschiedene Zugänge haben, ist klar", sagte der Grüne: "Aber die Zusammenarbeit funktioniert, was die Ergebnisse angeht."

Die ökosoziale Steuerreform – laut Vortrag an den Ministerrat Vorhaben Nummer eins im zweiten Halbjahr 2021 – sei auf dem Weg. In Deutschland, so führte der Vizekanzler aus, habe die Bundesregierung zwei Jahre lang über die richtigen Konzepte für eine faire CO2-Besteuerung diskutiert, in Österreich sei man hier am Finalisieren.

Mit den Öffis nach Reichenau

Wie dringend die Sache sei, würden die Wetterextreme der vergangenen Wochen zeigen. "Die Klimakrise findet nicht nur in der Tundra oder am Nordpol statt, sondern bei uns, in der Mitte von Europa", sagte Kogler.

Wohl auch aus dieser Erkenntnis heraus waren Teile der grünen Regierungsmannschaft nicht mit dem Auto zum Sommerministerrat angereist. Umweltministerin Leonore Gewessler und Klubchefin Sigrid Maurer kamen mit Bus und Bahn in die mit öffentlichen Verkehrsangeboten nicht eben gesegnete Gemeinde.

VGT demonstrierte

Zu Fuß durchquerten sie den Vorgarten des Schlosses, wo Aktivisten des Vereins gegen Tierfabriken Aufstellung genommen hatten. Bei rund 30 Grad skandierten diese stundenlang Parolen, um auf die Vollspaltenbodenhaltung von Nutzschweinen hinzuweisen, ihres Erachtens eine Tierquälerei.

Gekommen waren auch einige Corona-Leugnerinnen und -Leugner. Sie machten sich kurz, aber lautstark bemerkbar. Mit den Ansagen im Schloss hätten sie keine Freude gehabt – denn im Umgang mit der Pandemie definierten Türkis wie Grün für den Herbst ein einziges Ziel: eine möglichst hohe Durchimpfungsquote der Bevölkerung. "Ich appelliere insbesondere an die junge Bevölkerung. Lassen Sie sich impfen, die Impfung schützt", sagte Kanzler Kurz. (Irene Brickner aus Reichenau an der Rax, 29.7.2021)