13 Cobra-Einsatzkräfte hat Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) am Donnerstag in Wien gen Litauen verabschiedet. Mehr als 1100 Kilometer nordöstlich der Heimat sollen die Mitglieder der Spezialeinheit mithelfen, die löchrige EU-Außengrenze zu stopfen. Der baltische Staat hatte zuletzt eine Rekordzahl von Flüchtlingen und Migranten registriert, die von Belarus aus ins Land kamen. Heuer wurden bisher mehr als 3000 von ihnen aufgegriffen – im gesamten Vorjahr waren es gerade einmal 81. Für das Drei-Millionen-Einwohner-Land ist das eine echte Herausforderung.

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Litauische Soldaten verlegen Nato-Draht an der Grenze.
Foto: Reuters / Janis Laizans

Der Einsatz der österreichischen Einsatzkräfte beginnt am 1. August und soll auf alle Fälle einige Wochen dauern. Wann er endet, hängt von der Entwicklung vor Ort ab. Dass diese Mission überhaupt notwendig ist, hat mit Alexander Lukaschenko zu tun. Der Präsident von Belarus öffnet seine Grenzen für Flüchtlinge und Migranten aus dem Nahen Osten, um sich an Litauen für die westlichen Sanktionen zu rächen.

Hintergrund ist die Affäre um die in Minsk gegroundete Ryanair-Maschine am 23. Mai. An Bord des Flugzeugs auf dem Weg von Athen nach Vilnius war der oppositionelle Blogger Roman Protassewitsch. Um den 26-Jährigen in ihre Gewalt zu bekommen, fingierte der belarussische Geheimdienst KGB eine Bombendrohung und nötigte den Piloten so zu einem Zwischenstopp in Minsk, wo die Behörden den Blogger dankend in Empfang nahmen.

Vergleich mit Hitler

Die EU reagierte darauf mit einem Flugverbot für belarussische Airlines und Wirtschaftssanktionen gegen Minsk. Lukaschenko verglich dies mit dem Angriff der Hitler’schen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Österreich und Deutschland müssten eigentlich 100 Jahre auf Knien um Vergebung flehen, um die Sünden der Vergangenheit zu tilgen, stattdessen versuchten sie sich in neuen Angriffen, so der Autokrat.

Da Minsk seine Möglichkeiten für wirtschaftliche Gegenangriffe mit der Umleitung des Gütertransits über russische (statt baltische) Häfen schon im vergangenen Herbst ausgeschöpft hat, ersann Lukaschenko eine Art Partisanenkrieg als asymmetrische Antwort.

Er kündigte an, dass Belarus wegen der Sanktionen sparen müsse und dies in erster Linie bei der Eindämmung der illegalen Migrantenbewegungen tun werde. Die Ankündigung zeigte Wirkung: War vorher bekannt, dass Belarus ein Polizeistaat ist, der Migranten ohne jede Diskussion zurückschickt, kommen nun immer mehr Menschen an.

Die Migranten zieht es dann natürlich weiter gen Westen, woran sie auch nicht gehindert werden. Die 680 Kilometer lange Grenze zu Litauen war früher fast undurchdringlich. Inzwischen tauchen jenseits dieser Grenze täglich neue Personen auf – vor allem aus dem Irak, aber auch aus anderen Ländern des Nahen Ostens und aus Afrika. Die jüngste Entwicklung in Afghanistan dürfte auch hier eine neue Fluchtbewegung in Gang setzen.

Angesichts dieser Entwicklung hat die EU-Kommission Deutschland und die anderen EU-Partnerstaaten zu Unterstützung aufgefordert. Die Kommission selbst versprach bereits zwölf Millionen Euro an Finanzhilfe. Außerdem wurden von der EU-Grenzschutzbehörde Frontex 35 Beamte nach Litauen entsandt.

Zu wenig Stacheldraht

Das litauische Verteidigungsministerium hat zudem Hilfe der Nato angefordert. Ein Grenzzaun sollte Hilfe schaffen, doch die eigenen Ressourcen reichen nicht. Immerhin haben die regionalen Partner Hilfe angeboten: Estland und die Ukraine wollen Nato-Draht liefern. So könnte zumindest der Großteil der Grenze abgeschottet werden.

Eins ist klar: Spätestens, wenn die Grenze auf litauischer Seite dicht ist, wird auch die neue Gastfreundschaft in Minsk gegenüber den Zuwanderern beendet sein. (André Ballin aus Moskau, Kim Son Hoang, 29.7.2021)