"The Ascent" lebt hauptsächlich von der Atmosphäre, Rollenspielelemente kommen eher kurz.

Foto: Neon Giant/Curve Digital

Eine derart atemberaubende Science-Fiction-Welt hat man lange nicht mehr gesehen. In der wie ein Turm aufragenden Arkologie des Ascent-Konzerns wechseln sich biomechanoide Konstruktionen, exotische Slums und atemberaubende Hightech-Schluchten ab: Stockwerk um Stockwerk voller Servicedrohnen, Kampfroboter, Außerirdischer und Menschen, die wie in einem gewaltigen Termitenbau auf engstem Raum zusammenleben. Hier trifft Blade Runner auf die Mos-Eisley-Cantina aus Star Wars, die düstere Industrie-Ästhetik von Alien wird in grelles Neon getaucht, das Gewirr von hunderten Stimmen hallt auf überraschend großen öffentlichen Plätzen, die wie Terrassen den Blick auf gewaltige industrielle Kavernen freigeben.

Zu sagen, dass die Cyberpunk-Welt des Action-Rollenspiels The Ascent beeindruckend präsentiert ist, wäre untertrieben. Bis in kleinste Details wurde diese Welt von ihrem nur zwölfköpfigen Indie-Entwicklerteam als konstante ästhetische Überforderung mit allem vollgestopft, was ins Genre der seit einigen Jahren wieder hoch im Kurs stehenden Cyberpunk-Ästhetik passt. Staunend steuert man seinen Protagonisten, einen kleinen Lohnsklaven und Söldner des Konzerns, aus mehr oder weniger isometrischer Draufsicht durch diese Welt.

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Das Setting spielt hier die Hauptrolle, nicht unbedingt die Story. Die erzählt genretypisch in einer Abfolge von Haupt- und Nebenmissionen von einer existenzbedrohenden Krise der Arkologie und dem – sprichwörtlichen und buchstäblichen – Aufstieg unseres Helden bis zur Spitze des Konzerns. Wie im Action-RPG-Genre üblich bewegt man sich dafür von Gebiet zu Gebiet, nimmt Missionen an, erledigt haufenweise kleine und einige große Monster, sammelt massig Loot und darf seinen Helden mehr oder weniger bis ins Detail aufrüsten und spezialisieren. Ein "Cyberpunk-Diablo" meinten manche Pressestimmen vor dem Release in diesem Spiel identifiziert zu haben; in gewisser Weise lagen sie damit daneben.

Twin-Stick-"Blade Runner"

Kern des Gameplays von The Ascent ist nämlich nicht der Rollenspielanteil. Die oben genannten Genreversatzstücke haben wohl ihren Platz in diesem Spiel, doch tatsächlich ist The Ascent im Grunde ein Twin-Stick-Shooter, in dem adrenalingetriebene Feuergefechte samt jeder Menge hektischem Rückwärtslaufen im Zentrum stehen. Diese Kämpfe sind beeindruckend inszeniert und fühlen sich großartig an: Vom Waffensound bis zum Rhythmus der Gegnerwellen, vom Ausweichsprung und dem Einsatz von Nahkampftalenten über befriedigend donnernde Explosionen bis hin zum Wechsel zwischen vorsichtiger Taktik und panischem Chaos weiß The Ascent hier hervorragend zu unterhalten.

Foto: Neon Giant/Curve Digital

Die Rollenspielanteile wiederum lassen einen eher unbefriedigt zurück. Die Charaktere spielen sich trotz Spezialisierungen eher gleich, einzelne Spielmechaniken wie Waffenupgrades und verschiedene Schadenstypen bleiben unklar und letztlich irrelevant, das Quest-Design ist banal, und über die doppelten und dreifachen Laufwege tröstet auch die großartige Umgebung nicht hinweg.

Viel schwerer wiegt aber die Enttäuschung, dass vor allem in den Missions-Hubs, den Gebieten voller Zivilisten, Händlern und Auftraggebern, die mit so viel Liebe aufgebaute Illusion einer lebenden, komplexen und faszinierenden Cyberpunk-Stadt schnell Lügen gestraft wird. Auch wenn sich Exposition und Dialoge die Mühe machen, hier mit einer Menge teils recht wirrem Spezialvokabular die Illusion von hintergründiger Tiefe aufzubauen: So gut wie alles hier ist nur Staffage, Interaktion ist die Ausnahme, und es gibt eigentlich keinen Grund, diese letztlich leblose Kulisse nicht schnell in Richtung nächstes Feuergefecht wieder zu verlassen.

Viel Action-, wenig Rollenspiel

Im Grunde stellt sich bei The Ascent die Frage nach der Erwartungshaltung: Wer sich nach Trailern und Vorabberichten einen weiteren Versuch erwartet hat, Cyberpunk-Themen und vor allem -Ästhetiken in Form eines ambitionierten – oder zumindest grundsoliden – Rollenspiels präsentiert zu bekommen, wird vom Gebotenen unter Umständen enttäuscht sein. Auch hier wird nur an den Themen des letztlich hochpolitischen und nicht ohne Grund wieder aktuellen Science-Fiction-Genres gekratzt, und differenziertere Rollenspielmechaniken wie etwa freie Handlungsentscheidungen oder autonome(re) Figurenentwicklung fehlen zur Gänze.

Wer ohne diese Erwartungen an The Ascent herangeht, bekommt ein mehr als solides Action-Spiel mit bombastischer Präsentation, dem bei der völligen Entfaltung ironischerweise die Rollenspiel-Spurenelemente sogar ein wenig im Weg stehen. Solo oder im Koop-Spiel bietet die opulente Cyberpunk-Schießbude unkomplizierte, atmosphärisch umwerfende Action, technisch ist das Spiel als früher Showcase der Xbox Series X beeindruckend, Abstürze und Bugs hielten sich im Rahmen bzw. sollten noch behoben werden.

Wer ein hochkompetentes Actionspiel in beeindruckender Kulisse sucht, wird mit The Ascent seinen Spaß haben. Als Rollenspiel bleibt es unter seinen Möglichkeiten – und Cyberpunk ein weiteres Mal nur Tapete. (Rainer Sigl, 31.7.2021)

"The Ascent", erschienen für Windows und Xbox One/Series X/S, PEGI 18, um 29,99 Euro. Das Spiel ist ab Launch kostenlos Teil des Gamepass-Abos.