Bierdeckel fliegen unkontrolliert, aber es gibt dennoch Möglichkeiten der Einflussnahme.

Foto: James Cridland

Das themenmäßige Sommerloch ist mittlerweile offenbar auch bei einigen Wissenschaftern angekommen: Eine Gruppe von Physikern der Universität Bonn hat sich – wie könnte es anders sein – im Rahmen eines abendlichen Wirtshausbesuches die Frage gestellt, warum Bierdeckel partout nicht geradeaus fliegen wollen. Glücklicherweise stand ihnen berufsbedingt das passende Equipment zur Verfügung, um darauf eine Antwort zu finden.

Die Forscher bauten eine Wurfmaschine und filmten das Flugverhalten runder Bierdeckel mit einer Hochgeschwindigkeitskamera. In seiner im "European Physical Journal Plus" veröffentlichen Studie verrät das Team um Johann Ostmeyer aber auch, wie man die Treffsicherheit und Reichweite beim Bierdeckelwerfen deutlich erhöhen kann.

Unausweichliches Trudeln

Bierdeckel sollten Tische vor Feuchtigkeitsringen schützen. Manch einer hat die quadratischen oder runden Kartons auch schon als Wurfgeschosse zweckentfremdet – in der Regel mit wenig Erfolg: Schon nach kurzer Zeit verlässt die Pappunterlage nämlich ihre Bahn, trudelt zur Seite und fällt zu Boden.

Zumindest bei der üblichen Wurftechnik ist das Verhalten eines Wurfdeckels unausweichlich: Nach spätestens 0,45 Sekunden beginnt er unweigerlich abzudriften. Spielkarten kommen sogar schon nach 0,24 Sekunden auf die schiefe Bahn, CDs erst nach 0,8 Sekunden. Der Grund dafür ist das Zusammenspiel von Gravitation, Auftrieb und Drehimpuls-Erhaltung: Einerseits kippt der Deckel durch die Schwerkraft schon kurz nach dem Wurf etwas nach hinten. Er bekommt also einen Anstellwinkel, ähnlich wie ein landendes Flugzeug. Diese Neigung sorgt im Luftstrom für Auftrieb. "Allerdings greift die Auftriebskraft nicht im Zentrum des Deckels an, sondern im vorderen Drittel", erklärt Ostmeyer.

Charakteristischer Ablauf

Normalerweise würde sich die runde Pappe daher bald überschlagen. Das tut sie auch tatsächlich – aber nur, wenn sie eher unkonventionell geworfen wurde. "Meist wird ein Bierdeckel beim Wurf in Drehung versetzt, ähnlich wie ein Frisbee", sagt Christoph Schürmann vom Argelander-Institut für Astronomie der Uni Bonn. "Er wird so zu einer Art Kreisel." Diese Rotation stabilisiert den Flug und verhindert das Überschlagen. Stattdessen führt die Auftriebskraft dazu, dass der Deckel zur Seite abdriftet – nach rechts, wenn er linksherum rotiert, andernfalls nach links.

Gleichzeitig richtet er sich auf – er liegt also nicht mehr parallel zum Boden, sondern steht in der Luft wie ein rotierendes Rad. In dieser Position hat der Deckel einen Backspin – würde er tatsächlich wie ein Rad auf dem Boden stehen, würde er also zum Ausgangspunkt zurücklaufen. Im Flug verliert er nun schnell an Höhe und fällt zu Boden. Dieser Ablauf ist für alle flachen runden Objekte charakteristisch.

Video: Bierdeckel sind schlechte Frisbees.
Universität Bonn

Bierdeckel-Wurfmaschine

Um herauszufinden, warum sich fliegende Bierdeckel so verhalten, wie sie es tun, entwarfen die Forscher eine Bierdeckel-Wurfmaschine und zeichneten die Flüge mit einer Hochgeschwindigkeitskamera auf. So konnten sie kontrollieren, ob ihre theoretischen Vorhersagen mit den Beobachtungen aus der Praxis übereinstimmten.

"Einen Anwendungsbezug hat das Projekt nicht", erklärt Carsten Urbach vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn. "Allerdings ist das Problem für Laien und Physiker gleichermaßen anschaulich. Und es bildet sehr schön den kompletten Prozess ab, in dem die Naturwissenschaften Erkenntnisse gewinnen – von der Beobachtung über die Theorie und ihre experimentelle Überprüfung bis gegebenenfalls hin zu ihrer Anpassung und Weiterentwicklung."

Spielkarten fliegen weit

Am stabilsten und damit weitesten fliegen Bierdeckel übrigens, wenn sie sich sehr rasch drehen – ein Trick, den auch der wohl weltbeste Spielkartenwerfer Rick Smith Jr. beherrscht, dessen Rekordwurfweite mehr als 60 Meter beträgt. Länger als 0,45 Sekunden bewegen sich aber auch schnell rotierende Bierdeckel nicht geradeaus. "Wer wirklich weit und genau werfen möchte, der sollte die Deckel direkt senkrecht aufrichten und in Rückwärtsdrehung versetzen", erklärt Ostmeyer – und warnt im selben Atemzug vor möglichen Verletzungen.

Nicht umsonst findet sich am Ende der Publikation eine vorsorgliche Abbitte: "Unsere ehrliche Entschuldigung gilt allen, die von einem Bierdeckel getroffen wurden, sei es durch ungenaues Zielen oder dadurch, dass andere durch uns zu albernen Experimenten angestiftet wurden." (red, 29.7.2021)