Tunesiens Präsident Kais Saied, hier während einer Fernsehansprache, hat nun auch den Chef des Staatssenders entlassen.

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Tunis – In Tunesien rollt die von Präsident Kais Saied angestoßene Entlassungswelle weiter. Auch der Chef des Staatssenders Wataniya wurde auf Anordnung des Präsidenten geschasst, wie die tunesische Staatsagentur TAP meldete. Zuvor hatte Mohamed Lassaad Dahech zwei Vertretern der Zivilgesellschaft den Zutritt zum Fernsehstudio verwehrt. Die beiden sollten demnach am Mittwoch als Gäste in einer Talkshow auftreten.

Dahech argumentierte, er habe auf Weisung der Armee gehandelt. Das Verteidigungsministerium bestritt jedoch, eine solche Anweisung gegeben zu haben. Saied hat seit Sonntag insgesamt 24 ranghohe Regierungsbeamte entlassen. Am Mittwoch wurden zudem zwei Reporter der "New York Times" vorübergehend festgenommen.

Büro von Fernsehsender gestürmt

Zu Beginn der Woche stürmten Polizisten das Hauptstadtbüro des Fernsehsenders Al-Jazeera und beschlagnahmten dabei Telefone und anderes Gerät. Der populäre Nachrichtenkanal wird von der Regierung Katars finanziert und bietet nach Ansicht von Kritikern Muslimbrüdern und anderen Islamisten zu viel Raum. Präsident Saied liefert sich seit Monaten einen Machtkampf mit der islamisch-konservativen Ennahda-Partei.

Saied hatte am Sonntagabend Regierungschef Hichem Mechichi abgesetzt und die Arbeit des Parlaments für zunächst 30 Tage eingefroren. Der Präsident betont, sich im rechtlich zulässigen Rahmen der Verfassung zu bewegen. Kritiker sprechen dagegen von einem Putsch.

Ghannouchi glaubt an Demokratie

Während international die Sorge um Tunesiens junge Demokratie wächst, zeigte sich Parlamentschef Rached Ghannouchi von deren Widerstandsfähigkeit überzeugt.

Den "antidemokratischen Kräften" werde es nicht gelingen, "Tunesien zurück in eine Diktatur zu verwandeln", sagte Ghannouchi der "Süddeutschen Zeitung". Während der Präsident betonte, sein Handeln stehe im Einklang mit der Verfassung, sprach die Regierungspartei Ennahdha von einem "Putsch". Der Präsident habe "mit undemokratischen Kräften" gemeinsame Sache gemacht, um "die Verfassungsrechte der gewählten Amtsträger auszuhebeln".

Ermittlungen gegen Ennahdha

Verschärft wurden die Spannungen, als Tunesiens Staatsanwaltschaft am Mittwoch die Eröffnung von Ermittlungen gegen Ennahdha und zwei weitere Parteien wegen des Verdachts der illegalen Parteienfinanzierung bekanntgab. Kurz darauf kündigte Saied eine großangelegte Antikorruptionsoffensive an.

Es gebe 460 Menschen, die dem Staat 13,5 Milliarden Dinar (rund vier Milliarden Euro) schuldeten, sagte Saied bei einem Treffen mit dem Chef des Arbeitgeberverbands Utica unter Verweis auf den Bericht einer Untersuchungskommission zu Korruption und Unterschlagung während der Herrschaft des früheren Machthabers Zine El Abidine Ben Ali. "Dieses Geld muss an die tunesische Bevölkerung zurückgegeben werden."

Krisenstab gegen Pandemie

Saied war schon in der Vergangenheit als Kämpfer gegen Korruption aufgetreten. Im Jänner hatte er eine von Mechichi geplante Kabinettsumbildung mit dem Argument verhindert, dass es Interessenkonflikte geben könnte – und einige Minister in Korruptionsaffären verwickelt seien.

Der 63-jährige Staatschef kündigte am Mittwoch zudem die Einrichtung eines Krisenstabs zur Bewältigung der Corona-Pandemie an. In dem nordafrikanischen Land breitet sich das Coronavirus derzeit stark aus. Der Entmachtung Mechichis durch Saied am Sonntag waren heftige Proteste gegen das Corona-Krisenmanagement der Regierung vorausgegangen.

Friedliche Proteste angekündigt

International löste die Krise Sorge um die Demokratie in Tunesien aus. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian forderte am Mittwoch eindringlich die Ernennung einer neuen Regierung in Tunis.

Parlamentspräsident Ghannouchi, der zugleich Vorsitzender der Ennahdha-Partei und einer der wichtigsten politischen Kontrahenten Saieds ist, kündigte friedlichen Protest an, "bis die Demokratie wiederhergestellt ist". Es sei weder im Interesse seiner Partei noch des Landes, dass es zu Gewalt gegen die Armee komme, betonte er in der "Süddeutschen Zeitung". (APA, 29.7.2021)